Neues von den Pet Shop Boys

Fast jeder kennt mindestens eine Handvoll ihrer Elektrohymnen. Die Pet Shop Boys wollen sich über 30 Jahre nach dem Durchbruch aber nicht allein auf gefällige Standards festlegen lassen. Frische Ideen bekommen sie in Berlin.

Wenige Radio-Größen haben so viele Welthits im Programm wie die Pet Shop Boys. Und doch klingen Gassenhauer à la „Suburbia“, „West End Girls“ oder „Domino Dancing“ in manchen Ohren eher nach der inzwischen etwas angestaubten Ära der 80er und 90er. Zeit also für das Londoner Duo, wieder einmal nachzulegen, mit einer Vergangenheitsbeschwörung ganz eigener Art: An diesem Freitag (1. April) kommt das neue Pet-Shop-Boys-Album „Super“ heraus.

Vorweg schoben Neil Tennant und Chris Lowe – der mittlerweile 61-jährige Frontmann und sein treuer Elektrobastler am Keyboard (56) – die Single „The Pop Kids“. Sie ist eine Reverenz an die frühen Jahre. Zwar versichern die reifen Herren, die Geschichte behandele nicht sie, sondern ein befreundetes Pärchen, das damals lieber in die Nächte abtauchte, statt brav weiter zu studieren. Es wäre aber wohl naiv, den autobiografischen Anteil komplett zu leugnen.

„Rock wurde überschätzt“, zitiert Tennant einen der Protagonisten zur Stimmung während der Grunge-Epoche nach 1990. Die zwei Briten, heute seit über 30 Jahren im Geschäft, entwarfen ihre Gegenatmosphäre, die auch Teile von „Super“ durchtränkt. Über weite Strecken finden sie zurück zu einem recht schnörkellosen Club-Sound, der sich oft von der unverfänglichen Alltagstauglichkeit „normaler“ Charts-Musik abhebt.

Bei alldem spielt die Szene-Metropole Berlin eine gewichtige Rolle. Sie komponierten zuletzt abwechselnd hier und in London. „Wir haben ein kleines Studio in Berlin. Dorthin gehen wir, um zu schreiben“, erklärt Tennant. Lowe malte sich die Wirkung Trance-orientierter Stücke wie „Inner Sanctum“ in der Stadt – lange der Nabel der Techno-Welt – aus: „Als wir den Song mit Stuart (Price) produzierten, dachten wir, das würde gut ins „Berghain“ passen.“

Gemischt wurde die Platte von Price, der bereits mehrfach für die Pet Shop Boys am Klangkonzept feilte. Sie folgt auf „Electric“, womit die Musiker 2013 eine Rückkehr zum klassischen Electronica-Ansatz vollziehen wollen. Das Talent, den Geschmack des Massenpublikums mit dem Anspruch ihres Ur-Genres zu verbinden, scheinen sie nicht verloren zu haben. Tennant: „Es ist eine Mischung aus den alten und den neuen Pet Shop Boys.“

So geht der Opener „Happiness“ mit klaren, treibenden Rhythmen direkt ins Ohr – gäbe es andererseits nicht auch sanft dazwischen säuselnde Synthesizer, die die gerade Linie ab und zu durchstoßen. Ähnliches gilt für das verspieltere „Twenty-something“ oder „Groovy“, eine nicht ganz ernst gemeinte Selbstbespiegelung vor kreischender Menge. Eine bloße Spaßtruppe wollten sie aber nie sein, auch etwas Politik muss her. In „The Dictator Decides“ fühlt sich ein alleinherrschender Tyrann kraftlos. „Er will aufgeben“, erklärt Tennant, „sitzt in der Falle“.

Gesellschaftskritisch und beißend ironisch gaben sich die beiden schon häufiger. Den Druck, sich wegen offen gelebter Homosexualität rechtfertigen zu sollen, thematisierten sie bei „In Denial“. George W. Bush und Tony Blair bekamen in „I’m with Stupid“, die katholische Kirche in „It’s a Sin“ ihr Fett weg. Dabei war der Start der Zwei-Mann-Band fast reiner Zufall.

Nach einem Smalltalk über ein Instrumenten-Kabel in einem Elektrogeschäft 1981 beschlossen der Musik-Reporter Tennant und der Architektur-Student Lowe, Disco-Pop zu machen. Vier Jahre danach eroberte „West End Girls“ die Hitparaden, Plattenfirmen standen bei den anfangs bespöttelten Engländern Schlange. Es gab aber auch Plagiatsvorwürfe, die sie letztlich abwehren konnten.

Jenseits des eigenen Repertoires steuerten die Pet Shop Boys Produktionen für andere Promis bei – darunter Liza Minelli, Tina Turner oder der kürzlich gestorbene David Bowie. Sie machten Ausflüge in die Theater- und Filmmusik, schrieben ein Ballettstück mit. Auf der Bühne blieb die Rollenverteilung allerdings meist klar: Tennant das elegant-kultivierte Sprachrohr, Lowe die Beat-Maschine im Rapper-Outfit.

Der kalkulierte Stil-Wirrwarr soll nach dem Erscheinen von „Super“ denn auch konsequent fortgesetzt werden. Im Juli spielen die für ausschweifende Tanz- und Videoshows bekannten Elektropopper vier Konzerte in Londons Royal Opera House, gefolgt von einer Tour „wahrscheinlich 2017“ (Tennant). Bleibt nur zu hoffen, dass die Pet Shop Boys eine Zeile des neuen Songs „Burn“ bei ihren Auftritten in dem gediegenen Klassik-Tempel nicht allzu wörtlich nehmen: „Wir brennen diese Disco nieder, ehe der Morgen kommt.“

 

Aus: Sächsische Zeitung
Von: Jan-Henrik Petermann