Hallo Balett Show Pur

Die Pet Shop Boys spielen Theater



‘Wir waren enttäuscht, als die Chose schließlich auf die Bühne kam’, erinnert sich Neil Tennant an die erste Pet Shop-Show von 1989:

‘Mit all den Monitoren und Musikern erinnerte uns das Ganze noch viel zu sehr an das typische Rock-Konzert..’ Die schummrig-ironische

Eros-Show von damals – komplett mit Super 8-Filmchen voll von küssenden Adonisen und grotesken Kostümen – stieß zwar zumindest bei

ihren Fans schon auf eitel Beifall. Aber die Pet Shop Boys wollten einen Schritt weiter gehen: ‘Es sollte viel theatralischer werden.

Im Live-Bereich liegt unser wahres Interesse darin, die Möglichkeiten von einer Art Theater mit Musik auszukundschaften, in denen alle

Elemente fehlen, die eine konventionelle Rock-Show so langweilig machen.’


So lachten sich die Boys für die Inszenierung der neuen Konzertrunde David Alden an, der zuletzt für die Produktion der Bartok-Oper

‘Blaubart’ bei der English National Opera verantwortlich gewesen war, dazu den Renommier-Designer David Fielding. Der Aufwand an

musikalischer Hardware war relativ bescheiden, die Ausgaben für Requisiten und die 15 Schauspieler/Tänzer umso größer. Kern des

Spektakels sollten jetzt Mimik, Kostüme, parodistische Sketche, Kabarett und Persiflage bilden. Tennant: ‘Wir sehen uns in der Tradition

von Noel Coward und Joe Orton. Wie diese zwei Dramatiker sind wir zugleich ernst und komisch, sentimental und sarkastisch. So wie sie

aus der bürgerlichen Mittelklasse stammten und doch ständig die Hand bissen, die sie fütterte, kommen auch wir aus der Mittelklasse und

attackieren doch deren Lebensweise. Wir sind Teil der Popszene und pinkeln sie doch ständig an.’


Klar, dass man mit derart vollmundigen Ambitionen ebenso voll auf die Nase fallen kann. Die Pet Shop Boys taten’s nicht – und das hat viel

mit ihrem unbestechlichen Sinn dafür zu tun, wie ein visuelles Detail den hochgestochenen Ambitionen zu einem raffiniert doppelten Boden

verhilft. Allein Neil Tennants misanthropisches Mienenspiel ist in der Hinsicht oft schon genug …


Kommt dann noch ihre unterdessen schon beängstigend lange Reihe von lakonischen Ohrwürmern hinzu, haben wir als Resultat eine Show, bei

der eine Seele schon aus Stein sein muß, wenn das Auge noch trocken bleibt.


Vom Auftakt an ist klar, dass die Boys ihre Drohung, die Show noch weiter zu entrocken, auch instrumentell wahrgemacht haben: Die Gitarre

von JJ Belle und das Keyboard von Scott Davidson sind schon fast hinter dem Vorhang versteckt; wenn Chris Lowe geistesabwesend auf das

Instrument drückt, das ihm lustlos vom Torso baumelt, tut er’s als böse Parodie auf Herrn Mega-Macho-Rocker – und wir lachen ihm alle herzhaft

zu.


Die erste Show-Hälfte dreht sich ums Aufwachsen im schönen Britannien: Nach einem orchestralen Greatest-Hits-Medley, begleitet von tanzenden

Mutanten aus Star Wars und Wagner, folgt ein Dramolett: Tennant und Lowe, in Schuluniformen verpackt, durchleben erneut die Power- und

Masturbationsorgien des Internatslebens. Am Himmel pulsiert ein neonfleischrotes Kreuz, aus den Lautsprechern kommt ‘It’s A Sin’. Auf einem

derart repressiven Nährboden wachsen natürlich politische Konsequenzen – folglich gibt’s ‘My October Symphony’ mit rollendem Stalinkopf; oder

‘Opportunities’ mit schweineköpfigen Businesskapitänen; oder ‘Suburbia’ mit kleinen Boy-Häusern und Jive-tanzenden Krankenpflegern.


Alles ist spektakulär und unterhaltsam, selbst wenn die Brachialgewalt, mit der die visuelle Symbolik eingesetzt wird, bisweilen verdächtig

an das Vokabular von gutgemeinten Schulproduktionen erinnert. Am besten ist die Show dann, wenn sie schräge Gesten und abstrakte Ideen einfach

dastehen und durch ihre Kuriosität verunsichern und fesseln läßt: Wenn Tennant und Lowe beispielsweise auftreten wie Tim & Struppi, wenn

Chris Lowe etwa in perverser Madonna-Persi-flage die Hose herunterzieht und ‘We All Feel Better In The Dark’ singt. Solche Momente haben eine

ähnlich surreale Brisanz wie die Gemälde eines Magritte oder die Fotos von Man Ray.


Das Publikum, zumindest das in London, scheint von der optischen Opulenz so überwältigt zu sein, dass sich der Applaus erst zögerlich Bahn bricht.

Das ändert sich nach der Pause: Jetzt lassen die Boys den Groove raus und bringen, lockerer inszeniert, die größten Hits. Resultat: tumultöse

Begeisterung! Jedenfalls in England. Reporte aus den USA allerdings vermelden eine skeptischere Aufnahme der Theater-Show.


Und auch in Deutschland kamen die Hits wohl besser an als die Show. Die deutschen Medien beklagen die ‘Prätentionen’ und können sich scheinbar

nur schwer von der Vorstellung trennen, dass nur Musik mit echten Saiten Wärme, Freude, Sensibilität und Subtilität ausstrahlen kann. Vielleicht

auch ein Sprachproblem. dass sie zumindest ohne Theater auskommen können, bewiesen die Boys bei einem Benefiz im Oktober: Für eine Londoner

Aids-Organisation gab’s dort Pet Shop Boys pur.

Taken from: ME/Sounds Special 03/1991
Interviewer: Hanspeter Künzler