Zwischen Melancholie und Euphorie

Die Pet Shop Boys sind das einflussreichste Pop-Duo der letzten 20 Jahre.
Seit ihrer Hit-Blaupause „West End Girls“ aus dem Jahr 1985 haben
Neil Tennant und Chris Lowe nicht nur massig Charterfolge verbuchen können,
sondern auch zahllose andere Gruppen inspiriert oder remixt.
Im Mai gibt die Londoner Institution acht Deutschland-Konzerte.
Der einzige Sachsen-Auftritt findet am 9. Mai in der Chemnitzer Stadthalle statt.
Vor der Tour gab die Band der „Freien Presse“ ein Exklusiv-Interview.
Mit Chris Lowe sprach Tim Hofmann.



Freie Presse: Die letzten Deutschland-Konzerte der Pet Shop Boys waren riesige Festival-Shows. Warum kommt ihr nun in so kleine Hallen?


Chris Lowe: Nun, wir haben unser „Fundamental“-Album bei euch noch nicht richtig beworben, und da meinte unsere deutsche Agentur, die Tour sei eine gute Idee. Ich hab keine Ahnung, wo genau wir spielen! Sind die Hallen denn so klein?



Freie Presse: Naja, in die Stadthalle Chemnitz passen 3000 Fans. Bei eurem letzten Konzert in Dresden waren über 10.000 Leute, und das war die Klassik-Version ohne die Hits…


Lowe: Das ist doch cool, hahaha! Wir mögen es immer, auf der Bühne zu stehen. Und bei so einem Konzert kann man das volle Programm spielen und sich viel besser präsentieren als bei Festivals.



Freie Presse: Apropos live: Ihr seid eine sehr elektronische Band – wieviel ist denn da noch handgemacht, und wieviel kommt aus dem Sequenzer?


Lowe: Ich hab meinen Laptop auf der Bühne, weil Elektronik immer ein tragender Faktor sein wird. Ich spiele aber alle Keyboards live. Unser Set ist so angelegt, dass wir komplett elektronisch, aber auch mit Begleitmusikern als reine Liveband auftreten können. Wichtig ist, flexibel zu sein. Ich will nicht abhängig von Technik sein, sondern sie als künstlerisches Mittel einsetzen.



Freie Presse: Unter Keyboardern ist es mittlerweile eine Glaubensfrage, Software-Synthesizer im Rechner oder „richtige“ Hardware-Tastengeräte zu verwenden. Auf welcher Seite stehst du? Ihr habt doch nach 20 Jahren sicher massig kultige Geräte im Studio…


Lowe: Wir hatten wirklich mal ein richtiges kleines Keyboard-Museum, aber leider haben wir bei einer Überschwemmung sehr viele Geräte verloren! Ich verwende derzeit fast nur noch Software. Die Möglichkeiten sind echt gigantisch! Witzigerweise finde ich nun immer mehr Programme, die genau jene Geräte nachbilden sollen, mit denen wir vor vielen Jahren rumgeschraubt haben, hahaha! Und teilweise kaufe ich auch schon wieder richtige Keyboards. Letztlich ist es für mich aber wichtig, immer etwas Neues zu probieren. Nur so kommen einem Ideen.



Freie Presse: Arbeitet ihr deshalb mit so vielen Künstlern zusammen?


Lowe: Zum einen mögen wir es unheimlich zu remixen. Zum anderen ist es für uns hochinteressant zu sehen, wie andere Leute arbeiten. Man kann immer wieder lernen, neue Ansätze finden. Die Zusammenarbeit mit Robbie Williams einerseits oder Trevor Horn andererseits ist sehr spannend und spaßig!



Freie Presse: Was konnten die Pet Shop Boys bei der Zusammenarbeit mit den Dresdner Sinfonikern an der Panzerkreuzer-Potemkin-CD lernen?


Lowe: Mit dem Komponist Torsten Rasch wollten wir Disharmonie ergründen. Wir wollten erforschen, wie weit man Harmonie zerpflücken und wieder zusammensetzen kann, wollten Grenzen ausloten. Das war verdammt anstrengend, weil wohl kaum was so weit auseinander liegt wie die Musik von uns und Torsten Rasch – aber deswegen war es auch sehr, sehr fruchtbar!



Freie Presse: Ihr scheint Extreme zu mögen – oder warum habt ihr „Mein Teil“ von Rammstein remixt?


Lowe: Wir waren in Berlin zu Besuch, sind gefragt worden und fanden das Stück sofort gut!



Freie Presse: Wusstet ihr zu dem Zeitpunkt schon, wovon es handelt?


Lowe: Na klar, wir mögen diesen Sarkasmus sehr. Ironie ist ein wichtiger Bestandteil der Pet Shop Boys. Ich mag es aber nicht, wenn wir als ironische Band bezeichnet werden. Wir versuchen, das gesamte Gefühlsspektrum des Lebens aufzunehmen, und nehmen jeden Teil davon ernst. Ironie ist nur ein Ausschnitt.



Freie Presse: Trotzdem hat man den Eindruck, dass es in eurer Musik ein verbindendes Gesamt-Element gibt, nämlich Melancholie…


Lowe: Ja, das stimmt! Im Prinzip ist das das Fundament für all unsere Musik, eine Spannung zwischen Melancholie und Euphorie. Das ist unsere spezielle Form der Dialektik!



Freie Presse: Insofern scheint mir das Album „Release“ aus dem Jahr 2002 eine eurer wichtigsten Platten zu sein, auch wenn sie vergleichsweise wenig Erfolg hatte…


Lowe: Es sind wirklich viele Stücke auf dieser Platte, die mir persönlich nach wie vor viel bedeuten, zum Beispiel „Home and Dry“oder „Love is a Catastrophe“, das ist einer meiner absoluten Lieblingstitel.



Freie Presse: Welche jungen Talente magst du im Moment?


Lowe: Die Killers machen tolle Songs, und auch die Arctic Monkeys finde ich großartig! Ich muss mir unbedingt ihre neue Platte beschaffen. Das läuft zwar alles unter Rock, derzeit ist eben Rockmusik groß. Aber für mich sind das einfach nur wunderbar griffige Popsongs!

Taken from: Freie Presse
Interviewer: Tim Hofmann”