Closer To Heaven






Chris Lowe gähnt. Das tut er oft. Gelangweilt lümmelt sich Lowe im Ledersessel. Schließlich gibt’s aber doch noch eine

Antwort: ‘Hey’, sagt er, ‘das waren eben die 80-er des vergangenen Jahrhunderts – keine Band brauchte gute Musiker oder

gute Sänger, um Erfolg zu haben.’ Tatsächlich ließ der aber erst mal auf sich warten: Als Chris Lowe und sein Kompagnon

Neil Tennant im April 1984 ihre erste Single – ‘West End Girls’ – veröffentlichen, interessieren sich lediglich Nachtschwärmer

in Los Angeles und San Francisco für die Diskoscheibe. In Europa dagegen hört kaum jemand den ersten Song der Pet Shop Boys.


Heute, 17 Jahre später. Allein die sieben Alben des Sängers Tennant (47) und des Soundtüftlers Lowe (42) verkauften sich weltweit rund

28 Millionen mal. Und mit zahlreichen Charterfolgen haben sich die beiden Briten längst in den Annalen der Musikhistorie verewigt.

Am 31. Mai schlägt das Duo ein weiteres Kapitel in seiner Karriere auf: Im Londoner Arts Theatre am legendären Leicester Square feiert

‘Closer To Heaven’, das Musical der Pet Shop Boys, Premiere. ‘Das Theater haben wir schon immer geliebt, daher finden sich in unseren

Tournee-Auftritte stets schauspielerische Momente’, schildert Neil Tennant und setzt hinzu: ‘Lange war es nur ein Traum für uns,

zeitgenössische Popmusik auf eine solche Bühne zu bringen – jetzt endlich wird er Wirklichkeit.’ Mehr als acht Jahre haben die Pet Shop Boys

daran gearbeitet. Sie schrieben 15 neue Songs und die Texte dazu, die Geschichte des Stückes erfand Jonathan Harvey, Schöpfer der

englischen Fernsehsendung ‘Gimme Gimme Gimme’. ‘Wir wollten etwas erschaffen, das bisher noch nie jemand auf einer Musicalbühne gesehen

hat’, betont Chris Lowe.


Den letzten Langspieler, ‘Nightlife’, widmeten er und Tennant den Gestalten der urbanen Nächte. So auch das Musical ‘Closer To Heaven’,

das nach einem Stück von eben dieser Platte benannt ist. Dave, gespielt von Paul Keating, ist ein junger, smarter und etwas naiver junger

Mann aus Irland, der sich kopfüber in die Glitzerwelt des Londoner Nachtlebens stürzt. In den Vergnügungsvierteln der Themse-Metropole

verliebt er sich die Diskoqueen Shell (Stacey Roca). Und in den Drogendealer Mile End Lee (Tom Walker). Nicht nur die Liebe verwirrt den

unerfahrenen Dave: Der skrupellose Musikmanager Bob Saunders (Paul Broughton) bietet ihm die Chance des Lebens, den Einstieg ins

Showgeschäft – ein Stück des Himmels. Die Nachtclub-Hostess Billie Tricks (Frances Barber), eine Rock-Ikone aus den 1970-er Jahren,

versucht, Dave vor dem Schlimmsten zu bewahren.


In Szene gesetzt wird das Musical von der Regisseurin Gemma Bodinetz, die zuletzt für die Royal Shakespeare Company arbeitete.

Die Choreografie stammt von Peter Darling, der an der Produktion des Kinofilms ‘Billy Elliot’ beteiligt war und ebenfalls für

das Shakespeare-Ensemble wirkte. Obwohl die exzentrischen Pet Shop Boys das Rampenlicht lieben, soll ihr Musical eine eher

stille Premiere erfahren. Zwar veröffentlichen sie am 5. Juni mit ‘Break 4 Love’ – wohl nur in den USA – eine neue Single.

Erst Ende des Jahres soll dann der ‘Closer To Heaven’-Soundtrack als Album erscheinen. Unklar ist, ob Neil Tennant oder die

Schauspieler die Songs singen werden. Verantwortlich für den Sound ist Stephen Hague, ein langjähriger Gefährte der Musiker.

So ist Hague auch jener Produzent, der im Januar 1986 dafür sorgt, dass ‘West End Girls’ doch noch ein Welterfolg wird.

Hits wie ‘It’s A Sin’, ‘Domino Dancing’, ‘Being Boring’, ‘Go West’, ‘Se À Vida E’, ‘New York City Boy’ oder zuletzt ‘You

Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk’ folgen. Trotz des Ruhmes verzichtet das Duo gerne auf Tourneen: Nur drei Mal

sind die Pet Shop Boys mit ihrer Musik bisher um die Welt gereist. 1997 etwa kommen die Fans zu den Stars und nicht umgekehrt:

Die Synthesizerband spielt an 15 Abenden im stets ausverkauften Londoner Savoy Theatre. Zwei Jahre später, fast schon eine

Sensation, brechen Neil Tennant und Chris Lowe zur ‘Nightlife’-Tour auf – sie präsentieren ihre Songs in einer kühlen Stahllandschaft

der Architektin Zaha Hadid. Und tatsächlich prägt ein theatralische Dramaturgie die Konzerte. ‘Das Musical ist natürlich nicht so

abstrakt wie diese Auftritte’, stellt Tennant klar, ‘da wollten wir uns in einer futuristischen Umgebung mit ebenso futuristischen

Kostümen als Kunstprodukt darstellen.’ Wer aber sind die Menschen dahinter? Der Sänger und Texter zuckt mit den Schultern.

‘Wer das wissen will, sollte unseren Songs zuhören. Auch das Musical erzählt viel.’ Letztlich aber sei Madonna doch viel

interessanter als er und Partner Lowe. Der nickt bestätigend. Und gähnt.

Zu den Stücken, die im Musical zu hören sein sollen – die meisten davon wurden bisher noch nicht veröffentlicht, gehören:

‘Call Me Old Fashioned’, ‘Closer To Heaven’, ‘For All Of Us’, ‘Friendly Fire’, ‘Hedonism’, ‘Little Black Dress’, ‘Nightlife’

(ursprünglich Titeltrack des letzten Albums), ‘Something Special’ und ‘Tall Thin Men’.


Die Uraufführung von ‘Closer To Heaven’ findet am 31. Mai statt, die regulären Shows beginnen am 4. Juni (Spielzeit bis

15. September).

Taken from: e-lectric.de
Interviewer: Jens Höhner