Pet Shop Boys in Berlin – Quadratisch, absurd, gut

Wenn Intellektuelle Pop machen, kann etwas Geniales herauskommen – wie bei den Pet Shop Boys. Sie machen Zauberwürfel zum Kostüm und das Tempodrom zur Party-Kunsthalle. Ein Abend der alles war, nur nicht eine Sekunde langweilig.




Neil Tennant und Chris Lowe haben sich nie ausschließlich auf ihre Musik verlassen. Es war immer mehr als das. Der Über-bau kam regelmäßig auf die Bühne bei den Pet Shop Boys. Sie trugen früher meterhohe Kegelhüte wie das Dach des Tem-podroms. Zaha Hadid, die Architektin, hat ihnen einmal ein mehrstöckiges Popkonzert mit schiefen Ebenen entworfen. Zu sowjetischen Revolutionsfilmen haben sie gespielt. Und wenn Neil Tennant ohne Bühnenbilder zur Gitarre sang, war man schon deshalb überwältigt, weil es plötzlich nichts weiter zu sehen gab.




Das letzte Gastspiel, ebenfalls im Tempodrom, 2006, fand unter dem Tourneemotto „Cubism“ statt. Es gab beleuchtete Quadrate zu bewundern. Nun werden die echten Würfel nachgereicht, zwei farbenfrohe Würfelwände, daraus treten Lowe und Tennant auf die Bühne. Ihre Köpfe stecken ebenfalls in bunten Würfeln. Sie eröffnen ihr Konzert mit „Heart“ wie musizierende Designerlampen. Warum ihre gegenwärtige Tournee unter dem Motto „Pandemonium“ steht, werden die Pet Shop Boys beim nächten Mal mit einer passenden Show erläutern müssen. Statt der Vorhölle werden an diesem Abend regelmäßige Quader präsentiert, so freundlich wie bezaubernd. Man darf an den Zauberwürfel denken und die Achtzigerjahre, als die Pet Shop Boys sich fanden und die Zeiten prägten. Man soll an das Kölner Domfenster des Künstlers Gerhard Richter denken, hat Neil Tennant zuletzt aller Welt erklärt. Wer daran denkt, dass Würfel als platonisch gelten, macht wohl auch nichts falsch im Sinne der beiden belesenen Briten.




Nach fünf weiteren Liedern stürzt die Mauer ein. Wie bei Pink Floyd vor 30 Jahren, bei „The Wall“, und in Berlin vor 20 Jahren. Allerdings bauen die Pet Shop Boys die Mauer wieder auf. „Building The Wall“ heißt das dazugehörige Stück der Dialektiker von ihrem großartigen neuen Album „Yes“. Die Platte predigt einerseits Verzicht, lädt andererseits aber auch dazu ein, das Dasein zu bejahen und die herrschende Krise nicht zu ernst zu nehmen. Tennant trägt Melone, während Lowe die Baseballkappe tief über die Stirn zieht. Lowe trägt Sonnebrille, während Tennant seinen Regenschirm aufspannt. Der eine sorgt für die Musik am Tresen, mürrisch wie ein Postbeamter, und der andere lässt sich nonchalant von Hilfs-kräften umtanzen. Auch Chris Lowe hat die Besucher eingestimmt in unzähligen Interviews am Vorabend der Reise durch die Mehrzweckhallen. „Jede Nacht ist Freitagnacht“, hat er verkündet.




Darin bleiben sie unschlagbar: Bei den Pet Shop Boys darf man auf die absurdesten Gedanken kommen, ohne es zu müssen. Man kann sich auch lediglich über die gelben oder roten Kuben auf den Schultern freuen und die Bilder auf den Wänden. Tanzflächen von oben, Wolkenkratzer zu „Go West“, der schwulen Stadionhymne, und die Gleise von „King’s Cross“, der Ode an die Unterschicht. Wie sie vor 18 Jahren schon einen U2-Song in ein annehmbares Stück Musik verwandelt haben, helfen sie nun Coldplay mit „Viva La Vida“. Bevor Lowe und Tennant sich kanonisch mit den „West End Girls“ verabschieden, begründen sie das Ganze mit: „Cause we were never being boring.“ Langweilig waren sie nie. So kann man es natürlich auch ausdrücken.

Taken from: Berliner Morgenpost
Interviewer: Michael Pilz”