Her mit dem Cabrio






Coolness, dein Name ist Pet Shop Boys. Was gäbe man drum, könnte man sich so selbstbewusst zum eigenen – in diesem Fall: exaltierten – Stil bekennen wie die beiden Briten, die einst schon bei der Wahl ihres Bandnamens einen ganz gewissen (Un-)Geschmack offenbarten. Und einen hinterlistigen Sinn für Doppeldeutigkeit. Denn unter der Lust an der Oberfläche, die in einer Pet-Shop-Boys-Bühnenshow immer neue Video- und Bekleidungsblüten treibt, verbirgt sich manch fiese kleine Textzeile. In der bald 25 Jahre dauernden PSB-Geschichte ging das nicht immer ohne Skandälchen ab. Andererseits ist niemand gezwungen, ausgerechnet bei dieser Musik auf den Text zu hören. In einem Konzert der Boys mag es nicht die schlechteste Technik sein, die Ohren (auch der Lautstärke wegen) ein bisschen zuzuklappen und den Mund auf. Und dann mitzusingen: ‘Goooo Weeeeeest’.




PSB und ihre Doppelgänger




Aber diese ultimativste aller PSB-Hymnen (und es gibt nicht wenige PSB-Hymnen) wurde aufgehoben für den Zugabenblock. Das zweistündige Tourprogramm zur Fundamental-CD beginnt – begann jedenfalls jetzt in Frankfurts Alter Oper – mit ‘Left to my own devices’ und ein paar Doppelgängern: zwei Menschen in Frack und Hut und zwei in neongelbem Kapuzenshirt und Baseball-Kappe treten auf, ehe Neil Tennant (Frack) und Chris Lowe (neongelb) selbst kommen. Artig geben sie sich die Hand, artig wird Neil Tennant zuletzt alle Mitwirkenden vorstellen und schließlich sagen: ‘We are the Pet Shop Boys’. Als könnte darüber noch irgendein Zweifel bestehen.




In den langen Jahren des Zusammenspiels sind sie sich selbst stets treu geblieben: Wenn im Autoradio ein Hit von den Pet Shop Boys läuft, dann wünscht man sich auf der Stelle ein Cabrio, den Wind im Haar und den Beifahrer zum Teufel, damit man ungestört mitgrölen kann. Selten ist Musik so auto-kompatibel, denn PSB-Songs halten sich nicht mit Feinheiten auf. Sie sind Breitwand in Bonbonfarben, sind den Kitsch manchmal ungeniert umarmender Synthie-Pop im Disco-Hops-Rhythmus. Zwar gibt es im Konzert einen Moment, in dem Neil Tennant zur Gitarre greift (zu einer leibhaftigen Gitarre!), aber nach ‘Home and Dry’ lässt er die Schrammelbegleitung Gott sei Dank sofort wieder sein. Die Pet Shop Boys akustisch oder gar unplugged, das hätte einem gerade noch gefehlt.




Es wird aber schon deswegen nicht passieren, weil die beiden dann ja eine Band bräuchten. Und es Schluss wäre mit der (abgesehen von den Backgroundsängern) musikalischen Zweisamkeit, bei der Chris Lowe sich unter seiner Kappe und hinterm Computer verschanzt und Neil Tennant den stets die Contenance bewahrenden Conférencier gibt. Der rein zufällig eine der seltsamsten Singstimmen hat, jedenfalls für einen Mann seines Alters (52): Eine so junge Stimme, dass ihm ein blinder Barkeeper den Strawberry-Shooter verweigern würde, aber auch eine ein wenig blasiert und künstlich klingende – fast könnte sie einer Comicfigur gehören. Das Leben hat sich nicht in sie eingegraben, trotzdem ist sie unverwechselbar.




Braucht aber in Frankfurt ein wenig Zeit, bis sie klingt wie auf CD. Was andererseits so was von egal ist, weil die Pet Shop Boys selbstverständlich nicht nur ihre Musik mitgebracht haben. Sondern auch: eine Sängerin, die zunächst auftritt wie Spock als Drag-Queen, Lichtröhren, die in allen Quietsche-Farben erstrahlen, tanzende, goldene (!) Cowboys, Soldaten, die an ihren Uniformen so viel Flitter tragen, dass sie den Feind damit blenden könnten. Mit einem Strahlen im Gesicht marschieren sie zu einem dieser Lieder, die auch eine andere Seite haben (können): ‘Sodom and Gomorrah Show’.




Obwohl vermutlich nur Exzentriker die Boys ihrer politischen Botschaften wegen hören, gibt es gar nicht so wenige im weitesten Sinn ‘politische’ PSB-Songs. Die Bühnenshow macht darauf aufmerksam, wenn im Video-Geblinker Bushs Gesicht aufblitzt (‘I’m With Stupid’), sich zu ‘Suburbia’ ominös die Gardine bewegt, oder in nebulösen Schwarz-Weiß-Bildern kriegsgeplagte Russen zu sehen sind (‘Numb’). Schließlich marschieren die Tänzer in Mantel und Kosakenmütze rein, reißen sich beides ruck-zuck runter, sind im Trainingsdress sofort bereit, die Beine zu werfen zu ‘Se a Vida e’. Ole!




Aber während man sich noch fragt, ob diese unerwartete Wendung nicht doch eine Pet-Shop-Boy-Unglaublichkeit zu viel war, ob ein bisschen mehr Dezenz hier nicht angebracht gewesen wäre, begreift man: Diese beiden Musiker und dezent, das geht einfach nicht zusammen. Wären sie immer nur geschmackssicher, dann wären sie nicht mehr die Pet Shop Boys. Und dann hätte man auch nicht mehr so viel Spaß auf einem PSB-Konzert, das, lang ehe es langweilig werden kann, schon den nächsten Goldjungen ins Rennen schickt.

Taken from: Frankfurter Rundschau
Interviewer: Sylvia Staude