Interview mit Chris Zippel






1. Chris, Du schriebst neben Neil & Chris an ‘London’ genauso wie Du bei ‘Positive Role Model’ und Somebody Else Business’

mitproduziert hast. Außerdem hast Du Remixe von ‘E-Mail’ und ‘Home & Dry’ fertiggestellt, die niemals veröffentlicht wurden.

Wie würdest Du die Arbeit mit den Pet Shop Boys an diesen Songs beschreiben?



Es war eine wunderbare Erfahrung, da die Boys schon immer zu meinen Favouriten gezählt haben. Ich hatte immer geträumt mal mit

ihnen zusammen zu arbeiten. Alles in allem kennen wir uns seit über 3 Jahren und ich respektiere sie nicht nur wegen ihrer

großartigen Musik, sondern auch als Menschen. Ich denke wir hatten eine gute Zeit der Zusammenarbeit.


Obwohl sie eigentlich genau wissen was sie wollen bzw. nicht wollen, fand ich dass sie mir bei meinem Arbeiten, meinen Sounds

und der Produktion doch sehr freie Hand bei allem ließen. Ganz speziell war das bei ‘London’ der Fall. Sie vertrauten mir einfach

dabei das richtige zu tun und so produzierte ich dieses Stück fast ohne ihre Beteiligung. Genauso bei kleinen aber wichtigen

Sachen wie dem Verändern der Vocals war es nie so, dass sie mir in meine Arbeit reinredeten. Ich kenne da andere Künstler, die

immer die Kontrolle über alles behalten wollen. Ich denke diese Freiheiten die sie mir gaben waren sehr fördernd. Das Beste ist

immer wenn Einer dem Anderen in der gemeinsamen Arbeit vertraut.



2. Wie kam es dazu, dass Du an ‘London’ mitschriebst?



Es war am letzten Tag der Produktion mit den Jungs in Berlin. Wir trafen uns wie gewöhnlich in meinem Studio und nach einer Weile

hatte Neil die Idee einen alten Disco Klassiker zu remixen. I war nicht gerade sehr erbaut an diesem Track zu arbeiten, weil ich

dachte es würde besser sein irgend etwas Neues zu produzieren. Ich spielte ihnen dann einen sehr atmospherischen und groovigen

Track vor, den ich vor einiger Zeit geschrieben hatte. Ich hatte schon eine Textzeile im Kopf, welche zu diesem Track passte und

so sang ich diese playback zur Musik. Beide fanden das nicht schlecht, aber Neil dachte dass es nicht unbedingt sein Stil war, wie

er Lieder sang.


Ich ließ nicht locker und spielte ihnen die Instrumental Version mit verschiedenen Instrumentierungen vor, weil ich dachte dass es

dann vielleicht für Neil leichter war dazu zu singen. Vielleicht beharrte ich auch etwas zuviel darauf, aber ich war überzeugt,

dass der Track gut war (und wann hat man die Pet Shop Boys schonmal wieder in seinem Studio zu Gast um etwas Neues aufzunehmen?).


Nach einer Weile des Herumexperimentierens mit den Instrumenten gabs diesen Knalleffekt, wo Neil sich an einen alten bisher noch

nicht fertig gestellten Track erinnerte. Er begann die Melodie etwas zu verändern und andere Sachen an dem Song umzustellen bis

er langsam begann ihn zu singen…. Das war der Beginn wo alles seinen Lauf nahm. Chris fand das ganze Ding nicht besonders und

ging derweil ins Kino, während wir weiter daran rumschraubten.


Später kombinierten wir unsere Ideen – meine Melodie bekam die Strophe und seine den Refrain. Da es aber der letzte Tag für die Jungs

in Berlin war, ließen sie mich dann mit dieser lückenhaften Idee und unfertigen Vocals zurück. Obwohl wir alle blos diese

erste unvollständige Idee zu diesem Song hatten, wurde daraus später die Haupttextzeile des Liedes. Ich hatte dann massenhaft

Zeit an dem Stück zu feilen und so produzierte ich Teile mit richtigem Bass und akustischen Gitarren zu einem schönen Crossover

Mix mit elektronischen Beats auf der einen und akustischen Gitarren auf der anderen Seite.


Nach mehr als 3 oder 4 Monaten kamen die Jungs wieder nach Berlin. Sie hatten den Song seit dem letzten Besuch nicht mehr gehört.

