Pet Shop Boys – Endlich Live!

Sie sind grandios erfolgreich. Sie


sind fürchterlich umstritten. Sie


hassen Rock’n’Roll, lieben Pop. Und


behaupteten bisher, daß sie keine


Live-Band sind. Ab April ist das


Geschwätz – dann kommen die Pet


Shop Boys live nach Deutschland.




Zur Zeit haben sich alle Rockmusiker und -schreiber darauf geeinigt, daß es in der Musik mal einen perfekten Moment gab –

natürlich die 60er, als alles so schön authentisch war. In Wirklichkeit war Popmusik nie authentisch, weder die Beatles noch

Elvis Presley. Tatsächlich waren die Sixties voller Scheiß-Mu-sik. Unsere Musik jedoch ist authentisch, sie versucht nicht,

authentisch anders zu sein, sie ist mit uns authentisch.’ ‘Natürlich nicht! Nur daß diese nostalgische Meßlatte besteht: Bist

du so gut wie die 60er Jahre?’


Ihre Maßstäbe setzen sich die Pet Shop Boys seit sechs Jahren selbst, aber ihr Bemühen, anders zu sein als alle Bands im Rock- und

Pop-Bu-siness, wirkt fast wie Vermeidungszwang. Und die Fachpresse rätselt verzweifelt, ob sie nun geniale Pop-Strategen mit kontroversen

Thematiken wie Gewalt, Sex oder Katholizismus, clevere Witzfiguren oder zynische Abkocher sind – nach dem Motto: ‘Journalist (Tennant) und

Architektur-Student (Lowe) tun sich zusammen.’ Gitarrensolo – nein danke, Unterhaltung – aber bitte mit Köpfchen, bloß kein

selbstgefälliges Stargehabe im Rampenlicht – mit ihrer Antihaltung sind sie es, die Maßstäbe setzen. Wenn die Pet Shop Boys in diesem

Monat auf ihrer ersten Welttournee ‘Performance’ nach Deutschland kommen, wollen sie Konzerte in eine neue Dimension führen. ‘Rock’n’Roll-Shows

sind doch total langweilig’, erklärt Tennant und spricht ‘Rock’n’Roll’ mit dem gleichen Ekel aus wie andere ‘Eiterbeule’. Dann rasselt er

eloquent ihre Konzepte herunter: ‘Unsere erste Mini-Tour 1989 hat der englische Regisseur Derek Jarman designed, es ging um die Idee, Film,

Musik, Tänzer und Kostüme zu kombinieren.’ 18 Songs am Abend, für jeden ein anderes Outfit, andere Filmprojektionen, anderes Bühnenbild.

‘Jetzt sind wir zu unserer eigentlichen Idee von 1986 zurück gekehrt, als wir mit David Alden und David Fielding von der English National Opera

zusammenarbeiten wollten.


Neil doziert druckreif,


Chris versackt tief im Sofa und


schließt die Augen.



Aber damals hätten wir bei so einem großen Projekt zu viel Geld verloren. Diese Show wird ganz anders ausfallen als die letzte, unsere Songs

sind stärker miteinander verschränkt, fließen ineinander über. Die ersten drei Songs spielen beispielsweise im gleichen Bühnenbild.


Die Show hat dieses Mal auch eine Art Rahmenhandlung, die in verschiedenen Akten durchlaufen wird. Es ist eine Art Reise durch das Leben

mit diversen Stationen.’



Neil Tennant: ‘Michael jackson?


Tina Turner? MC Hammer? Whitney


Houston? Wir werden niemals


solch ein glattes, nichtssagendes


Phänomen werden.’



Schon Mitte letzten Jahres begannen die zwei von der Tierstelle, sich um die Konzeption von ‘Performance’ zu kümmern. Letzten Oktober erschien

dann das Album ‘Be-haviour’ mit dem bislang elegantesten Disco-Pop. Danach zählten nur noch die Show sowie die Frage: Wie können sich zwei

Stars ins Scheinwerferlicht stellen – ohne die übliche Selbstglorifizierung?


