Tanzt, Männer, tanzt

Nach 8 Jahren Pause gehen die Pet Shop Boys mit schlauen


Popsongs auf glamuröse Welttournee.




Mit Sätzen, wie ‘Ich habe das Hirn, du hast den Look, lass uns viel Geld machen’ (englisch: ach wissen

wir doch alle) und ‘Ich liebe dich, du zahlst die Miete’ drückten sich die Pet Shop Boys in den 80er

Jahren selbst den Stempel ‘Designer-Zyniker’ auf. Neil Tennant und Chris Lowe sangen von Geldgier und

unterzogen sich Beziehungen einer schlichten Kosten-Nutzen-Analyse.


Aber wieso Musik mit Aussage eher Cowboystiefel-Gitarreros zugetraut wurde als den schwulen Briten mit

umgedrehten Schultüten auf dem Kopf oder drahtigen Perücken und Space-Anzügen, verstand das Duo nie.

‘Wenn man in der Popmusik ernsthaft sein will’, sagt Tennant, ‘glauben die Leute, man müsse es vorher

ankündigen: Hallo, ich bin jetzt ernst.’


Von wegen Kunstprodukt. Die Jungs meinen es ganz ehrlich. Entertainment und Inzenierung dienen

schlicht der Unterhaltung, und was ist das Leben, wenn nicht widersprüchlich? Die meisten ihrer Lieder

behandeln die Liebe und sind eher anrührend als sarkastisch. Manchmal unterlegen sie traurige Texte

mit Gute-Laune-Musik oder erzählen zu einer melancholischen Melodie eine wunderbare Geschichte. Die

Pet Shop Boys, schrieb ein New Yorker Blatt kürzlich, seien einfach ein großartiges Oxymoron, intellektuelle

Disco-Häschen sozusagen.


Sie beweisen es in Perfektion auf ihrer soeben angetretenen Welttournee, die sie im November und Dezember

auch nach Deutschland führt. Eine rare Chance, intelligente Tanz-Musik live zu erleben. Nur einmal vor

8 Jahren waren sie mit ihren Computern im Gepäck um die Welt gereist, mit mit einer pompösen Verwandlungs-

und Verkleidungsshow.


Wäre es möglich, sagte Neil Tennant einmal, ließen sie ohnehin lieber animierte Gesellen auf der Bühne

erscheinen. Es ist Gott sei Dank noch nicht möglich, aber eine Ahnung von dieser präsenten Nicht-Präsenz

zeigen sie beim Eröffnungssong ‘For your own good’ (aus dem aktuellen Album): Über den weißen Bühnenvorhang

flimmern hektische elektronische Oszillator-Schwingungskurven in Grün, ehe die beiden Musikerköpfe sich

wie ein Anschauungsmaterial auf der Leinwand im Kreis drehen.


Der Vorhang fällt, es folgt ein Querschnitt durch das kunstvoll durchdachte Koordinatensystem der

Pet Shop Boys: von ihrem Hit ‘West End Girls’, dem Dusty Springfield-Duett ‘What Have I Done To Diserve This?’

über die Village People-Ausleihe ‘New York City Boy’, dem Latino Song ‘Se A Vida É’ bis zu den schwulen

Hymnen ‘Always On My Mind’ und ‘Go West’.


Rechts vorn im Eck klimpert Chris Lowe in stoischer Pose auf seinem Keyboard, Texter Neil Tennant wandert

fast schüchtern über den Bühnenarm, der ein großes L formt, mal in gleißendes Weiß, kaltes Blau oder schrilles

Pink getaucht. Als Kontrast zum schlichten Design tanzt unten ein vierköpfiger schwarzer Chor (in wechselnder

Kostümierung), und Sängerin Sylvia Mason-James klaut Tennant mit ihrer erdigen Soulstimme zwischendrin

beinahe die Show.


Nach der ruhigeren ersten Hälfte schieben die Pet Shop Boys eine Pause ein. Die Computer müssen geladen werden.

Das ist der Tribut, der zu zahlen ist, damit nichts einfach vom Band kommt. Danach streifen die Anti-Rock-Dogmatiker

gestreifte Samurai-Hosen, balkendicke Augenbrauen und Mecki-Perücken ab und spielen in Schwarzweiß: Zwei

Männer, an deren Haaransatz die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat.


Immerhin trafen sich Tennant, 45, Ex-Journalist, und Lowe, 40, Ex-Architekt, schon 1981 in einem Londoner

Plattenladen und beschlossen von da an gemeinsam Dance-Musik zu machen. Der Durchbruch ließ bis 1985 auf sich warten,

dafür schlug ‘West End Girls’ wie eine Bombe auf den Tanzflächen ein. Seither haben die Pet Shop Boys ihren

Glamour auf 24 Millionen Tonträgern verkauft. Ihr aktuelles Album ‘Nightlife’ schien ihnen erstmals wieder

wert, live präsentiert zu werden. ‘Auch wenn wir natürlich alle unsere Platten toll finden’, sagt Neil

Tennant.


Das Nachtleben pflegen die beiden ausgiebig, wenngleich am liebsten in den Gourmet-Tempeln Londons. Zum

Essen treffen sie sich in der Mitte der Stadt, beim Plaudern werfen sie sich die Brocken zu wie ein altes Ehepaar.

Über jedem Thema schwebt ein ästhetischer Anspruch, sei es zum servieren des Menüs (Lowe: ‘Igitt, bloß

nicht mit silbernen Wärmeglocken’), bei der Auswahl von Gartenmöbiliar (Tennant: ‘Plastikgartenmöbel gehören

verbannt’) oder eben in der Musik.


Gelegenlich gerät der Schöngeist auch zur Hypothek. Als sie versuchten, Geldgeber für ihre Tournee zu finden,

lehnten die Sponsoren ab: Die Message der Pet Shop Boys sei zu schwierig. ‘Sie finden uns zu verrückt,

sophisticated, zu kompliziert’, sagt Tennant, ‘nicht so simpel wie Ricky Martins Latino-Sex-Energy-Message.’

Kurz vor Tourstart ging auch noch der britische Veranstalter Harvey Goldsmith Pleite. Das Duo finanzierte

2,2 Millionen Mark aus eigener Kasse, die Show wird nicht gerade viel Geld machen. ‘Egal’, sagt Tennant,

‘dann sponsern die Pet Shop Boys eben die Pet Shop Boys. Das ist authentischer.’

Taken from: Danke an Nightboy
Interviewer: Ingrid Böck