Zwei Boys im besten Alter

Ihren ersten Hit hatten sie vor zwanzig Jahren.


Die Pet SHOP BOYS sind beständiger


als manche Ehe – und harmonischer sowieso




Sie sind die Gentlemen des britischen Dance Pop. Charmant, geistreich und auf vornehm zurückhaltende Weise blasiert.

In den zwanzig Jahren seit ihrem Debüt ‘West End Girls’ haben der ehemalige Musikjournalist Neil Tennant und sein

Bandkollege Chris Lowe weltweit über fünfzig Millionen Platten verkauft. Damit zählen die Pet Shop Boys zu den

erfolgreichsten Popbands aller Zeiten. Auf ihrem neunten Album ‘Fundamental’ (Rezension Seite 298) kombinieren

die Briten kühle Disco-Beats mit romantischen Orchesterklängen und philosophieren über die wechselseitige Beziehung

zwischen politischer Weltlage und privatem Mikrokosmos.


Ihre Single ‘Im with Stupid’ (der Dumme neben mir) klingt, als wäre Paris Hilton Ihre neue Muse.



Ist es schon so weit gekommen?



NEIL TENNANT: Das Verhältnis zwischen Tony Blair und George W. Bush, und wie es Blair geschadet hat, brachte uns

auf die Idee zu dem Song. Man kennt ja auch privat solche Paare, bei denen einer von beiden offensichtlich dümmer

als der andere ist. Wobei Bush klar die Paris-Hilton-Rolle einnimt. Aber er ist natürlich nicht so reich wie sie.

Ich hab sie bei den Brit Awards gesehen.



Sie sieht ganz hübsch aus.




‘Prominenz und Geld machen sexy’




CHRIS LOWE: Da hat sie so schön dreckig gegrinst. Sie ist bestimmt ein total verzogenes Gör. Ich finde sie richtig

klasse. Außerdem hat sie unglaublich viel Geld.



Prominenz und Geld sind also doch die ultimativen Erotikfaktoren?



LOWE: Na klar, das macht sexy.


TENNANT: Stimmt nicht. Würdest du etwa mit BEI Gates rummachen?


LOWE: Mmh, nee. Aber man sieht doch ständig superattraktive junge Leute, die mit hässlichen reichen Alten

zusammen sind. Leider bin ich keiner von denen. Wobei ich mich natürlich noch zu den jungen Leuten zähle.



zwangsläufig. Der Bandname verpflichtet schließlich.



LOWE: Der ist inzwischen ein Oxymoron: Wir sind ein Widerspruch in uns selbst geworden (lacht), so wie die

‘unbefleckte Empfängnis’.



Zum neuen Album: Songs wie ‘Psychologkai’ und ‘Integral’ klingen ja wirklich fruchteinflößend…



TENNANT Bei ‘Integral’ wollten wir ein Gefühl wie ‘1984’ von George Orwell erreichen. Es sollte wie eine Satire

auf den Faschismus klingen. Deshalb hat es diesen Marschrhythmus und dieses bombastische Streicherarrangement.

Und die Message dieses Songs ist die zynische Aussage,




‘Würdest du etwa mit Bill Gates rummachen?’




die man in Großbritannien gegenwärtig andauernd zu hören bekommt: Wenn du nichts Falsches getan hast, hast du

nichts zu befürchten! Was, bitte schön, ist falsch, wenn ein Mann wie, sagen wir mal, Erich Honecker meint: Wenn

du nichts Falsches getan hast, hast du nichts zu befürchten!



Na ja, seit dem 11. September wohl so ziemlich alles, was gegen die Vorstellungen der ‘Koalition der Willigen’

verstößt.



LOWE Richtig. Der Krieg gegen den Terror wurde dazu benutzt, immer mehr bürgerliche Freiheiten einzuschränken,

wie etwa das Demonstrationsrecht.


TENNANT Es geht um die gegenwärtige Angst, das ist Thema des Albums. ‘Integral’ etwa handelt von der Einführung

der elektronisch lesbaren ID-Cards. Eine beängstigende Vision, aber es scheint, als hätten sich die Leute schon

fast an solche Dinge gewöhnt.



Sie werden häufig als Zyniker beschrieben, der seine Gesellschaftskritik in Songtexten auslebt. Trifft

das?



TENNANT: Ja, und zwar zu (lacht). Zynismus ist die einzige Möglichkeit, distanziert, aber pointiert Dinge

aufzugreifen und zu kommentieren, die in unserer Gesellschaft alltäglich vorgehen. Viele Dinge begreife ich nicht,

vieles amüsiert mich, noch mehr ist abstoßend. Ich will nicht den Zeigefinger erheben, das passt nicht zu uns und

der Musik der Pet Shop Boys. Aber Leute mit passenden Worten auf ihre Doppelmoral hinweisen, das liebe ich.



Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu wechseln?



TENNANT Niemals! Dazu fühle ich mich viel zu sehr meinen eigenen, traditionellen Werten verpflichtet. Politik

ist eine noch größere Hure als das Popgeschäft.



Ein Journalist hat Sie einmal als den ‘Oscar Wilde der britischen Popmusik’ bezeichnet.



TENNANT Das ist eine Auszeichnung. Wilde steht für den Beginn einer neuen britischen Kultur, und da gibt es

durchaus Parallelen zu den Pet Shop Boys. Ich denke bei aller Bescheidenheit, auch wir haben mit unserem Konzept,

in die Musik auch Styling und Visuals einzubeziehen, schon zu Beginn der Neunzigerjahre Maßstäbe gesetzt und damit

Einfluss auf die Popmusik ausgeübt.



Sind die Pet Shop Boys heute noch einflussreich?



LOWE: Ich denke schon. Wenn ich in den Musikmagazinen blättere und lese, wie viele Newcomerbands immer wieder

mit uns verglichen werden, merke ich, dass wir einen gewissen Status, eine gewisse Berühmtheit erreicht haben.



Haben Sie Ihre Berühmtheit schon einmal ausgenutzt?



TENNANT: Mehr als einmal. Manchmal muss man aber auch gar nichts tun. Neulich habe ich für eine Modenschau in

Paris Einladungen und Plätze in der ersten Reihe bekommen. Da bin ich natürlich hingeflogen, aber die Plätze habe

ich gegen andere weiter hinten umgetauscht.



Wieso das? Die Plätze in der ersten Reihe sind doch die begehrtesten.



TENNANT: Aber nicht für mich. Ich mag es nicht, wenn mir fremde Leute auf den Hinterkopf schauen und dann flüstern:

‘Guck mal, der Tennant kriegt schon eine Glatze.’



Die Pet Shop Boys existieren seit über zwanzig Jahren. Gab’s eigentlich nie Streit?



TENNANT: Nein, nie. Wir haben ähnliche Interessen, viele gemeinsame Freunde, den gleichen Humor. Das funktioniert

wie eine gute Ehe. Auch, dass wir uns in manchen Dingen einfach gut ergänzen – Sie werden’s kaum glauben: Chris

redet gern, und ich höre gern zu.

Taken from: TV Spielfilm
Interviewer: U. Karg & S.P. Dressel