Pet Shop Boys: ‘Love Etc.’

Die Glimmer Twins des smarten Pop sind rechtzeitig zurück, um ihre Nachfolger unter der Discokugel in die Schranken zu weisen. Und das wird ihnen ganz eindeutig gelingen




Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett – und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.




Kennt jemand noch diese seltsamen Bildchen mit dem moppeligen Pärchen, die die ‘Bild’-Zeitung irgendwann kurz nach dem Olympia-Wastl ausgegraben hat? ‘Liebe ist …’ stand und steht wahrscheinlich heute noch über jeder einzelnen der ziemlich ungelenken Zeichnungen. Dazu gibt´s immer ein Sprüchlein wie ‘… ihr jeden Tag die Sterne vom Himmel zu holen’ oder ‘… ihr jeden Wunsch von den Hühneraugen abzulesen’ oder ‘… sich wenigstens im Geiste treu zu bleiben’.




Genau danach klingt ‘Love Etc.’, die neue Single der Pet Shop Boys. Nach meiner internen Berechnung ist es die 43. Maxi, mit der uns Neil Tennant und Chris Lowe in Schwung bringen wollen. Oft genug haben die beiden Briten das auch schon geschafft; man denke nur an ‘Suburbia’, ‘Domino Dancing’, ‘It´s A Sin’, ‘I´m With Stupid’, ‘Heart’, ‘Love Comes Quickly’, ‘Se a vida é (That´s The Way Life Is)’ oder ‘I Wouldn´t Normally Do This Kind Of Thing’.




Wer jetzt denkt, der Prescher würde hier alle Hits und Semi-Hits der Pet Shop Boys aufzählen, der irrt. Nicht jeder Song war ein Treffer – aber doch erstaunlich viele aus der Riege, die von ‘West End Girls’ bis eben ‘Love Etc.’ reicht. Und Liebe ist auch, immer wieder auf den Charme der beiden bunten Hunde hereinzufallen. Wir Hedonisten liebten sie ja schon, als noch die Rocksaurier durch die Betonhallen zwischen Buxtehude und St. Veit an der Glan herumstampften. Nix gegen Lemmy oder Bon Scott, aber Tennant und Lowe waren immer cooler angezogen als alle anderen. Die beiden konnten sogar die beim Fahrertraining üblichen Hütchen auf dem Haupte tragen, ohne daß es albern oder unmodisch wirkte. Für bestimmte Acessoires muß man einfach ein passendes Köpfchen haben …




Natürlich schrieben die Pet Shop Boys schon zu Beginn ihrer zweieinhalb Jahrzehnte überdauernden Karriere tolle Songs, aber eine Besonderheit erhob sie relativ flott über die Masse der 80er-Jahre-Popper. Ich kann euch selbstverständlich sagen, welche: die Intelligenz des Duos und die daraus resultierende Cleverness im Umgang selbst mit den fadesten Elementen aus der Disco-Kiste. Wer in der Lage ist, das post-schwule ‘Go West’ in einen immergrünen Stadionschunkler zu verwandeln, ohne selber Schaden an Leib, Seele, Image oder Modebewußtsein zu nehmen, der muß einfach groß sein.




‘Love Etc.’ beweist diese schiere Riesenhaftigkeit erneut. Das Ding will einfach mitgesungen werden, obwohl der alte Pet-Shop-Geist auch wieder an den Gehörgängen zerrt. So ein Song klebt nun mal wie Honig – und irgendwie fragt sich der Hörer, ob er angewidert sein oder eben doch feiern soll, bis der Notarzt kommt. Aber das ist nur wieder eine Frage der grundsätzlichen Beschaffenheit des jeweiligen Gemüts.




Positiv denkende und lebende Menschen lassen sich vermutlich schneller auf die Jungs aus der musikalischen Zoohandlung ein als echte Pessimisten, während Nihilisten hinter den Songs der beiden Pop-Art-Anarchos wahrscheinlich die Zersetzung jedweder revolutionären Kraft befürchten. Auf jeden Fall aber passen die Pet Shop Boys immer noch in unsere Zeit, denn sie verbreiten eine fast Obama-mäßige Aufbruchstimmung. Selbst wenn alles wieder nur schöner Schein sein sollte, so macht es doch Spaß, sich dem einen kurzen Moment lang hinzugeben – oder vielleicht auch mehrere längere, da das stimmig und sinnig betitelte Album ‘Yes’ (hier ohne den Zusatz ‘we can’) durchaus einige davon bietet. Lustiger als das ewige Krisengerede ist es allemal; Single und Komplett-CD gehören zu den besseren Aufnahmen im Werkkontext.




Nebenbei zeigen die Pet Shop Boys im aktuellen Disco-Revival, Episode 20, daß sie den Epigonen immer noch den einen oder anderen Tanzschritt voraus sind. Unter der glatten Oberfläche brodelt ein Ideenvulkan, wie man ihn sonst nur von einem anderen, seit ewig und drei Tagen aktiven Glitzer-Duo kennt: den Sparks. Über die Wesensverwandschaft der beiden Doppel-Popper ist schon oft geschrieben worden; Tatsache ist: Sowohl die Brüder Mael als auch Tennant/Lowe erleben derzeit den zigsten Frühling und zeigen den Kids, wo der Bartl den Edel-Most holt.

Taken from: Evolver
Interviewer: Manfred Prescher