Willkommen in der Elektrowunderwelt






Ein Herr in Frack und Zylinder betritt ein illuminiertes, an Kasimir Malewitsch erinnerndes eingelassenes Quadrat im hinteren Bereich der Bühne, gemeinsam mit einem Mann in einer quietschgelben Sportjacke. Es sind, unübersehbar, die Dresscode-Insignien des Künstlerduos Neil Tennant und Chris Lowe. Die beiden treten nach vorne an den Bühnenrand ab, zwei weitere Herren in Frack und Sportjacke finden sich nun dort ein. Auch sie treten ab, schließlich steht in dem Quadrat ein drittes dieser ungleichen Männerpaare. Jetzt sind sie es wirklich, die beiden britischen Musiker, die sich zu Beginn dieser Inszenierung je zwei Doppelgänger mitgebracht haben, um . . . ja: um zu zeigen, dass hier Musik tatsächlich inszeniert wird.




Sie wird in Szene gesetzt, nicht gespielt. Chris Lowe steht fortan vor einem Laptop und einem Keyboard, Neil Tennant singt – Musiker indes gibt es auf der Bühne keine. Nun ist zwar bekannt, dass die Pet Shop Boys im Grunde genommen Studiomusiker sind, dass ihre Songs am Laptop entstehen, Resultat nicht der kollektiven Arbeit einer Band sind, sondern von diesem Duo am Reißbrett entworfen werden. Dennoch irritiert der Anblick eines Konzerts ohne Musiker, er weckt Assoziationen an Playbackshows.




Aber vielleicht kann und soll dies ja eine subtile Anspielung oder ein Verweis dieser beiden kunstsinnigen Musiker sein: auf Walter Benjamins Thesen vom Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, auf die Austauschbarkeit alles und jeden in unseren Zeiten, in denen man kein Instrument mehr, sondern nur noch ein Computerprogramm beherrschen muss, um sich musikalisch auszudrücken.




So ist es allerdings eben doch wieder nicht. Denn was den Künstler vom Kretin unterscheidet, wird offenbar: ‘Left to my own Devices’ als zweites, ‘Suburbia’ als viertes Lied geben am Sonntagabend schon mal die Marschrichtung vor, ‘Rent’, ‘Heart’ und ‘Numb’ kommen noch in der ersten Konzerthälfte, fünf exzellente Popmusikstücke, die allein den Ruf der Pet Shop Boys als herausragende Formation begründen könnten. ‘Se a vida e’, ‘Flamboyant’, ‘Home and dry’ aufeinander folgend direkt danach – noch drei so Kracher. Und schließlich, einer perfekten Choreografie folgend, wiederum nahezu hintereinander die flotteren Nummern ‘Always on my Mind’ und ‘West End Girls’ sowie zur Zugabe ‘It’s a Sin’ und ‘Go West’ – erneut vier Lieder, bei denen jede andere Popband froh wäre, wenn sie nur eins von ihnen im Repertoire hätte.




Ein ganzes Dutzend Welthits, wobei sie noch nicht einmal alle ihre Hits gespielt haben, servieren die Pet Shop Boys in einem ausufernden, zweistündigen Konzert. Und so sehr man sich auch über die – bei allerdings hervorragender klanglicher Qualität – musikalische Umsetzung wundern könnte: die optische Begleitung ist perfekt. Das malewitschsche Quadrat weitet und verengt sich zu Rechtecken, fantasievoll wird mit den Lichteffekten gespielt, die Videoeinspielungen harmonieren so prachtvoll mit den Songs wie die Einlagen der vier Begleittänzer, als die sich die Doppelgänger herausstellen sollen. Alles ist stimmig, witzig und anspielungsreich gestaltet (zu ‘I’m with stupid’ flattert der Sternenbanner über die Leinwände), im Design und Styling ist es zeitgemäß und ambitioniert. Es vermittelt den Eindruck einer in sich geschlossenen Show, bei der nicht einmal stört, dass es mehr Umkleidepausen gibt als bei den Auftritten mancher amerikanischer Popmusikdiva.




Geschickt streuen sie in den Reigen der alten Klassiker ein paar neuere Stücke ein. Alles in allem ist das Konzert aber eher eine Reminiszenz an die Vergangenheit, die dann doch heller strahlt als die Gegenwart. Verklärt wird sie zwar nicht, diese Vergangenheit, aber doch sieht man, dass selbst eine so große Band wie die Pet Shop Boys von ihr zehren muss. Die – laut Veranstalterangaben – lediglich zweitausend Zuhörer im bei Weitem nicht ausverkauften Beethovensaal, der ja nicht die größte Arena dieser Stadt ist, sprechen eine deutliche Sprache. Sie sind, der tosende Beifall kündet an den entscheidenden Stellen davon, nicht wegen des aktuellen Albums der Pet Shop Boys gekommen, sondern genau der alten Hits wegen. Sie wollen in der Vergangenheit schwelgen, sich noch einmal der musikalischen Wegbegleiter ihrer Jugend erinnern. Und genau dieses nostalgische Futter bekommen sie auf dieser Tour von den Pet Shop Boys auch serviert.




‘Being Boring’, die Hitsingle der Pet Shop Boys aus dem Jahr 1990, kommt schließlich als zweite Zugabe. ‘We were never being boring’ heißt es darin, und das waren sie an diesem kurzweiligen Abend auch zu keiner Zeit. Dennoch bleibt diese Show für sich ein Artefakt, mehr die Inszenierung einer Wunderwelt denn ein Konzert. Wenn jemand auf die Idee käme, eines Tages einmal ein Pet- Shop-Boys-Musical zu schreiben: er würde es vermutlich genau so konzipieren.

Taken from: Stuttgarter Zeitung
Interviewer: Jan Ulrich Welke