Es muss eine Zukunft geben

Am 7. September veröffentlichen die zwei Hüter des Pop

ihr neues Album mit dem Titel “Elysium”.

Wir haben uns vorab mit ihnen auf einen Plausch getroffen

Es ging dabei unter anderem um Schwermut,

die Tücken der modernen Technik und den

perfekten Pop-Song.




Mr. Tennant, Mr. Lowe, “Elysium” ist Ihr elftes Studioalbum. Bei dem Titel fällt sicher dem ein oder anderen Schillers „Ode an die Freude“ ein, ist der Albumname eine Anlehnung an “Tochter aus Elysium”?



Neil Tennant: Nein, der Elysian Park in Los Angeles heißt so, nach ihm haben wir das neue Album benannt. Wir wollten dem Album einen Titel geben, der den etwas anderen Sound der neuen Lieder unterstreicht. Elysium passt gut zu der Stimmung des Albums. Es geht um das Paradies und um den Tod, teilweise klingt das etwas schwermütig, aber auf eine sehr malerischen Art und Weise. Der letzte Song des Albums handelt beispielsweise von dem Begräbnis eines Bekannten, einer wahren Begebenheit: Am Ende fährt er mit seinem Motorrad gen Unendlichkeit.



Haben Sie diesen schweren Mood mit Absicht, passend zu einer Zeit von Fukushima, der globalen Finanzkrise und des teilweise sehr blutigen arabischen Frühlings, gewählt?



Tennant: Wir leben in einer sehr turbulenten und merkwürdigen Zeit und unser neuer Song “Hold on” beispielsweise handelt auch davon. Ich finde es übrigens erstaunlich, dass die Menschen noch nicht panisch geworden sind, dann würde hier alles einfach zusammenbrechen. Aber wie wir in “Hold On” schon singen, es muss eine Zukunft geben. Dass Lied soll eine Art Hymne auf die Rezession sein, eine Antwort auf das, was im Moment in der Welt passiert – der Rest des Albums ist eigentlich relativ unpolitisch gehalten. Es geht in den anderen Liedern viel mehr um Einblicke in die Leben von Menschen unseren Alters, um private Erlebnisse.



Aber auch um die Geschichten von jüngeren Kollegen im Musikbusiness, oder?



Tennant: Das stimmt, bei dem Lied “Ego Music” geht es um jüngere Popstars und deren mediale Ausschlachtung und Selbstinszenierung – wie sie mit ihren Fans in sozialen Netzwerken kommunizieren und so. Ich finde das teilweise einfach nervig; immerzu ich, ich, ich, deswegen habe ich einen satirischen Text zu dem Thema gewählt, es soll aber in erster Linie dem Amüsement dienen. Der Rest des Albums ist wie gesagt nicht wirklich melancholisch, aber es schwingt schon eine gewisse Traurigkeit mit, deswegen ist es gar nicht so schlecht auch etwas witziges mit einzubauen.



In dem Song “Breathing Space” singen Sie über Privatsphäre und einen eigenen Rückzugsort. Was ist Ihr Ruhepol?



Tennant: Ich habe ein Haus in Nord-England, das ist mein Rückzugsort und davon handelt auch das Lied. Du wirst ja heutzutage förmlich verfolgt, von E-Mails und Kameras, möchtest einfach nur abhauen, weißt aber eigentlich nicht wie. Dieses Haus ist mein Weg, dem Ganzen zu entfliehen und die Zeit, die ich dort verbringe, ist für mich jedes Mal sehr befreiend und heilsam.



Chris Lowe: Du hast da noch nicht einmal eine Internetverbindung, oder?



Tennant: Nur eine echt miserable. Das gefährliche am Internet ist, dass man darin stundenlang versacken kann, anstatt im Garten zu sitzen und ein Buch zu lesen.



Wie sieht es mit Fernsehen aus?



Tennant: Einen Fernsehanschluss haben wir schon, aber ich schaue in erster Linie Filme auf DVD an. Zum Beispiel alte schwarz-weiß Filme der 30er Jahre die in London oder Berlin spielen. Ich liebe am Kino, dass es einem die Möglichkeit gibt, die Welt so zu sehen wie sie früher einmal gewesen ist.



