Yes, they can

Beim fulminanten Deutschland-Tourauftakt spielen die Pet Shop Boys


im Theaterhaus vor allem Titel ihres aktuellen Albums




Niemals nimmt Neil Tennant das Mikrofon beim Singen in beide Hände. Na und? Tja, eben darin liegt der Schlüssel zur Kunst der Pet Shop Boys. Anlass zu solch demonstrativer Besinnlichkeit gäbe es in den Texten des britischen Pop-Duos nämlich mehr als genug. Etwa, wenn Tennant in „Love etc.“, der vorletzten Single, alle unglücklich Liebenden etwas altväterlich tröstet: „I believe we can achieve the love that we need“. Oder wenn er im Pet-Shop-Boys-Standard „Heart“ aus dem Jahr 1987 klagt: „I’m in love with you, and you don’t know what it means to be with you“. Immer bleibt die linke Hand am Mikrofonständer oder ragt in die vielfarbig ausgeleuchtete Bühnenluft des ausverkauften Stuttgarter Theaterhauses. Nie aber schließen sich beide Hände um das Mikrofon, selbst die emotionalsten Textstellen trägt Tennant distanziert vor, ohne also Authentizität zu behaupten. Denn das wäre Kitsch, wäre Schlagergarten, wäre elende Hausmannskost. All das aber sind die Pet Shop Boys in rund 25 Jahren nie gewesen. Höchstens kitschig in ironisierenden Anführungsstrichen.




In etwas grobschlächtiger Form, nämlich als riesige Schulterpolster in Würfelform, haben sich Tennant und Keyboarder Chris Lowe diese Anführungsstriche an den Leib geschnallt, als sie die Bühne betreten. Da bejubelt das Publikum, vor zwei Jahren in der Liederhalle noch deutlich reservierter, schon die ersten Projektionen auf einer riesigen Wand aus weißen Karton-Würfeln. Auch die Köpfe der Musiker und ihrer vierköpfigen Tanzgruppe stecken zunächst in bunten Würfeln.




Im Zeichen des Würfels




Eines der anonymen Würfel-Männchen macht sich auf den Weg zu einer wuchtigen Schaltzentrale, die bunt blinkt und Computer und Synthesizer verbirgt. Dieser Würfel ist Chris Lowe. Eine andere Gestalt tritt in der Mitte vor. Sanft streicht der Leinenstoff seines Würfelkopfes über das Mikrofon. Aha, das ist Neil Tennant. Seine charakteristisch weiche Stimme lässt sich vernehmen, freilich weit hinter der anfangs zu stark nach vorne gemischten Grundierung aus Drum-Computer und Bass.




„Everytime I see you, something happens to me“, singt der Würfel. „Heart“ heißt das erste Stück des Abends, und tatsächlich wird das Konzert mit silberglänzenden Luftballon-Herzen rund eindreiviertel Stunden später beschlossen. Knapp zwei Dutzend Stücke liegen dazwischen. Die Würfelkostüme werden bald abgestreift, der Schwerpunkt liegt auf dem guten aktuellen Album „Yes“. Überhaupt präsentieren Lowe und Tennant kein Best-Of-Programm. Anders als noch auf der letzten Tournee nehmen sie kleinere Spannungs-Dellen in Kauf und verzichten auf Stücke wie „Opportunities“, „Rent“, „Domino Dancing“ oder „What Have I Done To Deserve This“. Was hier unter den Tisch fällt, reicht andernorts für ein ganzes Greatest-Hits-Album.




Denn man kann es nicht oft genug sagen: Auch wenn sich die Pet Shop Boys mit einer Gruppe junger Tänzer allzu offensichtlich eine Frischzellenkur verpassen wollen, kann von Abnutzungserscheinungen keine Rede sein. Frühere Weggefährten beschallen heute Bierzelte in der Provinz. Die Pet Shop Boys dagegen sind nach wie vor relevant.




Das liegt neben den konstant guten neuen Platten nicht zuletzt an den klugen Live-Shows, die unausgesetzt Pop-Geschichte zitieren und umschreiben, dabei aber auch gut unterhalten. Minimal Art hat Tennant und Lowe schon früher fasziniert. Mit der Würfel-Form haben sie nun ein visuelles Leitmotiv gefunden, das sich vom kleinen Pixel bis zum stabilen Bühnenpodest, vom CD-Artwork bis zum Konzert durchzieht. In mehreren Reihen stehen Würfel-Wände im Bühnenhintergrund: als glatte oder zerklüftete, jedenfalls ständig veränderte Projektionsfläche, die den Bühnenraum nach hinten und nach oben differenziert. Die Projektionen beschränken sich neben nichtigem Tanz aufs Wesentliche. „Love etc.“ etwa wird mit Herzen, Kleeblättern, Dollarzeichen und Totenschädeln illustriert.




Neue Hit-Arrangements




Auch ihre Lieder zerlegen die Pet Shop Boys in frei kombinierbare Bausteine, die sie mal glatt, mal kantig neu zusammensetzen, ohne dabei in dylaneske Extreme zu verfallen. So spielen sie den aktuellen Titel „Building A Wall“ nur bis zum ersten Refraindurchlauf, dann kippt die gewaltige Würfelwand nach hinten weg. Zwei Tänzer in leuchtendem Rot erklimmen die stehengebliebenen Stümpfe, während Lowe ganz unvermittelt „Go West“ einleitet. Das Konzert in Stuttgart war der erste Deutschland-Termin der Tournee. Doch in Gedanken, das zeigen diese stimmig arrangierten Anspielungen auf das Jahr 1989, sind die Pet Shop Boys schon lange hier.

Taken from: Eßlinger Zeitung
Interviewer: Jan-Arne Sohns