Wir sind anders als Mick Jagger. Leider!

Neil Tennant und Chris Lowe von den ‘Pet Shop Boys’


über Bierbäuche auf der Bühne, das Achtziger-Revival


und Kieselstein-Werfen.




Die Pet Shop Boys: Pop- Urgestein. Relikte der achtziger Jahre. Oder? Ihr erster Hit, ‘West End Girls’, datiert aus dem Jahr

1986. Aber im Gegensatz zu vielen jüngeren Popbands, die sich schnell zu verbrauchen scheinen, wirkt gerade das neue Album

‘Release’ erstaunlich frisch. Heute startet die Deutschland-Tour der Pet Shop Boys in Berlin. Wie haben Chris Lowe und Neil

Tennant das nur geschafft: so lange dabei zu bleiben?



SZ: Neil, Sie haben mal gesagt, es sei einer der prägenden Momente Ihres Lebens gewesen, als Sie mit ‘West End Girls’ vor

einer kreischenden Teenagermeute auftraten. Wie sieht’s heute aus? Vermissen Sie die kreischenden Teens?


Tennant: Eigentlich nicht. Das war damals ein reiner Show-Auftritt, von einem Radiosender organisiert. Es war 1986, wir

durften uns zehn Minuten von Mädchen anschreien lassen wie die Beatles und hatten dabei einen Riesenspaß. Als wir einige

Jahre später unser erstes richtiges Konzert gaben – in der Wembley Arena –, dachten wir, dass unser Publikum sich von dem

anderer Bands unterscheidet: Clubkids, nur interessant aussehende Leute. Aber natürlich war es ein ganz normales Konzertpublikum.

Ich muss sagen, dass wir leicht enttäuscht waren. Unser Publikum war schon damals recht erwachsen.



SZ: Wenn Sie nur noch Bierbäuche im Publikum sehen – ist das dann das Ende der Pet Shop Boys?


Tennant: Das wird uns nicht so leicht passieren. Schwule gehen ja ins Fitness-Studio.


Lowe: Bei unseren Konzerten sieht man höchstens Bierbäuche auf der Bühne.



SZ: Was halten Sie als Betroffene eigentlich vom allgegenwärtigen Achtziger-Revival?


Tennant: Nun, eigentlich sind wir keine Betroffenen. Ich sehe uns nicht als Achtziger-Band. Nur die Amerikaner halten uns

dafür, weil wir dort in den neunziger Jahren keinen Hit mehr hatten. Aber viele Leute finden, dass gerade wir in das Revival

gut hineinpassen würden. Das Popmagazin New Musical Express pusht in England gerade die neue ‘Electro’- Bewegung. Die fänden

es gut, wenn wir wieder ein Achtziger-Jahre Synthesizer-Duo wären. Aber warum sollten wir das alles noch mal machen?



SZ: Gibt es eigentlich ein Verfallsdatum für Popstars?


Lowe: Ich hätte unser Verfallsdatum ursprünglich auf fünf Jahre geschätzt. Jetzt sind wir schon fünfzehn Jahre dabei. Manche

Bands behaupten, auf dem ‘Höhepunkt’ aufzuhören, obwohl sie nie einen Höhepunkt hatten. Das finde ich lächerlich. Wie kann man

so einfach aufhören, wenn man Musik wirklich liebt. Wir sind ja nicht auf ein Dasein als Popduo festgelegt. Wir können immer

noch Theater machen.


Tennant: Darum haben wir ja ein Musical geschrieben. Ich glaube, die Premiere von ‘Closer To Heaven’ in London war eine der

aufregendsten Nächte meines Lebens. Wir werden sicher noch weitere Musicals schreiben.



SZ: Keine Langeweile? Nach all den Jahren?


Tennant: Viele Aspekte des Musikgeschäfts sind sehr ärgerlich und langweilig. Jeder weiß, dass sich die Musikindustrie gerade

in einer Krise befindet. Aber es ist kein Zufall, dass das gerade jetzt passiert, wo die Plattenfirmen Popstars industriell

herstellen und glauben, sie würden Pop kontrollieren. Außerdem wird das Musikgeschäft immer korrupter, vor allem das Radio.

Alle orientieren sich momentan am amerikanischen Beispiel. Die großen Mainstream-Radiostationen spielen deine Platte nur noch,

wenn du fragwürdige Deals eingehst.



SZ: War es im Nachhinein gut, dass Sie schon gestandene Männer waren, als Sie die Band gegründet haben?


Lowe: Ich denke schon. Wenn du jünger bist, kommst du mit den Erwartungen und dem Druck weniger gut klar. Boybands haben

Terminpläne, die unvorstellbar grausam sind.



SZ: Hatten Sie überhaupt jemals so etwas wie eine kreative Krise?


Tennant: (überlegt lang, lächelt dann): Nein.



SZ: Warum nicht?


Lowe: Es muss daran liegen, dass unser Leben so verpfuscht ist. Es gibt immer Stoff für neue Songs her.


Tennant: (lacht) Ja, wir sind ziemlich rastlos. Unser Leben fließt in unsere Platten, und das Aufnehmen von Platten ist das einzig

Beständige in unserem Leben.



SZ: Neil, Sie haben ein Landhaus in Nordengland. Eine Fluchtburg?


