Einfach mal Ja sagen



Die Pet Shop Boys über Konsumzwang, Scooter, Ostdeutschland und ihr neues Album ‘Yes’

Alle Welt sorgt sich und ist traumatisiert; man übt Kritik und analysiert die Krise und sagt erst mal zu allem Nein. Nicht so die Pet Shop Boys: Sie sagen jetzt Ja! ‘Yes’ heißt das ganz fabelhafte neue Album der beiden britischen Pop-Philosophen Neil Tennant und Chris Lowe, die auch ein Vierteljahrhundert nach ihrem ersten Hit ‘West End Girls’ nichts an Intelligenz, Originalität und hinternkickender musikalischer Raffinesse eingebüßt haben.


Meine Herren, ich habe gehört, Sie schreiben gerade an einer Ballettmusik. Warum das denn?


Neil Tennant: Die Leute vom Sadler’s Wells Theater in London haben uns darum gebeten. Sie stellen sogar eigens eine Company für uns zusammen! Die Musik wird eine Mischung aus Elektronik und Streichern sein. Das Ganze basiert auf einer Geschichte von Hans Christian Andersen und soll wie ein Stück von Tschaikowski werden. Es ist ein ehrgeiziges, aufregendes Projekt, und wir werden wohl erst Ende des Jahres damit fertig. Denn nun gibt es ja ein neues Album und eine Tour der Pet Shop Boys.


Apropos Tschaikowski: In dem Stück ‘All Over The World’ gibt es ein Tschaikowski-Sample, wodurch das Ganze wie HipHop wirkt. Wäre das nicht die bessere Single gewesen als jetzt ‘Love etc.’?


Neil Tennant: Oh ja, ‘All Over The World’, das ist unser ‘Gangsta’s Paradise’! Der Song hat mehr Bass als alles, was wir jemals aufgenommen haben. Aber ‘Love etc.’ wurde eigens dafür geschrieben, dass es als Single erscheint. Das Stück haben wir mit Xenomania gemacht, dem hippen Hit-Produzententeam von Girls Aloud.


Die kennt in Deutschland übrigens kaum jemand.


Neil Tennant: Aber die Sugababes hatten Hits in Deutschland, oder? Es stimmt, das ist heute nicht mehr so wie früher. Abgesehen von Timbaland und Madonna haben wir in England heute andere Charts als die Deutschen. In den Achtzigern hatten wir Bananarama, und ihr hattet Bananarama. Ihr hattet Nena, wir hatten Nena. Wir hatten Kraftwerk, ihr hattet Kraftwerk …


Heute haben wir Scooter, und ihr habt Scooter!


Neil Tennant: (lacht) Es ist nicht meine Musik. Aber zugegeben, ‘Fuck The Millennium’ war eine Granate.


Chris Lowe: Ich liebe Scooter! Seine Raps sind brillant. ‘The Question is what is the Question’ – das ist fantastisch. Scooter sind sehr tiefgründig!


Neil Tennant: Es sind Worte für Leute, die kein Englisch verstehen. Das ist etwas, worüber man nachdenken sollte, wenn man einen Popsong schreibt und eine internationale Gefolgschaft hat.


Auf dem ganzen Album geht es viel um Liebe, mal in euphorischer Stimmung, mal melancholisch.


Neil Tennant: Deshalb heißt das Album auch ‘Yes’. Um selbst den traurigen Momenten der Liebe etwas Positives zu geben.


‘Love etc.’ bezeichnen Sie als Ihre ‘Post-Lifestyle-Hymne’!


Neil Tennant: Wir leben nun mal in einer Welt, wo Aufrichtigkeit nicht das ist, worum es geht. Und Liebe ist Aufrichtigkeit. Sie ist ein Edelstein, ein ehrliches Gefühl, das dich verändert. Doch seit Jahren ist die Gesellschaft nur besessen von Reichtum, Geld und Konsum. Da fängt man fast an, sich auf den wirtschaftlichen Untergang zu freuen.


