We are the Pet Shop Boys






Der Würfel hat es nicht nach Deutschland geschafft. Das ausklapp- und modulierbare Objekt, das am Anfang der aktuellen Pet Shop Boys-Tournee zentraler Bestandteil der Bühne war, wurde irgendwann in den letzten Monaten durch eine einfachere Leinwand mit variabler LED-Röhrenkonstruktion davor ersetzt. Als Neil Tennant im Frack und Chris Lowe im neongelben Pullover gegen halb neun mit federndem Schritt als letztes von drei Pet Shop Boys-Paaren die Bühne betreten und sich die Hand schütteln, hat man diesen Umstand schon fast vergessen. Spätestens als die Engländer mit „Left To My Own Devices“ einen ihrer großen Hits gleich an den Anfang des Konzerts stellen, ist der ganz spezielle Kosmos im gesamten Tempodrom zu spüren. Ein „Abend der elektronischen Unterhaltung“ hat begonnen. Er wird gute 90 Minuten dauern, entgegen der Erwartung ohne Pause auskommen und Chris Lowe einige Male mit vielleicht gespielter Lässigkeit über die Eigenheiten seines Keyboards lachend zeigen.




Pet Shop Boys-Konzerte finden auf dem schmalen Grat zwischen 80er-Jahre-Party und außergewöhnlichem Konzertereignis statt. Das eine entsteht quasi von selbst durch unzählige Hits, mit denen Tennant und Lowe wahrscheinlich jeden Abend locker zwei Konzerte bestreiten könnten. Das Besondere ergibt sich durch den Anspruch der beiden an die eigene Show. Lange vorbei zwar die Zeiten, als sie sich naserümpfend über Rockstarposen und Ansagen à la „You are such a fabulous audience!“ und die allseits bekannten Mitklatschanimationen lustig machten, aber ganz ohne Inszenierung kam bis jetzt nur die „Release“-Tour aus. An diesem Abend sorgen Leinwandprojektionen, zwei Tänzer, drei Background-Sänger und eine Hand voll Kostüme für das notwendige Etwas. Während Chris Lowe nur von den Problemen seines Keyboards zu sichtbaren Reaktionen provoziert wird, transformiert der Rest der Bühne durch eine kunterbunte Light-Show und nicht weniger farblose Kostüme zum popmusikalischen Spielplatz.




Vorbei ziehen die Hits. „Suburbia“, zu dem düstere Figuren durch die auf die Leinwand projizierten Gardinen zu spitzeln scheinen, „Can You Forgive Me“, „Heart“, „Opportunities“ und mit „Integral“ auch einer von drei Songs mit politischer Aussage – in diesem Fall gegen den Personalausweißzwang, den Tony Blair in England durchsetzen will. Dafür wurde er schon zu Beginn in „I’m With Stupid“ visuell Arm in Arm mit George W. Bush mit dem einen oder anderen Diktator gleichgesetzt. Aber Neil Tennant sprach von „elektronischer Unterhaltung“ und so steht denn auch der Spaß klar im Vordergrund. Kurz bevor Chris Lowe zum selten live gehörten „Paninaro“ ansetzt und so der restlichen Crew das Umziehen ermöglicht, teilt der Nebenmann mir mit, dass sogar er als Nicht-Fan den einen oder anderen Song erkannt hätte. Keine Überraschung bei dem, was hier geboten wird. Wenn andere Bands ihre Hits aus Dramaturgiegründen ans Konzertende packen, tüfteln die Pet Shop Boys wie sie möglichst viele in ihrer Show unterbringen und trotzdem noch für Überraschungen sorgen können. Eine solche sind sicherlich die beiden nahtlos ineinander übergehenden Buchstabier-Songs „Minimal“ und „Shopping“. Aus „Se A Vida E“ wird wenig später im immer schneller drehenden Hitkarussell „Domino Dancing“. Vorn, hinten und nebenan springen Eltern, die sonst drei Mal im Jahr den Discofox tanzen, neben der knapp und exotisch bekleideten Hauptzielgruppe der Band. Bewegungslos steht im Innenraum kaum jemand, nur die eine oder andere – wohl vom Freund mitgeschleppte – junge Frau schaut etwas ungläubig. Der Sitzplatzkarten hätte es nicht gebraucht, erlebt sich so ein Konzert doch auch auf den Rängen viel besser mit frei beweglichen Beinen.




Mit „Always On My Mind“ schließlich wird das Volksfest endgültig eingeleitet: zwei überdimensionale Pet Shop Boys-Pappgesichter auf der Bühne, Background-Sänger mit Gitarren und Blumen auf dem Kopf. In „Where The Streets Have No Name“ kommunizieren gefilmte Tänzer mit den echten Kollegen auf der Bühne und ein Leinwand-Neil Tennant in schwarz-weiß singt den Refrain zusammen mit seinem Original. Den Abschluss des regulären Sets bilden ein risikoloses „West End Girls“ und das als ironisiert-bunte Militärparade inszenierte „The Sodom And Gomorrah Show“. Nach zwei Zugaben und dem wohl definitiven Finale in „Go West“ geben Backgroundsänger und Tänzer ein letztes Pet Shop Boys-Medley. Die Hauptakteure haben die Bühne derweil schon verlassen. Ein letztes Mal glühen die LEDs und der letzte Ton brummt aus den Boxen.

Taken from: Soundmag.de
Interviewer: Andreas