Bleiben wir beim Thema Internet. Was halten Sie davon, dass mehr und mehr Musiker ihre Tracks auch einzeln online zum Verkauf anbieten, könnte das den Tod der regulären Single oder des Albums bedeuten?



Tennant: Nein, das denke ich nicht. Wir haben zwar den ersten Song des neuen Albums auch zuerst als Online-Video herausgebracht, aber nur um den Menschen einen kleinen Vorgeschmack auf das neue Album zu geben. Es werden mit Sicherheit auch in Zukunft noch Alben produziert. Wir wollten unser neues Album eigentlich am 17. September rausbringen, weil an dem Tag aber schon so viele andere Alben veröffentlicht werden, haben wir den Release-Termin jetzt um eine Woche nach vorne gezogen. Ich glaube nicht, dass das Album als Format in Gefahr ist.



Lowe: Es ist schön, mal zur Abwechslung über den Tod des Albums zu sprechen, im Gegensatz zu der ständigen Rederei über den Tod der Single. Die Musikindustrie versucht ja seit Jahren, die Single zu vernichten.



Tennant: Ja das stimmt, wir bringen zum Beispiel eine CD-Single des Tracks “Winner” heraus, mit ein paar extra Liedern drauf, und bei unserer Plattenfirma hat man sich darüber nur amüsiert und den Kopf geschüttelt. “Wann habt Ihr das denn das letzte Mal gemacht?”, haben wir da zu hören bekommen. Aber die Fans lieben Singles und kaufen die eben auch gerne, sie wollen ein physisches Produkt: CDs, DVDs und sogar Vinyl, mit ein paar extra Songs und Mixen und einem netten Cover, etwas zum Anfassen eben. Warum sollten wir Ihnen das nicht geben.



Ich habe versucht, die Musikvideos zu den ersten beiden Songs Ihres neuen Albums auf dem offiziellen Pet Shop Boys YouTube-Kanal anzuschauen, leider sind die Videos in Deutschland nicht verfügbar. Das hat etwas mit den Nutzungsrechten und der GEMA zu tun. Was halten Sie grundsätzlich von Verstößen gegen das Urheberrecht und neuen Vergütungsmodellen wie Kulturflatrates?



Tennant: Na ja, das mit der GEMA in Deutschland geht ja soweit ich weiß schon in Richtung Kulturflatrate.



Lowe: Wobei man hier in Deutschland dann ja den Fall hat, dass die großen Stars viel mehr Geld bekommen, als Underground-Musiker. Ich denke, das Problem ist nicht ob überhaupt Geld an die Künstler fließt, sondern, dass die Verteilung einfach nicht fair ist.



Tennant: Obwohl man durch die heutige Computer-Technik ganz genau weiß, was an wen verkauft wurde.



Lowe: Oder wie oft etwas gehört oder gesehen wurde. Es sollte also eigentlich einfach sein, einen fairen Verteilungsschlüssel zu kreieren.



Tennant: Der heutige Umgang mit der Musik ist einfach viel zu lieblos geworden. Wir sind noch mit der Einstellung groß geworden, dass Musik und ihr Medium sehr wertvoll und schön sind. Ich weiß noch wie mein Cousin zum Weihnachtsfest 1963 die Platte “With the Beatles” bekam. Das war etwas wirklich besonderes: der Geruch und das Papier des Albums – das war damals unbeschreiblich kostbar für uns.



Und das hat sich fundamental geändert?



Tennant: Es hat sich geändert, die Digitalisierung eines Produktes birgt immer die Möglichkeit es kostenlos zu bekommen. Aber das Grundprinzip hinter dem Vertrieb hat sich ja nicht geändert. Wissen Sie, niemand würde auf die Idee kommen, diese Idee zum Beispiel auf einen Tisch zu übertragen, nach dem Motto: “Warum sollten wir in der Zukunft den Vertrieb von Tischen nicht hinterfragen und ändern?” Es bleibt wie es ist, der Tisch wird designed, produziert und dann verkauft.


Und bei der Musik ist es eigentlich das Gleiche, der Künstler hat Zeit und Geld investiert um ein Produkt herzustellen und er kann auch erwarten, dafür bezahlt zu werden um davon zu leben.



Lowe: Und nur so kann er ja auch die Produktion für das nächste Album finanzieren.



