Bumm. Batz. Diebum. Genial!

‘Panzerkreuzer Potemkin – die Hochhaussinfonie’ ist ein multimediales Großprojekt mit neu vertonter Filmmusik. Anlässlich des 800. Dresdner Stadtjubiläums wird es am 20. Juli live von den Pet Shop Boys und den Dresdner Sinfonikern aufgeführt, dessen Mitbegründer Sven Helbig ist.




Es gibt in Eisenhüttenstadt am Heiligen Abend eine Veranstaltung die heißt Turmblasen, obwohl es weit und breit keine Türme gibt – und zwar auf der ehemaligen Leninallee heute Lindenallee. Absurd: Auf dieser stalinistischen Prachtstraße zu stehen und oben auf dem Balkon steht die Blaskapelle und unten stehen viele Tausend Menschen und hören sich Weihnachtslieder an, inmitten von Plattenbauten.

20 Jahre war die sozialistische Planstadt und die Zweieinhalb-Zimmerwohnung in der Platte das Zuhause von Sven Helbig. Inzwischen wohnt er auch in Wien und Berlin, aber Heimat ist Eisenhüttenstadt.

Eisenhüttenstadt liegt ganz im Osten, und wenn ich bei meinen Eltern aus dem Fenster geschaut habe, da war dann schon Polen. (…) Meine Radiolandschaft hieß in Eisenhüttenstadt Rias 2.

Und Musik war überall, so der 37-jährige mit den schulterlangen braunen Haaren und dem Dreitagebart. Sein Opa hatte einen Tick für Radios.

Vom kleinen Handgelenkradio ‘Micky 2’, das hab ich irgendwann mal zerstört, weil ich rausfinden wollte, wer dadrin Musik machte, aber mein Opa hatte viel, alles was rauskam, es war alles da.

Irgendwann, da war Sven Helbig elf, hat er auch begonnen, selber Radios zu bauen.

Es roch eigentlich jeden Tag nach Kolophonium in meinem Kinderzimmer.

Und dann hörte er eines Tages die ersten Beats:

Bumm. Batz. Diebum. Batz. Genial!

Die Mutter war Chefin des Jugendkulturhauses und dorthin kamen Bands mit – für den Osten – seltener Technik.

Das hat man mit Stepps eingegeben, die Beats, dort, wo es Bumm machen sollte, musste man tippen. Die habe ich auf eine Kassette ausgespielt, und die habe ich mir dann zu Hause unendlich lange angehört: Bumm. Batz. Diebum. Batz. Genial!

Musik: Beatstreet ‘The Message’

Dazu habe ich gespielt!

Ein bisschen Gitarre, ein bisschen Klarinette. Und als in der Schul-Band ein Schlagzeuger gesucht, und 1985 – welch Wunder – der Film ‘Beatstreet’ über New Yorker Sprayer und Hip-Hoper auch im Eisenhüttenstädter Kino lief, war für Sven Helbig alles klar:

Den puren Rhythmus hören … das hat mich gefesselt, es war ein unfehlbares Gefühl, dass das mir gehört. Bumm. Batz. Diebum. Batz. Genial.

Doch vor dem begehrten Studium hätte Helbig drei Jahre zur NVA gemusst. Er wollte nur anderthalb und wurde kalt gestellt. Also ging er ins Eisenhüttenkombinat, anderthalb Jahre Vierschichtsystem, und dann zur Armee. Für Beats war kein Platz mehr. Erst nach der Wende. Helbig war 20, und begann endlich Musik zu studieren, in Dresden.

Viele Bands hat Sven Helbig als Student mitbegründet, kaum eine hat mehr als ein Jahr überlebt.

Aber man musste immer wieder Demos machen. Deshalb habe ich viel Zeit im Studio verbracht. Die Technik war begrenzt. Wir haben das Schlagzeug auf der Behindertentoilette aufgebaut. Wir haben Kabelstränge quer durch das ganze Gebäude gelegt, weil wir für einen Schnipsel einen bestimmten Hall brauchten. Wir haben viele Tage und Nächte damit verbracht, den einen Sound zu suchen. Heute sampled man das.

Das Basteln und Löten aus Kindertagen – das alles bekam wieder einen Sinn.

Musik: Beatstreet

Und dann kam New York.

Das war alles ‘Beatstreet’. Bronx, Harlem, Manhattan, blockpartys, grandmaster-flash ich wollte das unbedingt sehen. Für mich war der Schritt von Eisenhüttenstadt nach Dresden schon gigantisch. Das muss man sich vorstellen. Und dann ein Jahr später New York. Nach dem ersten Besuch war klar, dass ich dort länger sein möchte, und ich habe dann ’93 gleich angefangen zu studieren am ‘drummers collectif’.

Nur zwölf Studenten pro Semester werden für das elitäre Schlagzeugstudium zugelassen. Ganz klar: Zurück in Dresden hat man keine Lust mehr auf kleine Gigs. Auch Musikerfreund Markus Rindt wollte was richtig Großes.

Wir haben nach ein, zwei Bieren beschlossen, wir gründen ein verrücktes Orchester und spielen nur noch verrückte Sachen.

Die Dresdner Sinfoniker wurden gegründet ohne Geld und viel Enthusiasmus, zehn Jahre ist das her, ein Orchester

An der maximalen Qualitätsobergrenze.

… das sich aus jungen Musikern berühmter europäischer Orchester rekrutiert, die sich begeistern für Musik, die Mitte der 1990er Jahre noch niemand spielen wollte: Frank Zappas ‘Yellow Shark’ zum Beispiel, John Mc Laughlins ‘Apocalypse’ oder unbekannte Weltmusik.

Wir haben Botschaften angeschrieben, wir wollten auch neue Länder entdecken, Tadshikistan, China zum Beispiel.

…. und unbekannte Komponisten wie den Dresdner Torsten Rasch, der als Filmkomponist in Tokio lebte.

Nach Sven Helbigs Idee vertonte er Texte von Rammstein, gesungen von Opernstar Rene Pape. Die CD war der internationale Durchbruch, für Helbig als Produzent und für die Dresdner Sinfoniker. Ein Welterfolg bei Kritikern und Charts.

Die Orchester der Welt bestellen sich die Noten und spielen die Musik, auch in London bei den Promms. Es hat das Eigenleben was ich immer wollte.

Ein unvorstellbarer Erfolg, und immer noch nicht vorbei.

Sven Helbig lächelt freundlich aus dunkelbraunen Augen, der Teint ist etwas blass. Heute Abend findet vieles zusammen: die Pet Shop Boys, die vom Rammstein-Liederzyklus begeistert, ganz von selbst zu Helbig fanden, Torsten Raschs vielseitige Musik, nun zum Filmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’, die Dresdner Sinfoniker als internationales Starorchester und Helbigs Liebe für die Wohnplatte. Wenn das alles überstanden ist, will er nur noch eins.

Musik: Schlagzeug

Dafür schlägt mein Herz. Das ist nach wie vor das Größte, hinter den zwei Hölzern zu sitzen und diese Grooves, diesen Beatstreet-Beat selber zu spielen.

Taken from: Deutschlandradio Kultur
Interviewer: Heike Schwarzer