Schwitzender Popstar zum Anfassen

Das Konzert der Kult-Pop Gruppe Pet Shop Boys


im Beethovensaal der Liederhalle




Das Licht geht aus. Ein paar kunstvoll-künstlich arrangierte Rückkopplungsgeräusche und rätzelhaft zuckende

Lienien auf der Leinwand erhöhen noch einmal die Spannung. Doch dann quellen satt synthetische Klänge und

Chöre in den Beethovensaal. Die Show beginnt. Die Stars treten auf. Sie sind heute Abend zwei auf einer

riesigen Projektionsfläche rotierende Videoköpfe, denen das Publikum begeistert zujubelt, jawohl, einen

ganzen Song lang. Ein Spaß, ein Gag? Oder Zeichen, Artefakt mit symbolischer Bedeutung?


Die Pet Shop Boys haben immer das ironische Spiel der Ebenen dazwischen geliebt, weshalb sie ja über die

Jahre zur Band derjenigen Intellektuellen geworden sind, die als Nichttänzer immer mal so richtig discomäßig

abhotten wollten. Aber auch die Hausfrau hat neben dem Bügeln her stehts ihre helle Freude gehabt an ihren

herrlich platten Popsongs mit diesen sich so großartig anbiedernden Refrains. Hitparadenfutter mit Hirn, Pop

der Postmoderne: diese Pet Shop Boys sind in den letzten 15 Jahren längst zu einem Markenzeichen geworden,

das globalen Umsatz garantiert. – Doch dann fällt der Vorhang, und zum Vorschein kommen zwei Vogelscheuchen

mit steiler Punkfrisur, die wohl Neil Tennant und Chris Lowe darstellen sollen. Der eine stolziert mit dem

Micro auf einer sehr futuristisch anmutenden Brücke daher, während der andere mit stohischem Gestus

Keyboardtastaturen greift.


Sie sind es, ohne Zweifel, und diese Show muss ‘Nightlife 2000’ heißen. Schließlich haben alle im Saal dafür

bezahlt, ja, sie haben eine kurzfristige Absage und Verschiebung des Konzerts in Kauf genommen, um nun endlich

den beiden leibhaftig anwesenden Popgöttern im Original zu huldigen. Stilprägend waren die beiden, gewiss,

und über die Jahre haben sie so viele Nachahmer gefunden, dass sie jetzt sogar ihre eigenen Kopien sein könnten.

Doch diese typische Neil Tennant Stimme mit ihrem melancholischen Timbre hat etwas sehr Menschliches und liegt

manchmal sogar ganz, ganz leicht neben dem perfekten Vielklang der Maschinen, den die Pet Shop Boys für diese

Tournee neu haben arrangieren lassen von ihrem musikalischen Direktor, der ein tüchtiger Computer-Spezialist

sein muß und Peter Schwartz heißt.


Ob er die beiden Hauptfiguren als ‘Human Factor’ in die Show einprogrammiert hat? Ihre Bewegungen sind ohnehin

recht sparsam, und der Ansagetext Neil Tennants, der ‘ein paar Songs über Liebe und Sex, Geld und Tod’

verspricht, passt in den Speicher jedes Heimcomputers. Schon kommt ‘West End Girls’, jener Song, mit dem die

Pet Shop Boys 1986 ihren ersten großen Erfolg landeten: ein Evergreen und in die Gehirne gebrannter Gassenhauer

des Elektropop, der das Publikum so richtig auf Touren bringt.


Auf die Bühne wackelt dazu, choreografisch fein abgestimmt, eine vierköpfige Hilfstruppe. Geschickt mischt das

Programm nun neuere Songs mit älteren. Die Bässe pumpen der Rhythmus hämmert, Dusty Springfield aus dem

Jenseits gibt ein Gastspiel auf der Videowand mit ‘What Have I Done To Deserve This?’, und alles klingt so

richtig süffig eingängig, als plötzlich eine schnöde Ansage zwanzig Minuten Pause gebietet.


Ein Stilbruch? Aber nein, diese Pet Shop Boys haben sich wie immer etwas dabei gedacht und treten im zweiten

Teil der Show als sie selbst auf, mit schütterem Haupthaar und alltagstauglichen Regencapes. Neil Tennant nimmt

nun sogar die Akustikgitarre zur Hand und gibt freundliche Countrysongs zum besten. Gleich anschließend

hämmern mit deutlich erhötem Fonpegel zu ‘Always On My Mind’ die Elvis-Erinnerungen, und mit ‘It´s A Sin’

spielt Tennant gar den schwitzenden Popstar zum Anfassen. Nur dass die Pointe nicht zündet und als plumpe

Anbiederung in sich selbst zusammenfällt.

Taken from: Stuttgarter Nachrichten
Interviewer: Ulrich Bauer