Lasst uns zusammenbleiben

Die ‘Pet Shop Boys’ über ihr neues Album ‘Fundamental’,


die Politik der Angst – und die Französische Revolution




Neil Tennant und Chris Lowe sind zurück: Vier Jahre nach ihrem letzten regulären Album ‘Release’ veröffentlichen

die Pet Shop Boys in zwei Wochen ihr neues Werk ‘Fundamental’, am Freitag erschien die Vorabsingle ‘I’m With Stupid’.

Der Song ist ein Beispiel für die neue Art, wie Sänger Neil Tennant in seinen Texten nun Politisches mit Privatem

verquickt: Vordergründig handelt das Lied von einem seltsamen Liebespaar, zugleich aber karikiert es ähnlich wie

schon George Michaels ‘Shoot The Dog’ ganz offensichtlich das Verhältnis von Tony Blair und George W. Bush.



SZ: Trügt der Eindruck, oder ist ‘Fundamental’ im Gegensatz zum Großteil Ihres bisherigen Oeuvres welthaltiger,

politisch expliziter ausgefallen?



Neil Tennant: Ich finde, dass wir schon immer auf die Dinge, die in der realen Welt dort draußen passieren, auf

irgendeine Weise reagiert haben. Aber es mag stimmen, dass die politische Dimension von ‘Fundamental’ klarer ist

als bei früheren Alben. Es geht uns dabei vor allem um das Klima der Angst, das gegenwärtig erzeugt wird auf der

Welt, und dessen Auswirkungen auf die Menschen. Das ist das Thema gleich mehrerer Lieder, von ‘Psychological’,

‘Luna Park’ oder ‘Integral’. Wobei in letzterem ziemlich offen über eine politische Frage gesprochen wird, die

verbindliche Einführung von Personalausweisen in Großbritannien von 2010 an. Die dahinter stehende Grundsatzfrage

lautet: Müssen wir als Bürger einen Teil unserer Freiheitsrechte aufgeben, um den Terrorismus zu bekämpfen?



SZ: Wie ist Ihre Antwort?



Tennant: Nein. Ich glaube, dass wir den Terrorismus nicht durch die Beschneidung, sondern die Gewährung von mehr

Freiheitsrechten am wirkungsvollsten bekämpfen. Weil Freiheit das Gegenteil dessen ist, was Terroristen erreichen

wollen. Die Frage, ob man als britischer Bürger einen Personalausweis bei sich tragen muss, mag banal klingen.

In Wirklichkeit aber ändert das unsere ganze Gesellschaft: Ich muss zum ersten Mal beweisen, wer ich bin.



SZ: Als Kontinentaleuropäer, der ans Ausweistragen gewohnt ist, fragt man sich: Worin besteht der qualitative

Unterschied, der dadurch geschieht?



Tennant: Wir geben als Briten einen integralen Teil unseres Selbstverständnisses auf. Die britische Kultur fußt

zugleich auf dem Respekt wie dem Misstrauen gegenüber Autoritäten. Im britischen Humor ist zum Beispiel der Polizist

zunächst einmal eine Witzfigur – der Typ mit dem dicken Hintern auf dem Fahrrad. Das Deprimierende heute ist:

Eine Menge Leute befürworten das Vorgehen der britischen Regierung im Inland gegen den Terrorismus. Ich hege

den Verdacht, dass wir gerade auch Teile unserer Rechtskultur aufgeben: Die Regel, dass jemand unschuldig ist,

bis ihm das Gegenteil bewiesen wurde, scheint derzeit nicht sonderlich populär zu sein.


Chris Lowe: Ich fürchte, die technische Entwicklung erledigt die ganze Ausweisfrage ohnehin – irgendwann werden

sie uns einen Chip implantieren, und all unsere schönen Daten werden dann direkt unter der Haut scannbar sein…


Tennant: Mein Bruder sagt auch immer: ‘Neil, die Technik existiert, also gewöhn dich dran – man wird sie benutzen.

