Die Pet Shop Boys machen in Freiburg Musik, die man sehen kann

Pet Shop Boys bieten in Freiburg ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk aus Licht und Sound




Sie sind noch gar nicht da, doch die Party geht im Zirkuszelt schon los. Die Beats hämmern, die Scheinwerfer kreisen. Auf der großen Leinwand rasen Züge und Autos durch die Nacht. Dann betreten Neil Tennant und Chris Lowe in den gleichen schrägen Gummistachel-Kostümen die Bühne, in denen sie noch eben auf der Leinwand zu sehen waren – als wären sie direkt dem Video entsprungen. „Axis“ vom gerade veröffentlichten Album „Electric“, das fließend in „One More Chance“ übergeht, legt von Beginn an den druckvollen Sound fest, den die Pet Shop Boys 2013 zelebrieren.


Nach dem letzten, eher lyrisch-melodischen Album „Elysium“ (2012) hat das weltbekannte Electropop-Duo die Bässe wieder tiefer gelegt und die Beats schneller gemacht. Das ist nicht mehr der Wohlfühlsound der 80er, auch wenn Neil Tennants nasale, ein wenig androgyne, über allem schwebende Stimme unverkennbar ist. Der Sound ist ins Bombastische vergrößert. Der Instrumentalanteil wird wichtiger.


Mit der Verpflichtung der Pet Shop Boys ist den Zeltmusikfestivalmachern Dieter Bös und Marc Oßwald von Koko & DTK Entertainment ein echter Kracher gelungen. Die Band trat in Deutschland auf ihrer großen Welt-Tournee nur in München und Dortmund auf. Einzig Berlin (6.9.) steht noch auf dem Tourplan. Der Freiburger Abend ist ein Gesamtkunstwerk. Jeder Song wird speziell inszeniert. Die fantastische Light- und Lasershow von Es Devlin zeichnet optisch die Klangflächen nach, die die innovativen Musiker durch die Boxen schicken.



Da kann auch mal der Metallhelm von Chris Lowe am Keyboard zur Discokugel werden oder sich ganz am Ende grüne Lichtstrahlen wie segnenden Hände über dem Publikum ausbreiten.


Interaktion zwischen den Künstlern und dem Publikum gibt es kaum. Neil Tennant ist der inzwischen kahl gewordene Frontman, der zwischen den Songs wenige Worte verliert, dabei häufig „Freiburg“ sagt und auch zweimal zum Mitklatschen auffordert. Chris Lowe gibt den autistisch wirkenden Sideman an den Keyboards mit Baseballcap und verspiegelter Sonnenbrille. In Zeiten von Authentizität in der Popmusik setzen die Jungs von der Zoohandlung, wie der Bandname übersetzt heißt, ganz auf Künstlichkeit. Action bringen nur die Tänzerin und der Tänzer auf die Bühne, die immer synchron agieren und noch mehr Kostümkreativität an den Tag legen. Da werden Stierköpfe mit Zottelhaaren und Businessanzügen kombiniert wie in „I Wouldn’t Normally Do This Kind Of Thing“ (auch die Pet Shop Boys tragen hier kiloschwere Hörner) oder die Arme durch die Anzüge bis zum Boden verlängert.


Virtuos wird das Bühnengeschehen in den Videos gespiegelt und umgekehrt. Fiktion trifft auf Wirklichkeit. Selbst der Rapgesang in „Thursday“ vom neuen Album „Electric“ kommt vom Video. Die Popikonen zitieren mal den Rhythmus aus Strawinskys „Le Sacre Du Printemps“ (vor der Stiernummer), mal Leonard Bernsteins „West Side Story“ in „Somewhere“.


Auch das legendäre Kassenvorspiel zu Pink Floyds „Money“ ist als Intro zu „Opportunities (Let’s Make Lot Of Money)“ zu hören.


Aber die beiden Vorzeigeschwulen bedienen sich nicht nur aus der Musikgeschichte – sie haben auch selbst daran geschrieben, wie man an diesem Abend immer wieder erfreut bemerkt. Hits wie „Go West“, „It’s A Sin“ oder „Suburbia“, die in Freiburg besonders bejubelt werden, haben sich längst ins kollektive Gedächtnis gebrannt.


Auch die Verbindung von eingängigen Melodien mit Elektrobegleitung, die die Musik der Pet Shop Boys in den späten 80ern und frühen 90ern in die internationalen Charts katapultierte, entwickelten sie zum Markenzeichen. Das Publikum ist mit ihnen älter geworden, wie man im Zirkuszelt sieht. Aber auch einige Jugendliche sind dabei, die mit dem aufgepeppten Sound viel anfangen können.


Diese Band hat sich immer weiter entwickelt, ohne dabei ihre Grundrichtung zu verlieren. Und besitzt einen Sinn für schrägen Humor, wenn Neil Tennant und Chris Lowe in „Love Etc.“ im aufgestellten Ehebett liegen und halbnackte, tanzende Körper zu ihren Köpfen projiziert werden – oder die beiden Tänzer als hüpfende Wischmops oder groovende Lampenschirme für Erheiterung sorgen.


Einziges Manko bei dem Freiburger Konzert ist die phasenweise überdrehte Lautstärke und der übersteuerte Sound. Das wundert ein wenig angesichts der Perfektion, mit dem die Show insgesamt abläuft. Und macht das Konzert mehr zu einem optischen als einem akustischen Erlebnis.


Als Zugabe spielen die Pet Shop Boys „West End Girls“ – den ersten Hit, mit dem der ehemalige Musikjournalist Neil Tennant mit dem Architekturstudenten Chris Lowe zunächst 1984 in Amerika, dann ein Jahr später mit einer neuen Fassung davon musikalisch durchstartete. Am Ende bei „Vocal“ gehen die beiden von der Bühne, während die Musik weiterläuft. Die Party dauert noch ein paar Minuten an.

Taken from: Südkurier
Interviewer: Georg Rudiger