Tennant: Ich lebe immer noch die meiste Zeit in London. Und auch mein Landhaus liegt nicht gerade in einem Idyll. Es ist weit im

Norden, im County Durham, am Rand eine kleinen Dorfes. Das Wetter ist rau dort draußen, und die Landschaft ist ziemlich wild.


Lowe: Nicht zu verwechseln mit ‘trostlos’.


Tennant: Nicht zu verwechseln! Nein, ich mag es da draußen. Man darf nur nicht glauben, dass einem das Landleben Zufriedenheit

bringt.


Lowe: Nicht, wenn man niemanden hat, mit dem man es teilen kann.


Tennant: (melancholisch) Nur die Blumen im Garten.


Lowe: Den Wein …


Tennant: Den Barmann im Pub …(beide lachen)



SZ: Wie haben Sie das in all den Jahren geschafft: Ihre Freundschaft aufrechtzuerhalten?


Lowe: Ganz normal. Jeder hat doch Freunde fürs Leben. Obwohl … ich eigentlich nicht (lacht). Ich scheine immer wieder

Frühjahrsputz zu machen: weg mit den alten Freunden.


Tennant: Das ist nicht wahr. Du hast alte Freunde, Chris.


Lowe: Ich habe noch einen einzigen Freund von der Uni.


Tennant: Ich kenne noch ein paar Leute aus meinem früheren Job beim Popmagazin ‘Smash Hits’. Bei mir und Chris ist es .. .eben

Freundschaft. Eigentlich peinlich, über so etwas zu reden.


Lowe: Immerhin kam bei uns die Freundschaft zuerst. Das ist auch ein Unterschied zu zusammengewürfelten Bands: Die können sich

untereinander nicht mal ausstehen.



SZ: Was ist das beste, das Sie beim Älterwerden gelernt haben?


Tennant: Wir haben gelernt, unseren Instinkten zu vertrauen.



SZ: Was war die beste Instinkt-Entscheidung?


Tennant: Smash Hits zu verlassen und die Pet Shop Boys zu gründen (lacht). Das war eigentlich eine lächerliche, geradezu

bescheuerte Entscheidung, denn ich war 31 und hatte gerade den Chefredakteursposten angeboten bekommen. Aber selbst wenn es nicht

funktioniert hätte, wäre es richtig gewesen.


Aber es gab auch schlechte Entscheidungen. Wir haben bei der Tour zu unserem vorigen Album ‘Nightlife’ viel Geld verloren –

weil wir nicht auf unseren Instinkt hörten. Wir ahnten, dass unsere Popularität nicht mehr ausreichen würde, um Riesenhallen

zu füllen. Am Ende ließen wir uns überzeugen. Das Geld, das wir mit dieser aufgeblasenen Tour verloren, war unser eigenes.


Lowe: Ich habe Angst davor, im Alter ohne einen Penny auf der Straße zu enden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es passieren

wird.



SZ: Im Ernst?


Lowe: Im Ernst. Ich habe das immer gespürt.


Tennant: Chris glaubt das seit Gründung der Band. Chris ist immer sehr pessimistisch. Das sollte ich Ihren Lesern vielleicht

besser erklären.


Lowe: Ich werde mir jedenfalls keinen Job suchen. Ich arbeite doch nicht für meinen Lebensunterhalt. Wann beginnt noch mal

die Rente?


Tennant: Mit 65.



SZ: Sie meinen, mit 65 haben Sie keine Lust mehr auf Musik?


Lowe: Nein, ich meine das offizielle Rentenalter. Daran halten wir uns natürlich. Man hält durch bis 65 und danach kriegt man

seine Pension (beide lachen).


Tennant: Das Gute an uns ist: Wir schauen nie sehr weit nach vorne. Wir machen einfach immer weiter.


Lowe: Es muss furchtbar sein, Fußballprofi zu sein. Wenn mit 31 schon Schluss ist …


Tennant: Stimmt. Was wird irgendwann aus Owen und Beckham? Owen kann vielleicht moderieren. Er hat ziemlich viel Charme. Aber

was wird Beckham tun?



SZ: Ist es das Geld? Machen Sie deshalb weiter?


Tennant: Nein, je länger wir arbeiten, desto mehr Geld verlieren wir. Alle unsere Projekte sind sehr teuer. Und wir gehen

sehenden Auges hinein. Wir sind leider nicht besonders gut im Verdienen.


Lowe: Stimmt. Wir sind anders als Mick Jagger. Leider. Dem Typen geht es nur ums Geld. Er ist wirklich abgefuckt.


Tennant: Immerhin muss er seine Kinder auf der ganzen Welt unterstützen.


Lowe: Aber wir könnten uns auch ein bisschen schlauer anstellen.


Tennant: Das kriegen wir schon noch hin.



SZ: Neil, Wie sieht Ihr Ruhestand aus? Dreimal täglich den Hund ausführen?


Tennant: Exakt. Das und ein paar gute Bücher lesen, guten Rotwein trinken. Klingt doch gar nicht schlecht.


Lowe: Ich würde in einer Holzhütte am Meer sitzen und Kieselsteine werfen.


Tennant: Wo willst du eine Holzhütte am Meer herbekommen?


Lowe: Keine Ahnung. Wir werden ja sehen.

Taken from: Süddeutsche Zeitung
Interviewer: Peter Downe