Wir lieben den Widerspruch



Die Pet Shop Boys hatten schon immer einen Sinn


fürs Ausgefallene. Ihre Videos sind Kunstwerke –


sophisticated, very stylish und very British.


Und die Tourneen erinnern an opulente Inszenierungen


zwischen Las-Vegas-Show und Theater.


Für die Präsentation ihres neuen


Albums ‘Nightlife’ ließen sich Neil Tennant und


Chris Lowe wieder etwas Skurilles einfallen:


Holger Erdmann besuchte sie im leerstehenden ehemaligen


Hotel St. Pancras Chambers beim Londoner Kings Cross…



Dem Einlass durch das Absperrgitter geht ein penibler Personencheck voraus. Es folgt ein langer Weg durch die morbide einst imposante

Lobby, in der jeder Schritt nachhallt. Wieder ein Security-Mensch. Er verweist in den dritten Stock. Oben endet der Weg vor einer

schweren Holztür. Klopfen, die Tür öffnet sich knarrend. Ein Blick ins Schwarze. Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit.

Plötzlich lautes Hundegebell – aus dem Lautsprecher. Sehr komisch! Am anderen Ende des langen Ganges läuft das Video zu

‘New York City Boy’. Da öffnet sich eine Tür und dahinter sitzen die Pet Shop Boys – und grinsen. ‘Ist doch mal was anderes’, sagen sie.

Und haben damit zweifellos recht. ‘Es macht uns eben Spaß mit verschiedenen Images zu spielen’, fügt Neil Tennant hinzu.



‘Es macht uns Spaß, mit verschiedenen Images zu spielen’



Dass bei der Kreation der ständig neuen Rollen nicht alles ernst gemeint ist, zeigte sich gerade beim Video zur neuen Single

‘I Don’t Know What You Want But I Can’t Give It Anymore’, in dem sich Tennant und Lowe in superweiten Samurai-Hosen präsentieren.

‘Der Samurai-Kult interessiert uns eigentlich wenig, aber es macht Spaß diese Klamotten zu tragen, weil sie ein Gefühl von Macht

ausstrahlen’, erzählt Neil Tennant lachend. ‘Sie sehen sowohl maskulin als auch irgendwie feminin aus. Wir mögen den Widerspruch darin.’

Ein Widerspruch scheint auch der Songtitel zu sein. ‘Es geht um das Ende einer Beziehung, in der beide Partner nicht mehr miteinander

kommunizieren können. Es geht letztlich um eine gescheiterte Kommunikation’, erklärt Neil Tennant. Und auf die Frage, wie oft er selbst

schon gesagt hat: ,Ich weiß nicht, was du willst, aber ich kanns dir sowieso nicht mehr geben’, antwortet er: ‘Ich glaube zweimal.

Ich habe nicht dieselben Worte gesagt, aber so ähnlich.’

Die Liebe ist halt ein schwieriges Gebiet – auch für die Pet Shop Boys. So steht dieser Song in der Tradition vieler Songs des britischen

Popduos. Und in diese Reihe gehört auch ‘In Denial’, ein Vater-Tochter-Duett mit Kylie Minogue. ‘Der Vater ist schwul und er hat seine

Tochter seit ihrer Geburt nicht mehr gesehen. Sie billigt seinen Lebensweg nicht. Es ist schon ein ziemlich schräger Song. Kylie musste

sich erstmal damit auseinander setzen, bevor wir den Song aufgenommen haben. Aber sie klingt großartig. Ich hatte vorher ein paar

Bedenken, ob unsere Stimmen zusammenpassen würden. Aber es hat gut funktioniert.’

Das Duett mit Kylie Minogue ist nicht der einzige Song mit schwulem Bezug – auch in ‘Boy Strange’ und ‘New York City Boy’ mit den

Village People im Background finden sich Homo-Themen. ‘Natürlich schreibe ich oft über schwule Themen’, meint Tennant,

‘aber unsere Songs sind nicht vorrangig und schon gar nicht ausschließlich für Schwule. Wir halten eine Zuordnung von Musik aufgrund

der Sexualität sowieso für Schwachsinn.’

Tennant ist auch strikt dagegen, dass Leute gegen ihren Willen geoutet werden. ‘Ich finde, es muss der Entscheidung jedes Einzelnen

überlassen bleiben, ob man sich offenbart. Es gibt eigentlich nur eine Ausnahme, die ein öffentliches Outing rechtfertigt und zwar,

wenn ein schwuler Politiker eine antischwule Politik betreibt, oder ein Priester oder Bischof gegen die Schwulen wettert und selbst

schwul ist. Ansonsten hat jeder das Recht auf seine Privatsphäre.’



‘Unsere Songs sind nicht ausschließlich für Schwule’



Tennant und Lowe selbst sprechen Klartext, wenn es um schwule Themen geht. Schon 1990 beschäftigten sie sich in dem Song ‘Being Boring’

mit Aids. ‘In Großbritannien hat die Regierung in den 80ern sehr viel für die Aids-Aufklärung getan. In den 90ern scheint das Thema in

den Hintergrund getreten zu sein. Ich denke aber, dass die Aufklärung weiter enorm wichtig ist, weil Aids immer noch die häufigste

Todesursache von Männern in London ist. Besonders unter jungen Schwulen ist die Infektionsrate wieder stark angestiegen. Deshalb muss

die Aufklärung weitergehen. Vor allem in Afrika, wo Aids viel schlimmer wütet als in Europa.’



‘Die Aids-Aufklärung muss weitergehen’



In den vergangenen drei Jahren haben sich die Pet Shop Boys auch mit der Arbeit am ersten eigenen Bühnenstück befasst. Das soll Ende

2000 in London uraufgeführt werden. ‘Wir haben das Musical fast beendet. Aber im Theater geht alles viel langsamer als in der Popmusik.

Es geht wirklich sehr, sehr langsam – in Bezug auf die Planung, die Finanzierung usw. Wir müssen sehen, wie es läuft.’ Mehr will

Neil Tennant noch nicht verraten.

Bevor die Pet Shop Boys aber Musical-Premiere feiern, kommen sie Ende November für sieben Konzerte nach Deutschland: ‘Die neue Show wird

von der Architektin Zaha Hadid designt. Sie ist eine sehr avantgardistische Architektin. Sie baut gerade an Projekten in Berlin und in

Rom. Sie ist eine der innovativsten Architektinnen unserer Zeit. Deshalb haben wir sie gefragt – auch, weil unsere bisherigen Shows sehr

theatralisch waren. Wir wollen diesmal etwas ganz anderes einbringen.’ – Die Fans sind jetzt schon gespannt…

Taken from: Sergej
Interviewer: Holger Erdmann