Sound für den Panzerkreuzer

Ob Klassik, Soundtrack oder Literaturvertonung:


Thorsten Rasch ist ein Wanderer zwischen den musikalischen Welten.


Letztes Jahr provozierte der Jungkomponist mit einer orchestralen


Neufassung von Liedern der Teutonen-Rocker Rammstein.


Jetzt schuf er eine Filmmusik für den Kinoklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’


– gemeinsam mit den Pet Shop Boys.




Torsten Rasch hasst Sesshaftigkeit – sowohl in musikalischer als auch in geographischer Hinsicht. Der 1965 in Dresden geborene Komponist

lebt eine Hälfte des Jahres in Tokio, die andere in Berlin, werkelt an Soundtracks für japanische Filme genauso wie an zeitgenössischer

Klassik für die Dresdner Sinfoniker. Der Bezugsrahmen verschiebt sich je nach Projekt von Barock- zu Renaissance- und weiter zu Popmusik.


Im vergangenen Jahr veröffentlichte er unter dem Titel ‘Mein Herz brennt’ einen orchestralen Liederzyklus mit Titeln der Brachial-Rocker

Rammstein. Am Sonntag feiert auf dem Londoner Trafalgar Square die Musik zum Stummfilm ‘Panzerkreuzer Potemkin’ Premiere – komponiert von

den britischen Pop-Ikonen Pet Shop Boys, für die Dresdner Sinfoniker arrangiert von Torsten Rasch.




Klassik und Krawall




Der Schulterschluss von deutschen Erbauungsklängen und internationaler Unterhaltungsmusik erscheint als logischer Schritt. Rasch lernte

ab dem sechsten Lebensjahr Klavier, sang später im renommierten Kreuzchor seiner Heimatstadt Sopran und hörte in der Zeit der pubertären

Opposition wenig subversive Popmusik: die Beatles, Peter Gabriel und Talking Heads – und das ‘in großer Lautstärke’, wie er sagt.


Einige Platten brachte er aus dem Westen mit. Als Chormitglied durfte er im Teenager-Alter diverse Reisen machen, unter anderem nach Spanien,

Japan und ins Nachbarland BRD. ‘Natürlich sind auf fast jeder Reise zwei bis drei Mitglieder verschwunden’, erzählt Rasch. ‘Der Direktor

betrat dann mit finsterer Miene den Bus und verkündete, der und der habe die DDR verraten, aber Konsequenzen für die weitere Reise hatte das

nie.’ Im deutschen Westen faszinierte den Teen die ungeheure Auswahl in den Buchläden, in Fernost der höfliche Umgang der Menschen miteinander.

Musikalisch entschied er sich jedoch erst einmal für England – seine erste LP, 1979 gekauft, war von Led Zeppelin.


Als 1989 die Mauer fiel, hatte Rasch sein Studium für Klavier und Komposition an der Dresdner Musikhochschule ‘Carl Maria von Weber’

abgeschlossen, sah sich persönlich und beruflich an einem Scheideweg – und verließ Deutschland. ‘Ich wollte so weit weg wie möglich’,

sagt er. ‘Das Chaos der Wendezeit erschien mir der richtige Zeitpunkt. Hätte ich Freunde in Südamerika gehabt, wäre ich dorthin gegangen.’

Die Wende kam für ihn zur richtigen Zeit.


Das Land, vor dem er floh, half ihm in der Fremde. Er bekam schnell ein Visum, weil er angab, früher im Kreuzchor gesungen zu haben. Die

Verehrung deutscher Klassik in Japan öffnete ihm manche Tür. Nur eines musste er beweisen: Zuverlässigkeit. ‘Die wird bei Ausländern nicht

vorausgesetzt’, sagt er. Bald konnte er sich vor Arbeit kaum retten. Er komponierte Musik für mehr als 30 Filme, nahm an einem Tributalbum

für den Dramatiker Juji Terayama teil und gab mit eigenem Ensemble 1992 sogar ein Gastspiel in Dresden. Heimweh hatte er dabei nicht.


Erst Ende der neunziger Jahre lockerte sich das Verhältnis von Künstler und Heimat auf. 1998 erhielt er einen Kompositionsauftrag für

die Dresdner Sinfoniker: die Vertonung eines Gedichts der isländischen Edda-Saga. Das Projekt wurde 2000 aufgeführt, Katharina Thalbach

sprach die Texte. Die Schauspielerin lieh auch dem Nachfolge-Projekt ihre Stimme – dem Rammstein-Zyklus ‘Mein Herz brennt’. Während der

Produktion in Berlin entschloss er sich, hier eine Wohnung zu nehmen. ‘Berlin schien mir als Hauptstadt aussichtsreicher als Dresden, um

wieder Fuß in Deutschland zu fassen’, sagt er und ergänzt: ‘In Dresden habe ich genug Zeit meines Lebens verbracht.’




Neu-Töner für die Leinwand




Nach Kreuzchor, Werbejingles und Rammstein nun die Arbeit mit den Pet Shop Boys – eine Verbindung, so obskur, dass sie niemand vorhersagen

konnte. Eingefädelt hatte das Projekt Sänger Neil Tennant. Er hörte die umgekrempelten Songversionen Rammsteins und wusste sofort: Genau

so wollen wir unseren Panzerkreuzer haben. Wie gut, dass Thorsten Rasch ‘West End Girls’, den ersten Hit des Duos, noch im Ohr hatte. ‘Dem

Lied konnte man damals, 1986, kaum entgehen’, erinnert er sich.


‘Die Akkorde der Pet Shop Boys für Streicher zu setzen, hat mich nicht gereizt’, schwärmt Rasch. Er schrieb die Orchestermusik der bereits

fertigen Kompositionen und versuchte, die richtige Balance zwischen Avantgarde und Pop zu finden. Für den Maestro kein Problem: Strenge

Grenzziehungen zwischen E- und U-Musik findet er eh unangemessen, seinem Kunstverständnis nach sind Mozart und Haydn ebenso Unterhaltungsmusiker

wie heute Madonna und P. Diddy.


Der Wanderer zwischen Ost und West, zwischen Pop und Klassik stößt deshalb oft auf Vorurteile – ‘besonders in Deutschland’, wie er glaubt.

‘Grenzüberschreitungen werden negativ wahrgenommen. Das war schon in der DDR so.’ Die Verfechter des Purismus und Theoretiker der reinen

Lehre werden deshalb gern mit einem Zitat von Arnold Schönberg beschieden: ‘Keine Kunst ist in ihrer Entwicklung so sehr gehemmt durch ihre

Lehrer wie die Musik.’


In den Pet Shop Boys hat er die idealen Partner gefunden. Die Sound-Eklektiker Neil Tennant und Chris Lowe sind dafür berühmt, erst in der

Oper zu schwelgen – und dann im Club durchzufeiern. Rasch, der Virtuose, bewundert zudem die professionelle Ausdauer, mit der das Duo zu

Werke ging: ‘Sie bastelten stundenlang an einem winzigen Geräusch, dass irgendwann zweimal in der Mitte eines Songs auftaucht’.


Noch lässt sich schwer abschätzen, wie die morgige Premiere ausfallen wird. Im schlimmsten Fall muss das Konzert wegen schlechten Wetters

abgesagt werden. Doch eins ins sicher: Wenn in Potemkins Meisterwerk eine Gruppe Soldaten die legendärste Treppe der Filmgeschichte erstürmt,

sind, wie Rasch sagt, ‘angenehme Überraschungen’ zu erwarten. Cineastisch – und vor allem musikalisch.

Taken from: Der Spiegel
Interviewer: Ulf Lippitz