Erst mal wurde die Bühne konsequent zur musikerfreien Zone erklärt, selbst Mikrostän-der oder Verstärker fehlen, Gitarrist JJ. Belle sowie

Keyboarder Scott Davidson wurden angeheuert, um hinter den Kulissen zu spielen. Rhythmus und Harmonien kommen vom Band, wie Chris begeistert

erzählt, am liebsten hätte er sogar seine eigenen Keyboards von der Bühne verbannt. Doch der Showzyklus handelt – natürlich in überhöhter Weise –

vom Leben der Pets. Und deswegen gibt es eine Szene, wo sie inklusive Keyboards sich selbst, die Pop-Stars, spielen. Sonst sorgen dreizehn

Tänzer/innen und Sänger/innen dafür, daß auf der Bühne kein Warten auf Godot stattfindet: Während Lowe und Tennant in Voyeurspose oft bewegungslos

verharren, konterkariert oder unterstützt die wilde 13 die Entwicklung der Protagonisten. An dem gesamten Projekt sind insgesamt 87 Menschen beteiligt.



Nun, das ähnelt bedrohlich den monströsen Bühnenshows von Genesis Mitte der 70er, als noch Peter Gabriel in zig Kostümen und mit verschmiertem

Gesicht, er nannte das Maske, über die Bühne kroch. Die Folgen sind mittlerweile bekannt und auch schon wieder Geschichte: Aus Protest verstümmelten

sich Hunderttausende Jugendliche mit Sicherheitsnadeln die Ohrläppchen, schoren die Haare kurz, färbten sie grell und tranken mächtig viel Bier.


Doch die Fehler der Rock-Dinosaurier der 70er werden die Pets vermeiden. Denn noch mehr als vor einem Chuck-Berry-Riff ekeln sich beide vor Pathos

und eitler Selbstdarstellung. Und wenn in den 70ern Art-Rocker banale Gefühle mit viel falschem Pathos zu Bombast aufbliesen und damit realitätsfremd

wurden, so verzichten die Pets auf wichtigtuerische Posen. Ihre Show ist einfach groß – oder glamourös.


Im Interview zeigt sich die ganze Gegensätzlichkeit der beiden – der Geschichtsstudent Tennant doziert druckreif, Lowe bricht die Aussagen mit kleinen

Gags – bloß kein Dogma. Im Gespräch pflegen sie englischen Humor: ‘Wir sind irgendwo zwischen Nick Cave und New Kids On The Block anzusiedeln.’ Aber

auf keinem ihrer Cover existiert ein Foto, auf dem sie nur annähernd lächeln. Wenn schon Pop, dann auch mit Andeutung eines Hintergrundes – Tiefe

wäre wieder zu pathetisch.


Wenn sie schon so ernst grimassieren, möchten die Pet Shop Boys denn ernst genommen werden? Neil Tennant, Jahrgang 54, hat inzwi schen nicht nur

einen leicht gelichteten Schöpf, sondern auch leicht angegraute Schläfen, was seiner Kultiviertheit eine Dimension von Reife verleiht: ‘Nun … ja

und nein!’ (Gelächter).


Der Stoiker und Anti-Intellektuelle Chris: ‘Wir möchten dafür ernst genommen werden, daß wir nichts ernst nehmen.’



Die Pet Shop Boys lassen sich nicht festlegen.


Ein Interview mit ihnen ist die Hölle.



Solch eine Antwort ist auch keine Antwort – jedenfalls im Falle der Pet Shop Boys. Dahinter steckt nicht nur die Angst vor Festlegungen – sondern

daraus ergibt sich ein äußerst verkaufsträchtiger Mythos, die Ungreifbarkeit erzeugt Distanz, die einen wiederum anzieht, weil jeder Pet-Fan auch

mal die Menschen Tennant und Lowe erkennen möchte. Während ExManager Tom Watkins glaubte, daß Tennant einen grandiosen Medienzauber veranstaltet,

stellen die beiden sich als Non-Konzept-Künst-ler dar.


Sprecher Tennant: ‘Wenn du in einem Syn-thesizer-Duo bist, vergleichen dich die Leute mit anderen Synthi-Bands, wie uns Mitte der 80er mit Heaven

17 und The Human League – soge-nannten Pop-Strategen. Aber das hat nie etwas mit uns zu tun gehabt. Wir machen gerne Sachen, die anders sind. Wir

haben immer das getan, was wir einfach gerne tun wollten.’ Lowe signalisiert sein Desinteresse für das drohende intellektuelle Gespräch, indem er

die Augen schließt und scheinbar wegdämmert.


