Stil, Intelligenz, Cleverness, perfekter Pop:
Die Pet Shop Boys im Nightlife
Sie werden in dir den Wunsch wecken, Geschichtsbücher zu lesen und deinen IQ zu verbessern, schrieb ein Rockjournalist einmal über die Pet Shop Boys und auch wenn das vermessen klingt, so ist doch faszinierend, welche genreübergreifende Achtung diese Band inzwischen erfährt. Sie sind so etwas wie elder statesmen des Pop, in den Charts genauso gern gesehen wie in der SPEX, was nicht heißen soll, dass ihre Qualität hauptsächlich darin besteht, wie lange es sie schon gibt, sondern doch zuallererst in der Art, wie sie ihre Karriere gestaltet haben.
Angefangen als Elektro-Pop-Duo in den 80ern, das sich vor allem an italienischen Disco-Sounds orientierte, wurden sie von vielen als kurzzeitiges Phänomen belächelt. Äußerungen wie Einen Nummer 1-Hit zu haben fühlt sich so an, als wenn man eine Tasse Tee trinkt, zeugten allerdings schon frühzeitig davon, dass die Pet Shop Boys über etwas verfügen, was im Musikgeschäft nicht unbedingt zuhauf vorkommt: Intelligenz und Stil. Diese Komponenten, verbunden mit der zeitlosen Fähigkeit, wirklich große Popsongs zu schreiben, ermöglicht ihnen auch heute noch, in den Clubs genauso zu Hause zu sein, wie auf der Hifi-Anlage älterer Fans. Das neue Album trägt den Titel Nightlife. Neil Tennant dazu: Es ist so etwas wie eine moderne Popversion eines klassischen Sinatra-Albums. Es geht in den Stücken fast immer um Beziehungen, jemand wartet auf seinen Partner oder wundert sich, was falsch gelaufen ist. Ich glaube, dass die Wahrnehmung der Menschen in der Nacht anders ist. Die Dinge erscheinen dann in einem überzeichneten Licht. Etwas Gutes scheint besser zu sein, das, was schlecht ist, noch schlimmer. Auf ihrer letzten Platte hatten die Pet Shop Boys ihre Songs mit lateinamerikanischen Einflüssen versehen. Diesmal wollten sie wieder zu ihrem Popsound zurückkehren, allerdings unterstützt durch großes Orchester: Wir wollten elektronische Musik mit Streichern verbinden. Deshalb haben wir diesmal mit Rollo von Faithless und mit Craig Armstrong gearbeitet, einem Filmkomponisten, der auch schon für Massive Attack oder Madonna tätig war.
Bilingual, die letzte Platte, ist nach Neil Tennants Ansicht ein sehr persönliches Album gewesen. Mit Nightlife gehen die Pet Shop Boys jetzt wieder auf gewohnte Distanz, was sich auch in ihrem neuen Look widerspiegelt: We always liked to dress up. Wir wollten immer eine Art Uniform haben, etwas, was uns erkennbar macht. Wir hatten ja auch schon alberne Hüte auf dem Kopf. Für den neuen, sehr modischen, exotischen Look haben wir uns von japanischen Samurai inspirieren lassen. Die orangenen Haare sollen an Punk erinnern. Ich finde, das Musikgeschäft könnte heute wieder etwas mehr Punk vertragen…
Musikalisch sind es natürlich auch diesmal wieder die drei großen Buchstaben POP, die von den Pet Shop Boys seit Jahren in einzigartiger Manier immer wieder mit Leben gefüllt werden. Neil Tennant: Popmusik ist ein Gefühl. Das ganze Konzept besteht darin, das es immer etwas Neues verspricht. Das ist faszinierend. Wir haben immer versucht, uns alle drei Jahre irgendwie neu zu kreieren. Popmusik sollte immer ein bisschen der Soundtrack zu deinem Leben sein.
Ein Attribut, das den Pet Shop Boys immer wieder angehängt wurde, ist natürlich ihre Intelligenz, aber auch in der Bewertung ihrer so genannten Cleverness ist Neil Tennant vorsichtig: Wir fanden es immer seltsam, dass Leute zu uns die Einstellung hatten: Oh, was ihr macht, ist so clever oder Ich verstehe euren Humor genau. Ich verstehe unseren Humor ja selber nicht immer. Außerdem sagen sie das auch über Dinge, die nicht einmal lustig sind. Und das ist ein bisschen beängstigend. Wir haben natürlich einige Stücke geschrieben, die ironisch oder sarkastisch gemeint waren, wie z.B. Opportunities aber viele unserer Stücke sind gar nicht so ironisch. Mir gefallen auch Dinge nicht, die lediglich clever erscheinen, aber keine wirkliche Seele haben. Es ist wichtiger etwas zu hören, hinter dem echte Gefühle stehen als etwas cleveres. Ich denke, unsere Cleverness wird einfach überschätzt.
Dass sich Tennant in der Popmusik auskennt, beweist der ehemalige Journalist dann jedoch, wenn er im Gespräch darauf hinweißt, dass I dont know what you want but I cant give it anymore keinesfalls der längste existierende Singletitel ist, sondern ein obskures Stück namens Why did you believe me when I told you that I love you and you know Ive been a liar all my life. Auch das optische Erscheinungsbild des neuen Albums passt zu einer Band, deren Plastik-CD-Cover zu Very inzwischen im New Yorker Museum of Modern Art hängt: Den Titel Nightlife illustriert hier ein Foto der beiden in einer U-Bahn wo jedoch die Landschaft hinter dem Fenster durch Bewegung verwischt sein müsste, sind es die Köpfe der beiden. Nachtleben als etwas vergängliches, das vor allem durch Bewegung gekennzeichnet ist. Wie sieht das Nachtleben der Pet Shop Boys überhaupt aus? Mein Nachtleben besteht mehr darin, in Restaurants oder Clubs zu gehen, wo man sich unterhalten und etwas trinken kann. Aber ich gehe natürlich manchmal auch in Discos, vor allem wenn wir in New York sind, erzählt Neil Tennant.
Auch in der letzten Zeit hatten wir von den Pet Shop Boys gehört: Sie waren endlich wieder auf Tour, mit einem Bühnendesign der amerikanischen Architektin Zaha Hadid: Es wird weniger eine Visualisierung der einzelnen Stücke geben wie auf der letzten Tour, sondern ein abstraktes Design: Wundervolle Formen, durch die man man hindurchgehen kann, gekleidet in ein lächerliches Kostüm und angeblasen von einer Windmaschine. Die Idee, Pop-Konzerte so künstlich und unrealistisch wie möglich zu gestalten, hat uns schon immer gefallen. Vielleicht wird es deshalb schon in diesem Jahr die wohl künstlichste Form eines Konzerts geben: ein Musical, geschrieben von den Pet Shop Boys. Ein Song daraus, In Denial, befindet sich bereits auf Nightlife ein Duett mit Kylie Minogue. Weitere Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen. Ein anderer Song, der auf dem neuen Album auffällt, ist Boy Strange, der sehr an David Bowie erinnert: Am Anfang klang es sogar noch mehr nach Rockn Roll, meint Tennant, der Chorus sogar etwas nach Nirvana, aber alle meinten, niemand würde uns abnehmen, dass wir das ernst meinen… Das alte Problem, aber genau das ist es, was die Pet Shop Boys auszeichnet: Popmusik ernst genommen. Gut, dass es das noch gibt.
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