Pop und Art oder umgekehrt?

In den 80er Jahren waren die Pet Shop Boys


nicht nur extrem erfolgreich, sondern galten


auch als innovativ und richtungweisend.


Das würde heute keiner mehr ernsthaft behaupten.




Die Mode in der Musik bestimmen längst andere und auch die Pet Shop Boys selbst wissen, dass sie ihre größten

Erfolge bereits gehabt haben. Zeit für die ultimative Best-Of-Kollektion also. Sie heißt ‘PopArt’ und kommt als

Doppel-CD mit 35 Songs und als DVD mit allen Videos und drei Stunden Kommentar auf den Markt. Macht es überhaupt

Sinn, eine neue Hit-Sammlung herauszubringen, wenn die ganz großen Erfolge wie ‘West End Girls’ oder ‘Its A Sin’

sowieso schon auf dem zwölf Jahre alten Best-Of-Album ‘Discography’ drauf sind?




Das Rebellische weicht reifer Besonnenheit




Sänger Neil Tennant sucht behutsam nach Worten. Sicher, die ersten Jahre waren deutlich erfolgreicher, räumt er

ein. ‘Die neue Kollektion aber beweist kontinuierlich gute Songschreiber- Qualitäten, und das ist noch wichtiger.’


Die Songs sind nicht mehr chronologisch geordnet, sondern bunt gemischt. Nach ‘West End Girls’ kommt jetzt ‘I Get

Along’ aus dem Jahr 2002, nach ‘Heart’ die neue Single ‘Miracle’ – und es funktioniert. Man spürt bei den eingängigen

Melodien keinen Bruch zwischen mehr und weniger erfolgreichen Titeln von einst und jetzt, wenn auch einen Unterschied.

Die alten Songs klingen intensiver, härter, Tennants Stimme druckvoll und herausfordernd. Später weicht das Rebellische

reifer Besonnenheit und noch später einer allgegenwärtigen Sanftmut bis hin zur Gefühlsduselei.




Die Zeit lief davon




Insgesamt aber weisen die Songs tatsächlich eine solche Kontinuität auf, dass man sich fragt, ob die Pet Shop Boys

neben der Kunst, sich immer wieder neu zu erfinden auch die Kunst beherrschen, sich immer wieder neu zu vermarkten.

Tatsächlich ist es Tennant (49) und seinem Kollegen Chris Lowe (44) gelungen, in den vergangenen 20 Jahren den nahezu

makellosen Mythos Pet Shop Boys zu schmieden, den einer intelligenten, kreativen, stilbildenden Band.


Nur die Zeit ist den Pet Shop Boys davongelaufen. Anfang der 90er übernahmen Boybands, HipHop und Techno das Regiment.

Tennant und Lowe flüchteten sich in die Disco-Nische mit immer neuen opulenten Beat- Hymnen, doch richtig besser lief

es erst mit dem schlichten, mit viel sanftem Gitarrenklang verfeinerten Album ‘Release’, das im vergangenen Jahr in

Deutschland einen beachtlichen zweiten Platz in den Charts schaffte.




‘Stolz kommt vor dem Fall…’




Die zwei CDs von ‘PopArt’ sind nun aufgeteilt in ‘Pop’ für die leichteren Stücke und in ‘Art’ für die eher künstlerischen.

Keine fünf Minuten habe es gedauert, die Songs aufzuteilen, versichert Tennant. Und vielleicht ist es sowieso ein Scherz,

der schon immer etwas ironischen Pet Shop Boys, denn eigentlich könnte man die beiden Teile genauso gut auch austauschen,

schließlich ist es eben Popkunst, was sie die ganze Zeit produziert haben.


Ob sie stolz seien auf das Gesamtkunstwerk Pet Shop Boys? Die Frage erweckt plötzlich Chris Lowe zum Leben, der sich bei

Interviews sonst immer dezent zurückhält. ‘Stolz kommt vor dem Fall oder so ähnlich. Also was soll’s…’.

Taken from: Rhein Zeitung Online
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