Wir sind unverwüstlich

Mit ihrem neuen Album ‘Electric’ kehren die Pet Shop Boys auf die Tanzfläche zurück. Ein Gespräch über Dance Music, David Beckham und teure Privatclubs.




DIE ZEIT: Mr. Tennant, Mr. Lowe, auf Ihrem letzten Album klangen Sie wie zwei Disco-Melancholiker, die sich zu elegischen Rhythmen Gedanken über das Verrinnen der Zeit machen. Jetzt rattern plötzlich wieder die Beats. Was ist passiert?


Neil Tennant: Das wissen wir auch nicht so genau. Immer wenn wir in die eine Richtung gehen, entsteht automatisch etwas, das in die Gegenrichtung führt. Nach der nachdenklichen Phase mit dem Album Elysium schlug das innere Pendel diesmal eben wieder in Richtung Dancefloor aus. Es ist ein Pet-Shop-Boys-Naturgesetz, wir können nichts daran ändern.


ZEIT: Wollten Sie dem Alterswerk noch einmal entkommen?


Tennant: Nein, wir sind so alt, wie wir sind.


Chris Lowe: Oder älter.


Tennant: Es stimmt aber, dass wir mit dem neuen Album Electric eine Menge Ballast abgeworfen haben. Es gibt weniger Text. Die Songstrukturen sind viel freier.


Lowe: Nicht immer nur Strophe, Refrain, Strophe, sondern ein durchgehender Flow.


Tennant: Wir sind auf unsere alten Tage experimentell geworden! Wie gesagt, geplant war das nicht, es ist einfach passiert, doch wenn uns während der Produktion etwas vorschwebte, dann war es die elektronische Tanzmusik der frühen Achtziger. Ich liebe diese sanft pulsierenden Basslinien, die kleinen Discoglöckchen, den Raum, den die Musik sich nimmt. Bei Axis, dem Eröffnungsstück, habe ich an die frühe Madonna gedacht: (haucht) ‘Turn it on! Electric energy!’ Mit etwas Hall drüber ist das genau der Sound.


ZEIT: Das hört sich nicht nach Aufbruch an, sondern nach Wissenschaft: Disco mit Fußnoten.


Tennant: Wirklich? Nun, es gibt jede Menge Referenzen auf Electric, in den Texten genauso wie in der Musik. Wenn man das konsequent durchgehen und Stück für Stück aufführen würde, käme tatsächlich ein riesiger Anmerkungsapparat zusammen. Falls Sie also auf so etwas abfahren, bitte. Uns ging es bloß darum, den Pionieren der Dance Music unseren Tribut zu zollen, Leuten wie Patrick Cowley, der große schwule Dancefloor-Hymnen geschrieben hat, oder Donna Summer. Donna, wir werden dich immer in Ehren halten!


ZEIT: Sind Sie inzwischen mehr Kuratoren als Musiker?


Tennant: Nein. Wir sind immer noch auf der Seite der Künstler.


ZEIT: Was ist aktuell geblieben am Sound der frühen Achtziger?


Tennant: Die Wärme, die er ausstrahlt. Das mit nichts zu vergleichende Gefühl, Teil einer tanzenden Menge zu sein. Die unkomplizierte Art, Spaß zu haben, indem man alles andere für einen Moment aufgibt. Die Befreiung vom Alltag durch die Musik… Chris, hab ich was vergessen?


Lowe: Als wir das erste Mal nach New York kamen, waren die Radiostationen steif und weiß. Mit Disco hat sich das alles verändert.


Tennant: Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass die Bee Gees einmal uncool waren. Aber das waren sie damals: Witzfiguren in zu engen Hosen.


Lowe: MTV weigerte sich, Videos von Diana Ross zu spielen!


ZEIT: Trauern Sie der Zeit nach, als die Dance-Kultur noch subversiv war?


Tennant: Nein. Aber man muss hin und wieder daran erinnern.


