Dieses Achtziger-Ding ist echt beleidigend

Die Pet Shop Boys bringen ihr elftes Album heraus. Im Interview sprechen sie über twitternde Promis, Altern im Popgeschäft und den Fluch der achtziger Jahre



ZEIT ONLINE: Sie sind oft in Deutschland. Ist Berlin mittlerweile Ihr Zweitwohnsitz?



Tennant: Wir verbringen dort etwa sechs Wochen im Jahr. Was für eine ungewöhnliche Stadt, so herrlich ruhig und grün. Ich muss bei Berlin immer an einen Wald denken, in dem Gebäude stehen. Wir mögen die Geschichte, die Clubs und die Galerien. Die Szene ist entspannter als im stressigen London. Wenn ich von London nach Berlin fahre, ist das für mich, als würde ich aufs Land fahren. Wir gehen in Berlin manchmal ins Berghain. Wir genehmigen uns am Sonntagmittag ein paar Pre-Lunch-Drinks und bleiben dann für eineinhalb Stunden. Es ist aufregend dort: die Dunkelheit und die ganzen Typen, die dort seit Stunden tanzen.



ZEIT ONLINE: Fühlen Sie sich mit über 50 manchmal deplatziert im Nachtleben?



Chris Lowe: Wir haben in einigen der besten Clubs der Welt in ihrer Blütezeit gefeiert. Die beste Zeit war New York in den 1980ern, als Electro, Latin und Hip-Hop groß waren. Damals gingen wir in die Paradise Garage und das Funhouse. Die Musik war total neu und die Leute tanzten auf den Straßen. Die Latino-Clubs waren voller Energie, DJs wie Arthur Baker und John ‘Jellybean’ Benitez unheimlich populär. Diese Musik, deren Wurzeln bei Kraftwerk lagen, war unglaublich. Sie hatte einen speziellen amerikanischen Dreh.



ZEIT ONLINE: Vermissen Sie diese Zeit?



Lowe: Wenn du in diesen New Yorker Clubs warst, ist es heute schwierig, in einen Club zu gehen und etwas Neues zu entdecken. Man kann die damaligen Erfahrungen kaum wiederholen. Wobei ich neulich in einem coolen Underground-Club in Manchester bei einer Dubstep-Night war. Großartig! In einem Raum lief Dubstep, im anderen Drum’n’Bass. Es war unglaublich laut und dreckig.



ZEIT ONLINE: Auch Madonna ist, wie Sie, für einen Popstar fast schon im biblischen Alter. Das hindert sie nicht daran, Teenager-Klamotten zu tragen und ihre Musik mit Sex zu verkaufen. Keine Marketingstrategie für die Pet Shop Boys, oder?



Lowe: Ganz bestimmt nicht (lacht schallend).



Tennant: Wir haben nie Sex verkauft, auch wenn wir in den 1980er-Jahren richtige Popstars waren und die Mädchen bei unserem Anblick in Geschrei ausbrachen. Wir verkaufen in unseren Songs vielmehr einen Standpunkt. Wobei Stars, die Sex verkaufen, durchaus viele Platten mit dieser Methode loswerden. Schau dir Tom Jones an, der inszeniert sich seit den Sechzigern als heißer Waliser. Ich denke, für ihn und Madonna muss das auf die Dauer nervtötend sein.



ZEIT ONLINE: Sind Sie dünnhäutiger geworden, wenn Sie auf die ruhmreichen achtziger Jahre angesprochen werden? Ihr neuer Song Your early stuff klingt zumindest danach. Sie singen ‘Ich nehme an, Sie sind mehr oder weniger im Ruhestand. Was ist für Sie heute noch drin? Brauchen Sie das Geld?’



Tennant: Es ist sehr frustrierend für uns, wenn sich immer alle auf unsere Karriere in den Achtzigern beziehen. Besonders, wenn wir neue Platten herausbringen, auf die wir stolz sind. Deshalb zitiere ich Taxifahrer in Your early stuff. Die Sätze haben sie tatsächlich so zu mir gesagt. Dazu eine Anekdote: Neulich habe ich ein Madonna-Video auf dem Videoportal Vevo angeschaut. Und was wurde mir danach vorgeschlagen? Gloria Estefan! Bei uns ist es genauso. Wenn du die Pet Shop Boys magst, denken alle, dass du bestimmt auf Erasure und Human League stehst. Keiner käme auf die Idee, dass ein Pet-Shop-Boys-Fan auch The XX und Johann Johannsson mögen könnte. Bei Amazon werden wir immer in einem Atemzug mit Human League und ABC genannt. Alle kommen ständig mit diesem Achtziger-Jahre-Ding an. Das ist echt beleidigend.



ZEIT ONLINE: Also sind Sie genervt von Ihrem Ruhm?



Tennant: Ach was, wir kommen damit gut klar. Wir verhalten uns nicht wie berühmte Menschen. Wir laufen ganz normal durch die Stadt, gehen in eine Kneipe und bestellen Spinat und Eier. Wir können ungestört bei Marks & Spencer auf der King’s Road in London shoppen. Alles wunderbar.



