Release Us

Die Pet Shop Boys proben auf ihrem achten Longplayer


den Befreiungsschlag




Als die Pet Shop Boys im Februar ein Exklusivkonzert in Köln gaben, spielten sie als ersten Song ‘Disco Potential’. Ausgerechnet!

Die schlimmste B-Seite, die sie je auf Tonträger bannten. Der nächste Titel war ‘Being boring’ – ihre mit Abstand beste Single.

Zwischen beiden Extremen liegt das Mittelmaß. Vielleicht wollten Neil Tennant und Chris Lowe ihr Publikum auf einen vernünftigen,

irgendwie netten Durchschnitt einschwören. So einen Song wie ‘Being boring’ schreibt man nur einmal im Leben, einen wie

‘Disco Potential’ hoffentlich auch.



Ein Lied wie die neue Single ‘Home and Dry’ hingegen klingt nach ordentlicher radiokompatibler Ware. Es fängt ziemlich genauso

an, wie es aufhört. Was hier nach oben oder unten ausschlägt, sind höchstens die Reminiszenzen der Musikpresse: Die einen hören

bei ‘Home and Dry’ die 80er-Ikonen The Police heraus. Andere sehen in dem Song die vollständige Kopie eines Liedes der versunkenen

Britpopper Cast. Alles nur geklaut?



So ein Urteil wird dem erfolgreichsten Duo der britischen Musikgeschichte nicht gerecht. Mit dem achten Studioalbum ‘Release’

begeben sie sich einfach auf ein Terrain, das nicht unbedingt ihres ist. Die Pet Shop Boys wenden sich von der Disco ab und

dem Studentencafé zu. Dort werden zwar genauso kleine Probleme über Liebe und Lust durchdekliniert, aber mit Akustik- oder

E-Gitarre unterlegt. Da die nicht mehr ganz so adoleszenten Boys eher das Tastenhauen denn das Saitenzupfen im Blut haben,

holen sie sich dazu fachliche Unterstützung vom ehemaligen The-Smith-Gitarristen Johnny Marr.



Eine riesige überraschung bedeutet der moderate Wechsel Richtung Pop-Rock nicht. Auf dem letzten Album ‘Nightlife’ (1999)

befand sich das schon sehr abgespeckte ‘You only tell me you love me when you’re drunk’. Im Grunde strotzt der Nachfolger

von musikalischen Entwürfen derselben Art.



Die Pet Shop Boys brechen zwar keine Harmoniegesetze, aber immerhin eine lange Tradition. Statt Räume vielschichtig-elektronisch

zu beschreiben, halten sie sich auf ‘Release’ asketisch zurück. Wenigstens neun der zehn Lieder erwecken den Eindruck, in der

Demophase stecken geblieben zu sein. Weniger ist bekanntlich mehr.



Das gilt auch textlich. über Gefühle reflektieren die Pet Shop Boys in kurzen Statements. Hier und da fällt ein weiser Brocken

ab, ansonsten wird skizziert und angedeutet. Nur einen Versuch gönnen sich die Briten, eine Geschichte auszuformulieren. ‘The

Night I fell in Love’ erzählt die Story eines schwulen Teenagers, der mit Brachial-Rapper Eminem eine amouröse Nacht verbringt.

Tennant singt und dichtet ein grausam faszinierendes Kinderlied, das noch zu den No Angels, aber nicht zu distinguierten

Dandy-Poppern passt. Die gute Absicht rechtfertigt nicht die holprige Umsetzung. Von diesem Schnitzer abgesehen, behaupten

sich die Pet Shop Boys als Bannerträger einer Popgeneration, die, in die Jahre gekommen, sich ruhig auf die Sitzkissen eines

handwerklich sauberen Songwritings zurückzieht. Das hat – dem Kölner Opener zum Trotz – so gar kein Discopotential.

Taken from: Siegessäule.de
Interviewer: Ulf Lippitz