Apropos Produktion, warum haben sie Ihr aktuelles Album im Gegensatz zu vielen Ihrer vorigen nicht in London, sondern in Los Angeles produziert?



Tennant: Die Pet Shop Boys sind seit jeher eine sehr europäisch klingende Band. Wir wollten für das aktuelle Album aber einen amerikanischen Toningenieur und Produzenten, der sich mit “Electronic HipHop” auskennt – die benutzen zwar die selben Maschinen wie Ihre europäischen Kollegen, aber von einem anderen Blickwinkel aus, deswegen fiel unsere Wahl auf Los Angeles.



Wie arbeiten Sie eigentlich an einem Song, jammen Sie?



Lowe: Das ist eine schöne Vorstellung, die jammenden Pet Shop Boys – nein, das machen wir eigentlich nicht mehr.



Tennant: Sollten wir aber eigentlich wieder öfter tun, viele unserer frühen Stücke sind so entstanden.



Lowe: Stimmt, wir hatten da nur einen Juno, ein Rhodes Piano und einen Dr. Rhythm.



Tennant: Und ab und zu hab ich auch noch auf dem Tisch rumgehämmert und mit dem Reverb- und Echo-Effekten mein Unwesen getrieben – die beiden Effekte haben mich schon immer fasziniert.



Lowe: Ja, so war das früher, aktuell produzieren wir aber fast nur noch mit Computern und Programmen wie Apples Logic und PlugIns von Native Instruments. Damit geht alles einfach viel schneller und es ist um einiges praktikabler. Als wir mit Take That getourt sind, hatten wir zum Beispiel nur einen Laptop und ein Keyboard dabei. Es ist schon erstaunlich, dass das heutzutage reicht.



Tennant: Auf der anderen Seite fehlt mir der direkte Zugang, um an den Effekten rumzuspielen. Und Toningenieure mögen das gar nicht gerne wenn man so rumalbert.



Lowe: Ein anderes Problem ist, dass die Programme abwärts oft nicht mehr kompatibel sind. Es reicht oft schon ein neues Betriebssystem und nichts geht mehr. Deswegen hab ich auch immer noch Leopard auf meinem Rechner. Und um immer noch unsere alten Lieder spielen zu können, hebe ich sogar die Rechner von damals auf, teilweise noch mit OS 9.



Tennant: Dass du die alten Kisten echt noch alle hast, wusste ich ja gar nicht. Aber es stimmt schon, in 20 Jahren kannst du sicherlich keine unserer jetzigen Musikprojekte mehr gebrauchen, es wird dann einfach nichts mehr kompatibel zu den heutigen Programmen sein. Aber das 1986 Master-Tape von “West End Girls” könnte ich dir in zwei Tagen aus den Abbey Road Studios in London einfliegen lassen, auch in 20 Jahren noch.



Kommen wir noch einmal auf das Problem mit der oft fehlenden Haptik von Computer-Programmen zurück, was halten Sie von Apps und Touch-Screens zum Musikmachen?



Tennant: Meinen Sie jetzt Telefon-Apps?



Ja, zum Beispiel oder solche für Tablet-Computer.



Tennant: Ich hab so etwas auf meinem Telefon, aber ich benutze das eigentlich nie.



Lowe: Unser Live-Engineer mischt mit einem Tablet-Computer, es scheint also zu funktionieren. Aber bei all diesen Apps mit denen man rumklimpern kann und irgendwie “Musik” macht, sollte man den Unterschied zwischen Komponieren und Musik erzeugen nicht vergessen. Komponieren kann man auch einfach an einem Klavier oder an einer Gitarre. Mit einer App macht man oft nette Musik, aber das ist dann nicht wirklich ein Song. Wir konzentrieren uns eher auf den Aspekt, einen guten Pop-Song zu schreiben.



Und was macht einen guten, oder gar den perfekten Pop-Song aus?



Tennant: Ich glaube, das kann man nicht so einfach beantworten, was gestern ein guter Pop-Song war, muss heute kein guter mehr sein, es kommt ganz auf die Zeit an. Es ist schwierig das zu analysieren, aber es gibt eine Sache, die allen guten Pop-Songs innewohnt, sie schaffen es, dass du dich großartig fühlst, und es gibt sehr viele Wege das zu erreichen.

Taken from: De:Bug Musik
Interviewer: Leon Krenz