Erst nach einigem Zögern spielte ich ihnen meine fertiggestellte Version des Tracks vor. Sie waren beide überrascht denke ich.

Chris sagte nach einer kurzen Pause was wohl jeder Producer gerne hört: ‘Hey Chris, it’s great! Don’t change anything!’ (Mensch

Chris, das ist genial, verändere da blos nichts mehr dran!).



3. Was dachtest Du von den originalen Demo Versionen der Jungs ‘Positive Role Model’ und ‘Somebody Else Business’ bevor Du

selbst an deren Produktion beteiligt wurdest?



Ich liebe Demos. Sie sind immer Rohmaterial für kreative Köpfe. Alles ist da möglich und Du kannst massig Wege der Fertigstellung

gehen. Du kannst ein Demo in alle möglichen Richtungen hin verändern, wie ein Chameleon seine Farbe ändern kann. Kannst es in ein

Popsong verwandeln, genauso wie in einen Rocksong, oder Dance, Clickhop, Punkt – was immer Du möchtest. Das war mit den originalen

PSB Demos nicht anders. Ich genoß die Stücke zu hören und freute mich in der nächsten Zeit mit ihnen herum experimentieren zu

können.


Beide Demos wurden von den Jungs zusammen mit Pete Gleadall aufgenommen. Ich bewundere bei ihm immer diese excellenten und

sauberen Schnitte bei Stücken. Normalerweise sind Demos an den Texten festgemacht und nicht an der späteren Produktion. Aber

hier war noch genug Platz für weitere Ideen für Beats und Arrangements. Genial war das Barry White Sample welches schon in dem

einen Stück steckte. I fand es gut, aber ich musste es aus Copyright Gründen verändern und reproduzieren. Gerade als ich die

Rekonstruktion des Sampels fertiggestellt hatte, sagten die Jungs mir dann dass sie die Erlaubnis von Berry White für das Sample

bekommen hatten. Toll! :-/ grrr!



4. Welches ist Dein Lieblingstrack von den Stücken an denen Du gearbeitet hast und warum?



Ich denke es war ‘Somebody Else Business’, weil es der am meisten atmospherischste und elektronischste Track war an dem ich mit

den Jungs arbeitete. Ich liebe die von Neil gesungenen Stophen genauso wie die Melodie von meinem alles geliebten 80s Synthesizer

Roland D50. Da ich oft ne Menge an Chillout Tracks für meine eigenen Projekte produziere, war das hier mal was völlig anderes.

Während der Produktion des Songs dachten wir schon, dass es etwas ganz Besonderes – was ganz Spezielles ist. Immer wenn ich dieses

WOW! Gefühl bei einer Produktion habe, dann weiß ich dass es ein gutes Stück sein muss!


I glaube ‘E-Mail’ ist wohl das zweitbeste Stück für mich. Ich habe von dem Song einen alternativen Single Mix mit mehr

elektronischen Sounds gemacht. Der Mixe wurde aber am Ende nicht veröffentlicht. Ich liebte es an dem Stück zu arbeiten, da ich

die Melodie und die Akkorde sehr gut fand. Es ist einer dieser raren Mixe, wo Neil auf den Sound spricht. Er scheint es allerdings

nicht so sehr zu mögen. Ich liebe es, habe aber auch einen Mix ohne seine Stimmsampels.



5. Was war die größte Herausvorderung mit den Boys zusammen zu arbeiten?



Ihre Bekanntheit denke ich. Die Jungs haben in ihrer Karriere schon mit vielen bekannten und brillianten Producern zusammen

gearbeitet, wie Craig Armstrong, Harold Faltermeyer. Rollo und David Morales sind noch andere. Normalerweise bin ich neugierig

bei neuen Künstlern und versuche herauszufinden wie ich zu Ihnen passe. Wenn wir sehr unterschiedliche Ideen hätten und alles

von sehr verschiedenen Perspektiven betrachteten, dann wäre es in der Tat schwierig geworden. Klar kamen wir aus verschiedenen

musikalischen Ecken zueinander und so ist es wie mit allem immer ein Experiment, speziell weil die Boys nicht allzu viel von mir

wussten. Manchmal wenn Du mit Leuten, die den Status der Pet Shop Boys haben, zusammen arbeitest, dann passiert es normalerweise

nicht wirklich, dass Du Dich mit denen über Deine und deren Ideen austauschst. Dann endest Du meinstens damit, dass Du blos

die verlängerte Hand von dem bist was sie wünschen. Ich hab mich oft gefreut wenn ich merkte dass sie mich um meine Ideen

fragten oder meine Meinung wissen wollten. Es war wie es sein sollte – wir produzierten miteinander!



