Die Quadratur des Herzens im Popsong






Mit steifen Schritten bewegen sich einfarbig verkleidete Figuren zum eckig ratternden Rhythmus des Eröffnungssongs «Heart», drehen ihre Würfelköpfe jeweils kurz zu den synthetischen Orchester-Tutti und hauchen im Chor zu den unverschämt eingängigen Refrains. Hinter ihnen steht eine Mauer aus weissen Würfeln, auf die neben allerlei Bildern und Symbolen zuweilen auch farbige Würfel projiziert werden. Beim Stück «Building A Wall» bricht sie auseinander; macht nichts: Später bauen die als Arbeiter verkleideten Tänzer sie wieder auf, «not so much to keep you out, more to keep me in», wie Neil Tennant emotionslos singt, während sein Kollege Chris Lowe mit der obligaten Baseball-Kappe stoisch an seinen Apparaturen herumdrückt.




Bei «Go West» tanzt die farbenfroh gekleidete Begleittruppe des Londoner Duos zackig zur pathetischen Aufbruchstimmung der Musik, als ob ein chinesisches Revolutionstheater die Freuden der westlichen Konsumgesellschaft propagieren müsste. Und um die Liebe in dieser materiellen Welt drehen sich ja auch viele Songs der Pet Shop Boys. Am besten kommt dies im neuen Stück «Love etc» zur Geltung: Mit einigem Zynismus singt Neil Tennant, der Pop-Star, von all den Prestige-Objekten und Attributen, die eigentlich unnötig seien: Man müsse keinen Superwagen haben, um weit zu kommen, man brauche auch nicht schön zu sein – aber es helfe.




Auf der Bühne wird noch deutlicher als auf Tonträger, wie die Pet Shop Boys seit ihrer Gründung im Jahr 1981 zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Künstlichkeit und Herzschmerz, zwischen Ironie und Melancholie balancieren, als ob sich Kraftwerk mit Elton John zusammengetan hätten. So bestechend stilvoll die Show inszeniert ist, so mangelt es dem Auftritt doch an musikalischer Lebendigkeit, da ausser den Stimmen und einigen Keyboard-Einsätzen die Stücke ab Konserve eingespielt werden und deshalb oft in kühler Eleganz erstarren. Chris Lowe scheint sich selbst zu verspotten, wenn er sporadisch von seiner Computerkonsole aufsteht und auf zwei elektronischen Trommeln lapidar einige Schläge plaziert. Dafür zeigt Neil Tennant in seinem sonst stets verhaltenen Gesang zuweilen eine erstaunliche Vitalität und zusätzliche Facetten, besonders im ruhigeren Mittelteil des Konzertes, in dem er auch von der gediegenen Kleidung her als Crooner auftritt.




Gegen Schluss steigen zum dramatisch aufgebauschten Stück «It’s A Sin» die Würfel zur Decke hoch, dann fallen unzählige glitzernde Silberstreifchen auf die 1800 Konzertbesucher hinunter, von denen erstaunlich viele wie die beiden Pet Shop Boys rund 50-jährig sind. Zum wehmütigen Klassiker «West End Girls» singen dann viele Fans selbstvergessen mit, die glücklichen unter ihnen können sich sogar einen der Herzballone schnappen, die zum Konzertende losgelassen werden.

Taken from: NZZ Online
Interviewer: Markus Ganz