Wer jetzt kein Fan ist, wird es nimmermehr

Altern als Problem für Pop-Künstler: Die Pet Shop Boys stellen in Berlin ihr neues Album ‘Elysium’ vor. Auch sie selbst rücken himmlischen Gefilden immer näher, wie todesdüstere Klänge bezeugen




Das Altern ist im Pop kein besonders hippes Thema. Madonna zum Beispiel singt unbeirrt von den Freuden des Jungmädchenseins, gleichzeitig bemüht, die Zeichen der Zeit mit allen Mitteln zu bekämpfen. Und sieht, wie der Schriftsteller Max Goldt kürzlich feststellte, dabei aus wie eine jener gehässigen Matronen aus frühen Farbfilmen von Alfred Hitchcock.


Der Literat schrieb auch, dass man immer intensiver leide, je älter man werde. Nur dürfe man es bloß immer weniger zeigen. Die beiden Herren, die als die Pet Shop Boys das erfolgreichste britische Popduo der Welt bilden, sind mit 58 und 52 Jahren ungefähr genauso alt wie Madonna.


Anders als diese äußern sie ihr Leiden am Verblühen vernehmbar auf ihrem elften Album ‘Elysium’. Für das hatten sie sich im Vorfeld eigentlich nur ein Arbeitsziel gesetzt: Es sollte durchweg in einer melancholischen, nachdenklichen Stimmung gehalten sein. Eher aus Versehen, so beschreiben sie es rückblickend, ist es dann ein Album über das Älterwerden geworden. Dass sie 2009 mit einem Brit Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurden, wirkte wahrscheinlich auch nicht gerade wie ein Jungbrunnen.


Sind das noch Boys?


Nun könnte man einwenden, als Männer stünden sie von vornherein unter einem geringeren Jugendlichkeitsdiktat. Aber wie bemerkte eine Dame um die siebzig beim Hamburger Konzert von Take That im Sommer, wo die Pet Shop Boys als Vorgruppe auftraten? ‘Von ihrem Alter her dürften die sich aber nicht mehr ,Boys’ nennen.’ Andererseits: Wie hätten Neil Tennant und Chris Lowe bei Bandgründung im Jahr 1981 auch ahnen können, dass es sie drei Dekaden später immer noch geben würde?


Die Pet Shop Boys sind Teil einer hedonistischen Kultur, unter der sogar sie selbst als deren Ikonen leiden. Tennant sagte dem Musikmagazin ‘Spex’ neulich: ‘Man steht auf einer Party und fühlt sich alt und nutzlos. Nachlassende sexuelle Attraktivität, ach … der ganze Kram eben, mit dem man als älterer homosexueller Mann zu tun hat.’


Genau davon singt er in ‘Invisible’, einem Song auf dem jetzt erschienenen ‘Elysium’. Dieses stellten sie nun in einem Kurzauftritt im Berliner Theater Hebbel am Ufer vor. Tickets zum Konzert jedenfalls gab es, sofern nicht qua Journalistenberuf erlangt, ausschließlich zu gewinnen. Oder für 800 Euro auf Ebay zu kaufen, wie einige glücklos vor dem Schauspielhaus ausharrende Fans erzählten. Drinnen, im Jugendstilbau, betraten Lowe und Tennant um Punkt 21 Uhr die Bühne. Denn außerdem wurde das Ereignis weltweit live per Internet-Stream übertragen, und da zählte Pünktlichkeit.


Nachdenklichkeit und Todesahnung


Tennant schritt im schwarzen Trenchcoat ans Mikrofon. Chris Lowe, dessen Markenzeichen seit 1985 sportliche Hut-und-Sonnenbrillen-Kombinationen sind, trug hinter seinem Keyboard eine die Augen beschattende, nass glänzende Regenhaube. Nur die auf den Vorhang hinter ihnen projizierten pastellfarben-freundlichen Wolkenformationen dämpften die Furcht, auf der Bühne könnte jeden Moment ein schweres Gewitter losbrechen.


Und so spielten sie ihre wie ehedem fein konstruierten Disco-Hymnen, darunter der bei Olympia eingesetzte Erbauungssong ‘Winner’. Doch auch aufgrund der Nachdenklichkeit und Todesahnung, die auf ‘Elysium’ herrscht, schien die ganz große Euphorie im Saal auszubleiben.


Selbst wenn Tennant betonte, sie hätten keine Angst davor, uncool zu wirken: Der einzige, dafür aber richtig unangenehme Moment des Abends war ‘Ego Music’, in dem es um soziales Netzwerken in der verderbten Musikbranche geht. Was ihm fehlt, dem Song, ist sowohl musikalische Raffinesse als auch Hintersinn: ‘Me, me, me, me / Yes, yes, yes, yes / You, you, you, you / No, no, no, no / Ego music, it’s all about me’.


Affinität zur Kunstszene


Mit den beiden Musikern standen auf der äußerst aufgeräumten Bühne eine Reihe Bildschirme. Dort erschienen die Gesichter der Familie Water, dreier Soulsänger, die die Pet Shop Boys bei den Albumaufnahmen in Los Angeles als Studiomusiker engagiert hatten.


Wie sie in High Definition ausdrucksvoll sangen und dem Betrachter entgegenstarrten, erinnerte stark an Andy Warhols Screentests. Überhaupt: die Kunst. Mit der haben die Pet Shop Boys bekanntlich viel am Hut, und zu den auffallend vielen männlichen Fans der Gruppe gehören Schriftsteller, Musiker und Künstler, wie der Fotograf Wolfgang Tillmans, der auch im Publikum war.


Nach 45 Minuten war Schluss. Draußen lag die Spätsommernacht, in den magentafarben angestrahlten Bäumen schon die Ahnung des kommenden Herbstes. Wer jetzt kein Fan ist, wird es nimmermehr. Den Pet Shop Boys geht es gut. Hinterm Lebenswerk geht’s weiter.

Taken from: Welt Online
Interviewer: Anne Waak