6. Kannst Du beschreiben wie die Produktion von ‘Positive Role Model’ und ‘Somebody Else Business’ von der Studio Produktion bis

hin zum fertigen Endprodukt ablief?



Ich begann erstmal mit den Demos, die mir Pete Gleadall aus London geschickt hatte. Die Jungs arbeiten sehr oft mit ihm zusammen

wenn sie neue Stücke erstellen. Normalerweise hat Pete immer schon einige Demo Vocals in so eine Aufnahme reingeschnitten. Da wir

beide die gleichen Aufnahme- und Produktionssysteme benutzen, ist es ganz leicht seine Arbeit in mein Studio zu bringen und das dann

zu verändern. Der nächste Schritt ist dann den Sachen verschiedene Layouts zu verpassen und mit einigen Ideen herum zu spielen. Das

dauert meißt einige Tage. Als die Boys das erste Mal nach Berlin kamen hatte ich schon einige verschiedene Sachen der gesendeten

Demos erstellt, mit denen wir dann das beste daraus machen konnten.


Die Arbeit war entspannend! Wir tauschten unsere Ideen aus und tranken dabei eine Tasse Tee. Ich zeigte ihnen einige Sounds für die

Hauptmelodie eines Tracks und dann guckten wir etwas TV. Dann wieder mischten wir die Bridge mit der Strophe und machten wieder eine

Pause für die Zeitungsschau. Normale Studioarbeit eben! Klar ist es viel härter in Wirklichkeit, als ich es hier schildere. Ganz

besonders wenn man Nachts alleine an den Tracks arbeitet. Ich wollte die Boys oft morgens mit neuen Arrangements überraschen und so

musste ich in der Zeit natürlich einiges über Nacht erarbeiten.


Als wir dann zufrieden mit einem Track waren und auch all die fehlenden Vocals aufgenommen hatten, begann ich damit alle Spuren als

Audiodateien abzuspeichern. Jeder Klang, jeder Ton, jede Sequenz wurde in der Länge des kompletten Songs in einer eigenen Datei

abgespeichert. Es ist nicht ungewöhnlich bei einem Lied mehr als 50 verschiedene Audiospuren zu haben.


Ich schickte alle Daten zu meinen Freunden Kai Diener und Florian Richter ins Studio, damit sie beginnen konnten einen tollen Mix

aus all den Sachen zu machen, während wir bei mir im Studio schon wieder an einem anderen Track arbeiteten. Das war noch zu einer

Zeit als ich noch kein komplettes ‘Total Recall System’ hatte, was es einfacher macht an verschiedenen Stücken gleichzeitig zu

arbeiten, da sie Effekte und Equalizer sich automatisch konfigurieren lassen.


Nachdem Kai und Florian den Mix fertig hatten gingen wir alle rüber um das fertige Produkt zu diskutieren bis alle zufrieden waren

mit dem Endprodukt.


Wir mixten eine Menge Versionen und Outtakes allein von den Instrumenten. In meinem Studio machte ich dann das letzte digitale

Editieren der Tracks, also das Beschneiden zu einer Kurzversion oder einem 12′ Mix, oder ein verändertes Vocalsample hinzufügen. ‘London’

wurde von Michael Bauer abgemixt in England. Für die Veröffentlichung der Single waren wir übereingekommen unseren Originalmix zu

verwenden, den wir in Berlin abgemixt hatten.



7. Hast Du noch einige spaßige Erinnerungen an die Arbeit mit den Jungs?



Ja wir hatten sowas wie einen ‘Running Gag’ (ständiges Gewitzel): Ich erinnere mich, dass ich ständig von Neil als Sänger

faziniert bin genauso wie vom einmaligen Klang seiner Stimme. Sein gesangliches Talent mal ganz beiseite, fazinierte mich auch wenn er

sprach. Die englische Sprache zu hören ist für einen Deutschen immer irgendwie ein bisschen exotisch. Deswegen fragte ich die Jungs

ständig wenn sie mal rüberkamen, ob sie nicht einen Rap von dem entsprechenden Song machen wollen. Sie sagen aber immer dass es

nicht gerade gut klingen wird und so hab ich sie bisher noch nicht dazu bekommen sowas zu machen. Wir müssen aber immer drüber

lachen.



