Die Pet Shop Boys im ausverkauften Beethovensaal

Sünden eines Pop-Stars




Die Definition von Understatement? Der Einstieg der Pet Shop Boys in ihre

‘Nightlife”-Show! Jeder im ausverkauften Beethovensaal will die Bühne der

Stararchitektin Zaha M. Hadid endlich sehen, deren Größe das Konzert im

Dezember in Ludwigsburg verhinderte. Stattdessen gibt’s auf einer Leinwand

nur grünes Geflimmer, das sich zum ersten Song ‘For Your Own Good” zur

aufwendigen Animation steigert.



Doch dann hebt sich der Vorhang, und wir sehen: ein sperriges Konstrukt von

eingeschränkter, wenngleich übersichtlicher Funktionalität, ein Laufsteg in

Form eines Felsens, wie geschaffen, dass ihn Sänger Neil Tennant in

Science-Fiction-Robe und Irokesen-Perücke gemessen abschreitet.



Auf diesem schlichten Schauplatz – nicht nur im Vergleich zu früher – findet

dann ein Pop-Theater statt, das sich nie eindeutig als reduziert oder

überladen, grandios oder grotesk einordnen lässt. Da gibt es immer beide

Seiten der Pop-Medaille. Und da gibt es natürlich wieder sehr viel Ironie.

Tennants würdevolles Wandeln kontrastiert mit den fast zu simplen Bewegungen

von vier ebenfalls kostümierten Tänzern, darunter die Soul-Sängerin Sylvia

Mason James. Die wirbeln nicht wie das Ballett der letzten Tour, sondern

gestikulieren nur ein bisschen. Auch Tennants Partner Chris Lowe bringt

Statik in die Show: Er verharrt wie angewurzelt hinter seinen

Sample-Maschinen. Vom Computer des Mannes, den man für eine Nebenfigur

halten könnte, kommt – bis auf die Percussion – alle Musik. Doch Lowe hat

großen Einfluss auf den Stil des Duos. ältere, ohnehin eingängige Stücke wie

‘West End Girls” oder ‘Being Boring” hat Lowe zusätzlich vereinfacht,

auf den Rhythmus reduziert.



Dann schnarren die Samples zu den von tonalen Schwankungen weitgehend freien

Gesängen Tennants, eines Pioniers des Sprechgesangs. Wenn er richtig singt,

nimmt seine Stimme einen brüchigen, verletzlichen Ton an, der Texten wie

‘You Only Say You Love Me When You’re Drunk” gut steht. Dann sind die Pet

Shop Boys die melancholischen Materialisten des Pop, die Wissenden mit dem

wehen Herzen. Niemand sonst könnte scheinbar einfache Songs mit mehr

Komplexität versehen.



Ohne Lowes griffige Grooves wäre Tennant nur die Hälfte wert. Die

funktionalen Beats neuer Stücke wie ‘New York City Boy” verwandeln den

Saal in eine Disco, vor allem nach der Pause, als die Pet Shop Boys sich

ihrer Perücken entledigt haben, vom Pop-Theater abrücken und den Kontakt zur

tanzenden Menge suchen. Dann greift Tennant für eine Unplugged-Idylle sogar

zur Akustik-Gitarre, bis der Disco-Groove von ‘Don’t Know What You Want”

die Tänzer wieder zur Tat ruft und sie sich bei ‘It’s A Sin” Sinnen und

Süden zuwenden. Da erzählt Tennant von Schuldgefühlen, die ihn bis in seine

Popstar-Tage verfolgen. Understatement? Aber sicher! Wer erwartet eine

solche Beichte in einem schlichten Popsong?

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