Wer Nein sagt, muss auch Ja sagen

Nicht nur die Pet Shop Boys rufen die Menschheit wieder dazu auf, das Dasein zu bejahen. Auch der Staat, die Wirtschaft und der Autohändler. Niemand soll sich grämen, jeder soll sich etwas Schönes kaufen.




Grenzenlose Zustimmung signalisiert das Popduo Neil Tennant und Chris Lowe mit seinem zehnten Album ‘Yes’, ihr Männerchor ruft: ‘Gimme more!’ Die Plattenhülle setzt darunter einen farbenfrohen Haken. Eine steile, bunte Aufwärtskurve.


Die Pet Shop Boys wussten schon immer, wie man Dialektik ausspricht und was es bedeutet. Unter jeder Oberfläche ist etwas verborgen. Kein Geheimnis ohne Glanz, kein Schatten ohne Licht. Wer Ja zum Ja sagt, sagt auch Nein. Marxisten führen Fortschritt auf die Negation der Negation zurück. Man tut den Pet Shop Boys keine Gewalt an, wenn man ihnen gründliche Gedanken unterstellt.




Richters Kölner Kirchenfenster




Die großartige Single ‘Love etc.’ enthält die Botschaft: ‘Du brauchst mehr im Leben als den Gerhard Richter, der an deiner Wand hängt.’ Bei wem hängt ein Original des Künstlers Gerhard Richter an der Wand? Bei uns, im Kölner Dom. Das Plattencover ist von Richters Kölner Kirchenfenster inspiriert, von seinen 11 000 Quadraten. Für ihr Album haben sich die Pet Shop Boys auf elf beschränkt. Das Leben sollte mehr sein als ein buntes Fenster. Mit der Bergpredigt, ‘Ja, Ja’ oder ‘Nein, Nein’, kommt heute keiner weiter. Selbst mit einem weiteren Album von den Pet Shop Boys ist es im Leben nicht getan. Aber es hilft. Man wird daran erinnert, es sich nie zu leicht zu machen. Allerdings auch nicht zu schwer.




Mit solchen Vorsätzen sind sie zum Klassiker gereift. Im Februar bekamen sie den längst verdienten BritAward fürs Lebenswerk, ‘für ihren außerordentlichen Beitrag zur Musik’. Es ist nun auch schon wieder 28 Jahre her, dass sich Neil Tennant und Chris Lowe beim Einkaufen begegneten. Ein Redakteur der Zeitschrift ‘Smash Hits’ und ein angehender Architekt. Der eine wusste, wie sich bessere Lieder schreiben ließen als die üblichen, der andere, wie Musik sich eleganter konstruieren ließ. Mit ‘West End Girls’ traten sie 1985 den Beweis an.




Schon in einer Zeit, als noch nicht alles Pop war, lieferten die Pet Shop Boys ein Pop-Programm, das gleichzeitig durch seine irritierende Künstlichkeit und durch seine Alltäglichkeit bestach. Sie trennten ihre eigenen Personen säuberlich von den zwei Popstars. So blieben sie nicht nur Menschen, sondern sogar selber Fans. Von David Bowie, Robert Mapplethorpe, Zaha Hadid und Dusty Springfield, Derek Jarman und den Smiths. Sie liefen staunend durch die Fotos, Videos und Bühnenbilder und durch ihre eigenen Songs, in denen manchmal ein Idol gastierte, aber stets sie selbst. Je seltsamer die Mützen, die sie dabei trugen, umso menschlicher erschienen sie. Schon deshalb lacht sie keiner aus, wenn sie sich Sorgen machen. Über Poppäpste wie Bono lacht die Welt. Sie haben ihre reduzierten Disco-Hymnen bereits mit Gitarren dargeboten und auf Dresdner Plattenbauten russische Revolutionsfilme vertont. Zuletzt, auf ‘Fundamental’, sangen sie vom Verlust der Freiheit nach 2001.




Die Zuversicht ist wieder da, soweit die gute Nachricht. Die noch bessere Nachricht: Die Musik klingt wieder so euphorisch wie zuletzt auf ‘Nightlife’ vor zehn Jahren. Es beginnt mit ‘Love etc.’, das nicht von ungefähr an das Erbauungslied ‘Ich will’ erinnert, von ihren Berliner Freunden Rammstein. Für gewöhnlich liefern Bands ihr Album ab, aus dem die Plattenfirma dann die Single auswählt. Bei den Pet Shop Boys werden die Singles vorsätzlich als Singles projektiert.




‘Yes’ ist keine Abwrackplatte




‘All Over The World’ lädt mit Tschaikowski ein zum Marsch der Nussknacker gegen die Macht der Mäusekönige. In ‘Beautiful People’ geht es zu gediegenen 60er-Jahre-Streichern um die Frage: Träumt nur der Fantast von Perfektion? Nicht nur von äußerlicher? Nachdenklich beobachtet ‘The Way It Used To Be’ zwei Karrieristen, die Gefühlsverluste zu beklagen haben. Das Utopische wird in ‘More Than A Dream’ beschworen. ‘Building A Wall’ durchdenkt den eigenen Wunsch nach Schutz und Abgrenzung, die Mauer in Berlin und damit auch die wachsende Ostbindung der Popkultur.




Zum Ausklang geben Lowe und Tennant ihren Zuhörern ein mehr als sechs Minuten langes Stück mit auf den Weg. In der Hymne ‘Legacy’ wird kämpferisch das Ende prophezeit, die Gletscherschmelze, Umstürze und Wirbelstürme. Jeder werde darüber hinweg kommen, trösten die Pet Shop Boys, sogar die Bourgeoisie. Das macht die Pet Shop Boys noch immer unverzichtbar: Die Musik klingt super. Antizyklisch. ‘Yes’ ist keine Abwrackplatte, denn wer Nein sagt, muss auch Ja sagen.

Taken from: Berliner Morgenpost
Interviewer: Michael Pilz