Sind Sie nicht so konsumfreudig?


Neil Tennant: Ich muss nicht immer die neueste Jeans haben. Alle zwei Jahre einen Mac oder ein Telefon – na gut. Aber manchmal denke ich, es wäre großartig, wenn eine Weile nichts Neues erfunden werden würde.


‘Love etc.’ heißt also: Liebe ist das, was im Leben zählt.


Neil Tennant: Die Erkenntnis hatten die Pet Shop Boys schon vorher. Aber wenn man älter wird, wertschätzt man Liebe mehr. Damit meine ich nicht sexuelle Liebe. Ich meine Freundschaft und Loyalität von Leuten, mit denen du dich wohl fühlst. Sie tun etwas für dich, und du tust alles für sie. Zu Schulzeiten habe ich es ähnlich empfunden, aber in der Zeit danach verliert man schon mal das Interesse, weil man mit so vielen anderen Dingen beschäftigt ist.


Über das Privatleben der Pet Shop Boys weiß man nicht viel.


Neil Tennant: Ich habe die Pet Shop Boys immer eher als Marke gesehen. Als Personen traten wir nur zum Vorschein, wenn es um Humor in den Songs ging. Wir haben uns niemals als Stars betrachtet. Deshalb ist es auch ein Schock für mich, wenn ich in London unterwegs bin und plötzlich zehn Fotografen um mich herum sind. Ich denke dann: Warum wollen die ein Foto von mir? Das werden die nie los!


Wie stehem die Chancen, Sie auf einer öffentlichen Toilette in einem Park zu erwischen?


Neil Tennant: Aussichtslos. Ich bin nicht so der Draußen-Klo-Typ.


Auf ‘Yes’ gibt Johnny Marr von den Smiths ein Gastspiel. Wann kommt denn Morrissey mal mit dazu?


Neil Tennant: Johnny ist mit seiner Gitarre schon auf früheren Platten von uns zu hören. Diesmal spielt er sogar die Mundharmonika für zwei Stücke.


Chris Lowe: Ich hatte ja vorgeschlagen, Morrissey und Marr getrennt voneinander für den selben Track aufzunehmen. Dann hätten wir den Aufkleber ‘feat. The reunited Smiths’ auf die Platte geklebt.


Neil Tennant, auf der Website der Pet Shop Boys sieht man ein Bild von Ihnen vor dem Schloss Sanssouci! Sind Sie oft in Deutschland?


Neil Tennant: Ich bin sehr oft in Berlin. Der Song ‘Sanssouci’ von Rufus Wainwright ist der Anlass, aus dem das Bild entstanden ist. Ich musste es mir einfach mal ansehen. Ich habe ja 2006 eine Woche mit Rufus für seine Platte in diesem beeindruckenden, ehemaligen DDR-Rundfunkgebäude in Berlin-Köpenick aufgenommen. Es gibt etwas am Osten, was mich fasziniert. Allein die Tatsache, dass der Westen diese sonderbare, andere Version von Deutschland akzeptierte.


Woraus schließen Sie das?


Neil Tennant: Als wir in den 80ern zum ersten Mal nach Deutschland kamen, meinten die Leute von unserer Plattenfirma, Ost-Deutschland sei ein fremdes Land für sie. Das fand ich merkwürdig. Wir haben David Bowie 1987 am Reichstag spielen sehen, da guckten die ostdeutschen Punks über die Mauer rüber. Als er bei ‘Heroes’ die Zeile sang ‘I can remember standing by the wall’, hätte es ein magischer Moment werden können. Aber kein Westdeutscher reagierte darauf. Ich konnte es nicht fassen! Bowie muss sehr enttäuscht gewesen sein.


Das Gespräch führte


Katja Schwemmers.


Pet Shop Boys: Yes (Capitol/EMI) – erscheint am 20. März

Taken from: Berliner Zeitung
Interviewer: Katja Schwemmers