Man kann den technischen Fortschritt nicht aufhalten.’ Aber wollen wir wirklich einen totalen Überwachungsstaat?

Die politische Botschaft, mit der das alles verbunden wird, ist immer dieselbe: If you’ve done nothing wrong, you’ve

got nothing to fear.



SZ: ‘Wenn du nichts angestellt hast, hast du nichts zu befürchten’, so lautet die erste Strophe von ‘Integral’.

Eine Reaktion auf das von Ihnen beschriebene Klima der Furcht, so scheinen Sie mit dem Song ‘Numb’ andeuten zu

wollen, ist Realitätsflucht – man stellt sich taub.



Tennant: Das Leben und die Welt liefern nun einmal viele Gründe, sich manchmal taub stellen zu wollen. Ich kann

nicht immer zornig sein, das halte ich einfach nicht durch. Aber der eigentliche Kernsatz der Platte taucht für

mich in dem Lied ‘Twentieth Century’ auf. ‘Sometimes the solution’s worse than the problem’: Manchmal ist die

Lösung schlimmer als das Problem. Schaut man noch einmal auf das zwanzigste Jahrhundert zurück und müsste es auf

ein Wort reduzieren, so lautete es: Massenmord. Die großen zerstörerischen Umsturzideen, die im zwanzigsten

Jahrhundert verwirklicht wurden, haben endloses Blutvergießen zur Folge gehabt.



SZ: Interessanterweise folgt auf diesen ersten Teil des Refrains von ‘Twentieth Century’ der Satz ‘Let’s stay

together’: Lass uns zusammenbleiben. Eine typische Neil-Tennant-Wendung – vom großen Ganzen gleich zum kleinen

Privaten?



Tennant: Das ist tatsächlich einer meiner liebsten Schreibansätze – eine politische Frage in den Raum zu stellen

und sie dann in eine persönliche zu verwandeln. Politische Statements in der Popmusik tendieren dazu, äußerst

sperrig zu wirken, also nehme ich ihnen so etwas von ihrer Schwere. Man kann die Aussage ‘Sometimes the solution’s

worse than the problem’ auch von vorneherein als Beschreibung eines individuellen Beziehungsproblems betrachten:

Sind die Folgen einer Trennung manchmal nicht viel schlimmer als die Probleme, deretwegen man sich getrennt hat?

Warum also nicht zusammenbleiben?



SZ: Was aber ist die historische, politische Dimension dieser Aussage – wo war und ist die Lösung schlimmer als

das Problem?



Tennant: Die politische Kernfrage von ‘Twentieth Century’ lautet: Taugt die Revolutionsidee von der gewaltsamen

Herstellung einer historischen Stunde Null wirklich etwas? Ich glaube nicht. Man muss nur Frankreichs langen Weg

zur Demokratie betrachten: Hätte man sich die Französische Revolution nicht sparen können, weil die Demokratie

eh irgendwann gekommen wäre? Stattdessen stürzte man die Monarchie, handelte sich einen Kaiser ein, holte sich

die Monarchie zurück, wurde sie wieder los, handelte sich wieder einen Kaiser ein und so weiter, und währenddessen

starben deshalb unzählige Menschen…


Lowe (lacht): …und heute hängen die Franzosen immer noch unzufrieden auf der Straße herum und demonstrieren…


Tennant: Das Ergebnis ist eine bourgoise Demokratie. Nein, nicht Gewalt, sondern langweilige demokratische

Gesetzgebungsverfahren machen in aller Regel die Welt besser. Ich glaube an die organische Veränderung von

Gesellschaften. Deshalb lautet für mich die ultimative Lehre aus dem zwanzigsten Jahrhundert für die Gegenwart

und die heutige Politik: Veränderung durch Zerstören funktioniert nicht.

Taken from: Süddeutsche Zeitung
Interviewer: Dirk Peitz