Von der Südkurve zum Richter-Fenster

Die Pet Shop Boys waren in Köln. Im ausverkauften Palladium stellten die Briten das aktuelle Album „Yes“ vor – und veredelten ihren kühlen Synthie-Pop mit einer spektakulären Videoshow.




Wie erhaben kann Kitsch klingen? Wie tiefsinnig kann man die Liebe zur reinen, glänzenden Oberfläche veräußern? Es gibt nur fünf Menschen auf dieser Welt, die auf diese Fragen schlüssige Antworten formuliert haben: Andy Warhol, Madonna, Jeff Koons – und Chris Lowe und Neil Tennant, die Pet Shop Boys.




Das Elektronik-Duo hat dieses Frühjahr, im 28. Jahr seines Bestehens , mit dem affirmativ betitelten „Yes“ eines der besten Alben seiner Karriere veröffentlicht. Voller allgemein gültiger Melodien, die man je mach Gusto als leicht zynische Meta-Kommentare zum Popgeschehen oder als innig empfundene Klischees verstehen, als Fußballstadion- oder als Schwulendiscohymnen hören kann. Oberflächlich und wahr, vorhersehbar und aufregend, wie Neil Tennant in „All Over The World“ singt. Mehr Kunst kann man von Pop nicht verlangen.




Dementsprechend groß ist die Vorfreude auf die „Pandemonium“-Tour zum Album, die die Pet Shop Boys am Mittwochabend ins ausverkaufte Kölner Palladium führte. Die Kunst enttäuschte nicht: Die Boys und zwei (später vier) Sänger und Tänzer in Personalunion – auch hier muss vernünftig gewirtschaftet werden – erscheinen mit bunten über den Köpfen gestülpten Kuben und seltsam eckigen Kostümen vor einer mit vielfarbigen Quadraten angeleuchteten Wand aus weißen Pappkartons. Wer will, darf Oskar Schlemmers Triadisches Ballett, Gerhard Richters Kölner Domfenster und Warhols Brillo-Boxen assoziieren. Doch bevor man den Pet Shop Boys bildungsbürgerliches Strebertum nachsagen kann, verflüssigen sich die Zitate. Erinnert das Schlemmer-Ballett plötzlich doch eher an die schulterwattierte Power-Dressing-Mode aus dem Denver-Clan, lösen sich die Richter’schen Farbflächen zum Tetris-Spiel auf oder verschieben sich zauberwürfelartig im Raum.




Die Trivialisierungsmaschine läuft und spuckt Songs in reinster Warenform aus, wunderbar rundgelutscht. Selbstredend führen Tennant und Lowe ihr Publikum gewohnt geschmackssicher durch diesen Referenzdschungel, animieren es mühelos zum Mitklatschen – ein Popkonzert ist ja keine Kunstgeschichtsvorlesung. Dazu müssen sie sich nur auf lang erprobte Art ins Bild setzen: als Gilbert & George des Chartspop. Lowe verharrt mit dicken Kopfhörern und schwarzer Sonnenbrille hinterm DJ-Pult , Tennant lässt sich in der Bühnenmitte umtanzen, ahmt bestenfalls ungelenk die Schritte nach. Erst als sich ihre Vorstellung von Inszenierung gegenfinanzieren ließ, begann das Duo regelmäßig zu touren, Jahre nach seinen ersten großen Hits. Nur zwei recht unglamouröse Männer und ein Keyboard, das wollten sie ihrem Publikum nicht zumuten. Heute jubelt die Masse dafür bereits, wenn sich der stoische Lowe für wenige Sekunden hinter seinem Pult hervorwagt und ebenfalls zu einem Tänzchen hinreißen lässt.




Zuerst kann der Klang noch nicht mit der Brillanz der Inszenierung mithalten, „Heart“, die aktuelle Single „Did You See Me Coming“ und „Loves Comes Quickley“ verhallen in dumpfer Großraumdisko-Atmosphäre, mit „Love etc.“ – einem Instant-Klassiker im Pet-Shop-Boys-Kanon – finden Bild und Ton endlich zusammen. Bald darauf tragen Lowes majestätisch marschierende Synthie-Melodien und Tennants durchdringender, nasaler Tenor jede überflüssige Reflexion in Wellen von Liebe hinweg. Glück ist referenzlos, Glück ist trivial. Und wenn auf eine in sich gekehrte Music-Hall-Nummer wie „Jealousy“ das mächtige „Suburbia“ folgt und in einer kein Pathos scheuende Keyboard-Coda von Chris Lowe endet, dann sind das Pet Shop Boys in einer Nussschale: die Operette ist ihr Gospel, der Italo-House-Track ihr „Hell’s Bells“.




Vor Jahren hatten sie U2s „Where The Streets Have No Name“ im Medley mit Frankie Vallis „Can’t Take My Eyes Off You“ gründlich entrockt. Im Palladium schließen sie Coldplays „Viva La Vida“ an die eigene All-inclusive-Urlaubshymne „Se a Vida é“ an und holen einmal mehr mitreißenden Stadionrock auf die angenehm klimatisierte Tanzfläche. Denn ihre Inbrunst schwitzt nicht.




Zur ersten Zugabe singt Tennant – jetzt ganz nah am Pult des musikalischen Partners stehend – „cause we were never being boring“ und man begreift, was es heißt, 28 Jahre auf steilster Welle des Pop-Diskurses zu segeln. Als bekennend langweilige Typen nie langweilig zu sein. Wir hatten einfach zu viel Zeit, uns selbst zu finden, fügt Tennant zur Begründung an. So viel Hörens-, Sehens- und Feiernswertes muss man aber erst einmal zu suchen wissen, so tief in sich drin.

Taken from: ksta.de
Interviewer: Christian Bos”