ZEIT: Wann waren Sie das letzte Mal selbst tanzen?


Lowe: Oh, vor ein paar Tagen erst, in Bogotá, Kolumbien. Wir sind da zufällig an einem Freitag gelandet, nachdem wir vorher durch Chile, Argentinien und Brasilien getourt waren. Und da war dieser Reggaeton-Club. Wahnsinnig toll, die Musik, sehr sexy.


Tennant: Ich war an dem Tag krank. Erkältung.


ZEIT: Ist Neil ein guter Tänzer?


Lowe: Ich weiß nicht, ob man das Tanzen nennen kann, was Neil macht. Es ist mehr … nun ja, eine Art Schwingbewegung, von der einen Seite zur anderen.


ZEIT: Können Sie ein bisschen konkreter werden?


Tennant: (lacht) Ich denke, das war konkret genug.


ZEIT: Wie lebt es sich heute so als Pet Shop Boy? Glamourös?


Lowe: Wir machen die meiste Zeit, was alle machen: E-Mails beantworten, Telefoninterviews mit Japan führen, Pressearbeit. Dann eine Stunde Mittagspause und anschließend noch mehr Pressearbeit. Ziemlich unspektakulär.


ZEIT: Und an den Abenden? Sagen Sie sich: Lass uns mal wieder unseren alten Freund Elton anrufen, er soll gerade in der Stadt sein?


Lowe: Nein. Aber es gab mal eine Zeit, wo es in die Richtung ging, in den Neunzigern, als britischer Dancefloor und Britpop zusammenkamen. Damals gab es eine neue, aufregende Szene in London, vor allem in Soho.


Tennant: Man ging einfach in den Groucho Club in der Dean Street, bestellte einen Drink, und schon lief einem Sam Taylor-Wood über den Weg.


Lowe: Oder Tracey Emin.


Tennant: Verschiedene Mitglieder von Blur.


Lowe: Robbie schaute öfter mal vorbei.


Tennant: Stimmt, der junge Robbie Williams – damals hat er noch in einem ungesunden Ausmaß getrunken. Damien Hirst, hab ich den schon erwähnt? Eine gute Mischung aus Musikern, Regisseuren und Kunstleuten. Im Nachhinein denke ich, das war der Höhepunkt, was Clubbing in London anbelangt, es war alles irgendwie informell, noch nicht so nach Bedeutung und Status sortiert. Wie alles Verrückte hat es nicht überdauert.


ZEIT: Was hat sich verändert?


Tennant: Dieses Kunst-Ding ist plötzlich so riesig geworden. Inzwischen ist Ausgehen ein Teil der Geldkultur. Überall reiche Leute. Und Kinder von reichen Leuten. Es geht nicht mehr um Befreiung, es geht darum, sich vor anderen zu zeigen.


Lowe: Die Sache mit den teuren Privatclubs hat überhandgenommen: Du zahlst deinen Beitrag und bist dann nur noch unter deinesgleichen.


Tennant: Widerwärtig.


Lowe: Stinklangweilig!


Tennant: Die Banker und Oligarchen sind an allem schuld.


Lowe: (lacht) Du sagst es, Banker und Oligarchen!


ZEIT: Haben Sie deswegen neuerdings einen Zweitwohnsitz in Berlin?


Tennant: Berlin hat tatsächlich den Vorteil, dass Geld dort noch nicht die Hauptrolle spielt. Außerdem habt ihr Deutschen so einen rührenden Hang zum Traditionellen, ihr sperrt noch immer am Sonntag die Läden zu! Ach, ich liebe Sonntage, wo alles geschlossen ist! Endlich Zeit zum Nachdenken! Ich wünschte, in London wäre es genauso. Aber in Chelsea, wo ich wohne, gibt es nur noch Samstag und Samstag, part two. Deutsche, lasst euch gesagt sein: So etwas verändert eine Kultur. Hinterher ist nichts mehr wie zuvor.


ZEIT: Sie sind unverbesserliche Romantiker.