8. Mit welchen Equipment wurde ‘Positive Role Model’ und ‘Somebody Else Business’ produziert?


Wir benutzen Logic Audio als Sequenzer mit einem ProTools Audio System. Das Mixpult am Beginn war eine analoge Mackie 32/8 Bus

Konsole. Inzwischen habe ich meine Anlage auf den neuesten Stand gebracht und es ist jetzt ein ‘Total Recall System’. Alle

Synthesizers können nun digital konfiguriert werden und somit wurde das Mixpult nicht mehr gebraucht. Drumschleifen und spezielle

Effekte werden auf einer speziellen Editier- und Arrangement Software namens ‘Live’ von Ableton in Berlin programmiert. Die Software

macht es sehr leicht verschiedene Versionen eines Loops (Tonschleife) zu erstellen. Ich benutze sehr viele Roland Produkte für Sounds

und Drums. Auf allen Tracks arbeitete ich mit dem Roland D50 und Virus TDM für die Pads. Der Roland Tb 303 is sehr viel im durchgehenden

Hauptbass von ‘Positive Role Model’ vertreten. In ‘Somebodys’ benutzte ich Tb 303 Fragmente, welche ich als einem Loop

herausgeschnitten hatte. Viele Effekte sind außerdem von einem Absynth Synthesizer, der berühmt für mystische

athmospherische Klänge ist.


Für die verschiedenen Vocoder Effekte benutzte ich einen SVC 350 Vocoder von Roland und ein Electro Harmonix Smallstone Phaser kommt

auch hier und da einmal vor. Für manche Effekte hatten wir einen Lexicon PCM 90 von Yamaha und McDsp TDM Plug-Ins für Equalizer.


Der speziellste Part war der ‘Genuine Piano Mix’ welcher von uns für ‘London’ gemacht wurde. Wir bekamen Robert Matt, der auf einem

Steinway Grand Piano die Klavier Sequenzen einspielte, die wir dann mit einem Grand Piano aus dem Urtrack mixten. Im fertigen Mix

kannst Du dann zwei Pianos hören, welche gleichzeitig spielen. Eins etwas links, das andere leicht rechts. Neben diesem Mix gibt es

noch einen anderen Mix mit einem jazzigen Schlagzeug, der aber bis jetzt noch nicht veröffentlicht wurde.



9. Hast Du irgendwas, was Du während der Zusammenarbeit mit den Pet Shop Boys gelernt hast, in anderen Songs für andere Künstler

benutzen können? Wenn ja, für welche?



Als Produzent spielt man oft an den Knöpfen rum, um einen Sound oder Equalizer anzupassen. Man kann Stunden damit verbringen, den

richtigen Sound zu treffen. Manchmal verliert man dabei auch den Faden.


Was ich bei den Boys bemerkte war, dass es viel leichter ist, wenn der Song richtig anfängt und wenn der Künstler hinter dem Mikro

selbstbewusst ist und weiß, was er tut. Es ist, als ob ich ein besseres Verständnis für die Hauptkomponenten des Stücks

bekommen habe, ohne die kleinen, wichtigen Details zu vergessen, die damit verbunden sind.


Momentan bin ich so von Neils toller Stimme verwöhnt, dass ich meine nächsten Projekte sehr gründlich auswähle. Ich bin nun als

Komponist selbstbewusster geworden. Dieses alles beeinflusst meine neuen Projekte. Ich habe gerade einen großartigen Remix für das

berühmte Snap-Projekt (I´ve got the power) aufgenommen. Es ist ein cooler ‘Down Tempo Mix’ und es wird vielleicht eine Single. Für

DJ Paul van Dyke´s Vandit Label habe ich die zweite Single meines Künstlers ‘Tayfun’ aufgenommen. Das ist mein deutsches Techno Projekt

und es wird im Frühling erscheinen – also seid gewarnt! Ein drittes Album ‘Genuine’ ist in der Mache. Es wurde schon aufgenommen, doch

es braucht noch etwas Feinschliff.


Mehr zum Thema, die nächste Pet Shop Boys Zusammenarbeit wird hoffentlich kommen. Vielleicht werden diesmal meine Träume wahr und es

gibt Hoffnung für einen PSB Rap.

Taken from: offiziellen Homepage Pet Shop Boys
Interviewer: Alma Dzib & Bill Goodin