ZEIT ONLINE: Auf dem neuen Album gibt es den Song Ego Music. Darin verspotten Sie egozentrische Popstars. Wen hatten Sie denn da im Sinn?



Tennant: Oh, keine bestimmte Person. Uns ging es um die Art, wie herablassend jüngere Popstars ihre Fans behandeln, was wir ziemlich peinlich finden. Über Twitter posaunen sie Banalitäten in die Welt.



ZEIT ONLINE: Sie senden doch auch Twitter-ähnliche Kurzmeldungen, die Pet Texts. Unlängst zum Beispiel ein Foto einer Trachtengruppe im Hofbräuhaus.



Lowe: Das Hofbräuhaus ist ja auch unschlagbar. Unsere Nachrichten unterscheiden sich deutlich von Twitter. Twitter ist interaktiv und weil wir das nicht mögen, haben wir damit vor zwei Jahren aufgehört. Wir verkünden unsere Mitteilungen lieber von einem erhabenen Standpunkt aus.



ZEIT ONLINE: Kamen so dumme Antworten auf Ihre Tweets?



Lowe: Nein. Twitter passt einfach nicht zu uns.



Tennant: Wir mögen nämlich keine Antworten. Schlimm finden wir es auch, wenn die Leute unverschämte und gemeine Dinge schreiben.



Lowe: Wir möchten kein zu enges Verhältnis zu unseren Fans aufbauen. Wir bleiben lieber mysteriös.



Tennant: Wir wollen kontinuierliches Geschwätz vermeiden. Wenn Popstars Social Media nutzen, ist das total unaufrichtig. Der Fan hat den Eindruck, mit dem Popstar zu kommunizieren. Aber diese Vertrautheit ist vorgetäuscht. Die Fans sind frustriert, weil du sie als Star erst so nah herangeholt hast und ihnen dann den Rücken zuwendest. Falls wir Twitter je wieder verwenden, dann nur als Marketingtool.



ZEIT ONLINE: Sind Sie bei der Kommunikation generell eher altmodisch?



Lowe: Ich verbringe 90 Prozent des Tages mit E-Mails. Nach dem Aufstehen checke ich sofort mein Postfach und das ist auch das Letzte, das ich vor dem Schlafengehen erledige. Im Ernst: Ich hasse E-Mails. Am liebsten wäre mir, wenn es nur noch Faxgeräte geben würde. Die Faxe könnte ich wenigstens zerknüllen, ohne sie anschauen zu müssen.



ZEIT ONLINE: Sie auch, Herr Tennant?



Tennant: Ich fand es viel nerviger, wenn früher beim Heimkommen das Papier, das aus meinem Faxgerät gequollen war, schon Wellen auf dem Fußboden warf. E-Mails sind ein Teil des Lebens. Wenn mich eine nervt, lösche ich sie einfach.



ZEIT ONLINE: Würden Sie am liebsten Briefe schreiben?



Lowe: Das ist eine schöne Art, um zu kommunizieren.



Tennant: Die beste Art überhaupt ist, wenn man sich persönlich trifft. Das macht am meisten Spaß.



ZEIT ONLINE: Gibt es noch mehr Dinge, die Sie inzwischen nostalgisch verklären?



Tennant: Früher war es aufregender, Musik zu entdecken. Heute ist es so simpel: Du schaust einfach im Internet nach. Chris musste damals für die Platte Passion von The Flirts, die eine Vorlage für unseren Sound war, in einem ganz speziellen Plattenladen stöbern. Dort gab es nur zwei Stück und er musste ziemlich viel Geld für ein Exemplar hinblättern. Ich arbeitete damals als Musikjournalist bei Smash Hits. In der Redaktion stand eine Box mit allen möglichen Platten. Darin entdeckte ich welche von Bobby Orlando, der auch The Flirts produziert hatte (Mit dem Musikproduzenten Orlando nahmen die Pet Shop Boys ‘West End Girls’ auf. Der Song brachte ihnen 1985 den Durchbruch. Anm. d. Red.). Heute ist es einfacher, Musik zu entdecken. Dafür fehlt diese Entdeckungsreise.



ZEIT ONLINE: Sind Sie mit zunehmendem Alter gelassener geworden, wenn Sie auf die Bühne gehen?



Tennant: Ich bin an den ersten Tagen einer Tour immer noch total aufgeregt.



Lowe: Ich bin nervös, wenn wir als Headliner auf einem Festival spielen und wir nicht sicher wissen, ob das Publikum wegen uns kommt.



ZEIT ONLINE: Nach welcher Band war es besonders schlimm?



Lowe: Wir haben uns schon bei Auftritten nach den Red Hot Chili Peppers, Muse und Beck echt einen Kopf gemacht, ob das funktioniert. Am Ende hat es aber immer gut geklappt.

Taken from: Zeit Online
Interviewer: unbekannt