Tennant: Stimmt. Man verbucht uns immer unter ‘ironische Band’. Nicht dass wir das nicht wären, der große Teil unserer Songs ist sogar hochironisch. Doch die meisten überhören, was darunterliegt.


ZEIT: Wie sieht eine ideale Party für Sie aus?


Lowe: Alle Geschlechter, alle Arten von Sexualität zusammen in einem Raum. So wie es in den besten Clubs immer war: ein einziges großes Durcheinander.


Tennant: Die richtige Mischung ist wichtig. Leute in Abendgarderobe auf der einen Seite, Künstler, Selbstdarsteller, meinetwegen auch ein paar Wichtigtuer, und auf der anderen Seite ein Haufen schwuler Jungs mit nichts als einem knappen Höschen an und Rollerblades an den Füßen. Mit so einem Mix kann man alles aus den Angeln heben.


ZEIT: Was ist, wenn einem knappe Höschen und Rollerblades irgendwann nicht mehr stehen? Auf Ihrem letzten Album hatten Sie den Song Invisible …


Lowe: Merkst du’s? Er will über das Altern sprechen.


Tennant: Soll er doch. Die Idee zu Invisible kam mir beim Zeitunglesen. Da erzählte eine Frau von ihren Erfahrungen beim Ausgehen und kam zu dem Schluss: Wenn du als Frau über 45 eine Party besuchst, ist es, als wärst du unsichtbar. Ich dachte: Wenn du als Mann in dem Alter eine Party besuchst, fühlt es sich nicht so viel anders an. Wenn du als schwuler Mann über 45 in einen Schwulenclub gehst, ist es nicht nur, als wärst du unsichtbar, du bist es. Definitiv. Außer natürlich, man ist einer von den Pet Shop Boys.


ZEIT: Das klingt bitter.


Tennant: Ist es. Ein bisschen wie in diesem Film, The Sixth Sense, wo einer als Geist herumläuft: Er kann die anderen Menschen sehen, sie ihn jedoch nicht. Aber ich denke nicht 24 Stunden am Tag darüber nach. Dazu fehlt mir die Zeit.


ZEIT: Mochten Sie die Bowie-Single Where Are We Now?


Tennant: Aber ja, toller Song. Wie er mit den Toten spazieren geht. Besonders die Zeile ‘The moment you know you know you know’ ist eine seiner besten. Man ist es einfach nicht gewohnt, dass David Bowie sich zerbrechlich gibt. Da ist er es ausnahmsweise einmal. Das verleiht dem Song eine Nahbarkeit und Wärme, die dem Rest des Albums fehlen.


ZEIT: Sie haben ähnliche Zeilen: ‘All the people I’ve been kissing, some are dead and some are missing’.


Tennant: Stimmt. Aber Bowie ist ein bisschen direkter.


ZEIT: Ist Altern in der Dance-Kultur schwieriger als im Rock ’n’ Roll, wo es inzwischen ein Gütesiegel darstellt, im Rentenalter immer noch munter dabei zu sein?


Tennant: Die Dance-Kultur gibt es jetzt auch schon seit Jahrzehnten. 1981 haben Chris und ich uns das erste Mal ins Londoner Nachtleben gestürzt. Wenn wir heute zusammen ausgehen, treffen wir manchmal immer noch auf dieselben Leute. Sie sind einfach da und machen weiter. Unsere Generation ist unverwüstlich. Das mögen wir an ihr.


ZEIT: Dann haben Sie nie daran gedacht, sich zur Ruhe zu setzen?


Tennant: Nein, wir machen immer nur Pläne fürs laufende Jahr.


ZEIT: Sogar David Beckham hat vor Kurzem seine Karriere beendet.


Tennant: Als Fußballer! Das zählt nicht.


Lowe: Wenn er irgendwann aufhört, Werbung für Unterwäsche zu machen, können wir noch mal darüber reden.

Taken from: Die Zeit
Interviewer: Thomas Groß