Pop entert den Panzerkreuzer Potemkin

Die Pet Shop Boys lieferten auf der Museumsmeile in Bonn


mit den Dresdner Symphonikern den Soundtrack zu Eisensteins


Stummfilmklassiker.




Von Schostakowitsch bis zu den Pet Shop Boys ist es nicht weit – zumindest seit dem 12. September 2004. Die englischen Elektronik-Popper führten damals auf

dem Londoner Trafalgar Square vor 25 000 Zuschauern ihren persönlichen Soundtrack zu Sergei Eisensteins Stummfilmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’ auf.

Der Regisseur selbst gab den Anstoß zu dem Projekt ohne jemals etwas von den Herren Tennant und Lowe gehört zu haben. Eisenstein starb bereits 1948.


Das musikalische Vermächtnis, das er für seinen Jahrhundertfilm hinterließ, war allerdings eindeutig: Jede Generation, am besten jede Dekade, solle sich

zu seinen Bildern einen eigenen Score erdenken.



Die Komposition der Pet Shop Boys ist erst die vierte offizielle Sound-Untermalung der verstörenden Revolutionsbilder, die Eisenstein bewusst in der

Ästhetik eines Propagandafilms gehalten hat. Vor ihnen hatten Edmund Meisel, Nikolai Krjukow und eben Dimitrij Schostakowitsch eine Vertonung des

Matrosenaufstandes abgeliefert.



Insofern ist das neue Werk, das am Samstagabend gemeinsam mit den Dresdner Symphonikern auf der Bonner Museumsmeile zur Aufführung kam, der erste

‘Potemkin’-Soundtrack, der mit modernen Sound-Gerätschaften wie dem Synthesizer und dem Computer bearbeitet wurde. Pop entert den Panzerkreuzer.


Der letztjährige Auftritt vor heimischer Kulisse war ein Triumph. Daher erstaunt es, dass sich Neil Tennant und Chris Lowe für eine ausgiebige Tournee

fast ein Jahr Zeit ließen. Die Kunstpause hat ihnen allerdings nicht geschadet. Noch bevor der letzte Ton verklungen ist, stehen die rund 2000 Besucher

von ihren Plätzen auf und klatschen begeistert in Richtung der Akteure.



Tennant, als Frontmann Euphorie gewohnt, lässt es mit seinem gewohnten typisch britischen Understatement passieren. Als selbstverständlich konnte er es

nicht hinnehmen, hatte das Publikum vor Beginn des Konzerts noch mit Pfiffen und Buhrufen seinem Unmut darüber Luft gemacht, dass sich der Beginn um mehr

als eine Stunde verschieben sollte. Den Veranstaltern passeten die Lichtverhältnisse über dem sonnengefluteten Museumsgelände für die Projektion nicht.



Wenig später: Man könnte eine Diode fallen hören, so ruhig ist es. Der Film läuft noch keine zwei Minuten und das Publikum starrt gebannt auf die Leinwand,

auf der sich die Meuterei auf hoher See in den stechend scharfen Schwarzweiß-Bildern entwickelt, die für die damalige Zeit (1925) so bahnbrechend waren. Man

könnte den Pet Shop Boys vorwerfen, sie hätten es sich zu einfach gemacht, indem sie etwas vertonen, das alleine durch seine Bildgewalt besticht.



Doch gerade einem solchen Monument akustisches Leben einzuhauchen, ist eine echte Herausforderung, die Tennant und Lowe brillant lösen. Sie bleiben ihren

spleenigen Soundtüfteleien treu, die vordergründig so gefällig und erst beim zweiten Hinhören so ausgefuchst erscheinen.


Mal deuten sie ihr prägnantes ’20 Seconds of Count’-Intro aus ihrem Nummer-Eins-Hit ‘It’ s a Sin’ an, mal verweisen sie auf den minimalistischen Pathos, mit

dem sie den Village-People-Song ‘Go West’ wiederauferstehen ließen. Aber zu keinem Zeitpunkt wirkt es so, als hätten sie lediglich bekannte Strukturen aufgewärmt.

Ihr Soundtrack ist kongeniales Kopfkino, das die drastischen Bilder mit treibenden Elektrobeats genauso zum Klingen bringt wie mit elegischen Streicherpartituren.



Orchester und Pop-Duo harmonieren hervorragend. Die Pet Shop Boys bleiben vornehm hinter ihren Bildschirmen, während die Symphoniker direkt unter der Leinwand

agieren. Nur manchmal tritt Tennant an das Mikrofon und verdeutlicht die Szenerie mit seinem nachhallenden Gesang. Mission Vertonung geglückt.

Taken from: Westdeutsche Zeitung
Interviewer: Sven Gantzkow