Euer Schiff ist ein Mülltransporter






Die Pet Shop Boys gastierten in der nicht ausverkauften Libro Music Hall – mit Liedern über Liebe,

Sex, Ruhm und Geld. Spätestens die künstlerisch wertvollen Fiep- und Brummgeräusche zu Beginn machen

es selbst den Unbedarften klar: Das hier ist keine Kinderjause. Hier gilt es, aufzumerken, mitzudenken,

Mitarbeitsplusse zu sammeln. Der erste Song, ‘For Your Own Good’, kommt vom Band.


Auf einer Großleinwand drehen sich die Köpfe von Neil Tennant und Chris Lowe teilnahmslos im Cyberspace,

während rund um sie Urknalle im Clubformat zucken. Das erinnert ein wenig an die sehr späten Pink Floyd,

nur der Biergeruch fehlt. Ironie? Das weiß man bei den Pet Shop Boys nie.


Seit 15 Jahren, seit dem Welthit ‘West End Girls’, arbeiten der ehemalige Popjournalist Tennant und

der ehemalige Architekturstudent Lowe an der Verfeinerung ihres Stils. Sie sagen Kunst und meinen

Kitsch und umgekehrt.


Sie covern Elvis-Schnulzen, schmuggeln mit ‘New York City Boys’, der Hommage an ihre Idole The Village

People, ‘den schwulsten Song, der je geschrieben wurde’ (ein englisches Musikmagazin) mitten ins

Spießer-Radio. Sanieren nebenbei mit ‘What Have I Done To Deserve This’ die Karriere der inzwischen

verstorbenen Dusty Springfield. Demnächst wollen sie ein Musical veröffentlichen, vielleicht ein Buch

über antike Croquet-Schläger, wer weiß?


Selbstverständlich ist bei den Pet Shop Boys auch die Bühne nicht einfach ein nach getragenen

Sportschuhen riechender Turnsaal für angewandtes Ego-Zirkeltraining, sondern ein Statement. Nur

welches? Das von der überaus gut im Ruf stehenden Architektin Zaha Hadid entworfene Gebilde sieht

aus wie ein klingonischer Frachtkreuzer nach der Kollision mit dem Hauptquartier einer modernen

Erweckungssekte. Weißes Licht fließt über rostige Platten. Und ständig rechnet man damit, den schönen

klingonischen Fluch ‘veGDuj’ oH Dujllj’ e’!’ (‘Euer Schiff ist ein Mülltransporter!’) zu hören.

Hadids Bühne rahmt die statische Präsentation – die Pet Shop Boys tanzen nie! – sehr schön ein, und sie

gibt den Einlagen der Tänzertruppe (Matrosenanzüge’) ein absurdes Flair. Die Licht- und

Bewegungs-Choreographie zitiert vorsichtig die abstrakten, kühlen Regiearbeiten von Robert Wilson.

Und sollte die nächste Tournee von der mit Phantasie gefüllten Theater-Mozartkugel Achim Freyer

inszeniert werden, wäre es auch OK.

Ansonsten geht es sogar legerer zu als früher. ‘Wir bringen heute Lieder über Liebe, Sex, Ruhm und Geld.

Wenn ihr wollt, könnt ihr dazu tanzen’, zeigt sich Tennant, wunderbar weich bei Stimme, generös.

Ironie? Wurscht. Wenn sich die Pet Shop Boys mit Make-up, Kostümen und Perücken beim japanischen

Kabuki-Theater bedienen – soll das eine Analyse der Zukunft des Pop sein oder einfach nur cool

aussehen? Und: Vermutlich ist das ohnehin das Gleiche.

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