Tennant doziert jedoch ohne jede Rücksicht auf etwaige komatöse Folgen für seinen Kollegen weiter: ‘Viele Leuten halten uns für zynisch. Aber das

liegt möglicherweise daran, daß sie selbst alles zynisch sehen und andere dafür halten. Wir glauben, daß den Menschen eine ungeheure Menge Scheiße

vorgesetzt wird, und alle bringen sich selbst dazu, auch noch an sie zu glauben – was voraussetzt, daß sie halt zynisch werden. Ob in der Politik

oder anderswo – mit der Scheiße fertigzuwerden ist das allerschwierigste. Und am besten kann sie mit Mythenbildung verschleiert werden …’ Nach

einer mehrminüti-gen Exkursion über Marxismus und To-talitarismus, wo der Ex-Geschichtsstu-dent sein Recht bekommt, kratzt Tennant jedoch wieder

die Kurve. ‘Auch in der Pop-Musik glauben alle gerne an Mythen: an den Mythos von Wohltätigkeitsplatten, U2 oder Preisauszeichnungen. Obwohl es

doch ganz offensichtlich ist, daß das alles nur konstruiert und falsch ist.’


Lowe atmet noch, was ist es also, was die Pet Shop Boys im Gegensatz zum verlogenen Business ihren Fans bieten? ‘Wir sind eine Alternative zu allen

Bands im Bereich Pop-, Rock- und Tanzmusik. Für alle Musikfans, die nicht der großen Herde folgen wollen. Hinzu kommt, daß wir gute Songwriter sind –

in einer Zeit, wo es nicht mehr viele gibt. Wir haben Songs, die gefühlvoll sind; Songs, die einfach nur lustig gemeint sind. Oder kritisch. Außerdem

schreibe ich Texte, die für Pop-Songs nicht gerade üblich sind. Mit ‘It’s A Sin’ tauchte in einem Pop-Song katholische Erziehung auf. Das Video

beginnt damit, wie ich bete – und das drei Jahre vor Madonnas ‘Like A Prayer’. Außerdem haben wir uns niemals auf diese Art präsentiert ‘Ich bin

Neil – kauf mich!’. Wir haber immer unsere Integrität bewahrt.’


Vielleicht ist es das, wofür die Pet Shop Boys ernst genommen werden möchten. Doch Kylie-Minogue-Fan Chris wird plötzlich hellwach und torpediert

jeden Anflug von Seriosität, weil es zu bedeutungsschwanger und damit selbstverliebt werden könnte: ‘Was wir den Fans wirklich bieten, sind schöne

Albumcover, schöne T-Shirts, die Möglichkeit, mit uns ins Bett zu gehen – guten Sex, wirklich!’



Chris Lowe: ‘Es gibt in der Show


ganz eindeutige Szenen: Ich


werde ans Bett gefesselt,


ausgepeitscht und an meinen


Brustwarzen gekniffen.’



Wahrscheinlich ist es die Mixtur von Leichtigkeit, Ernsthaftigkeit und Scheiß-drauf-Mentalität, die für Zuordnungsschwierigkeiten sorgt. Bei einigen

Songs mag die Stoßrichtung offensichtlich sein, aber insgesamt ergibt sich kein klarer Kurs – außer, daß sie tun, was Spaß macht und kontrovers ist.


Ihre Haltung gegenüber dem Pop-Business ist eine durch und durch skeptische, Sponsoring ist für sie kein Thema. Einmal, weil sie Abhängigkeit und

Verpflichtung hassen. Und wie Chris betont: ‘Es gibt in der Show sexuelle Anspielungen und ganz eindeutige Szenen – in einer werde ich ans Bett

gefesselt, ausgepeitscht und an meinen Brustwarzen gekniffen -, die sich nicht mit dem Geschmack von Pepsi vertragen.’


Neil fügt hinzu: ‘Wer heute einen Sponsor-ship-Vertrag bekommt, ist ein banaler, unglaublich mega-berühmter Act. Dafür mußt du ein Michael Jackson,

MC Hammer, eine Whitney Houston, Madonna oder Tina Turner sein. Wir werden niemals solch ein glattes, nichtssagendes Phänomen werden.’


Das ist doch mal eine Aussage!

Taken from: PRINZ 04/1991
Interviewer: Oliver vom Hofe