Berühmt wurden die britischen Pet Shop Boys
als zynisch-coole Pop-Dandys.
Auf Deutschlandtour beweisen sie nun Mut
zu bizarren Kostümen und zum großen Gefühl
Wenn der Pop-Monarch Elton John besonders gute Freunde in sein Anwesen bei Windsor lädt, dürfen sie mit ihm schon mal in den Stall gehen. Den hat der Star zu einer Mischung aus Lagerhaus und Museum ausbauen lassen: ‘Alles, was wir am Entertainer Elton John lieben, ist da: der glitzernde Baseball-Anzug und die Captain-Fantastic-Uniform, die er in den siebziger Jahren trug’, schwärmt der regelmäßige Elton-John-Gast Neil Tennant, ‘es ist ein Traum.’
Von Freunden wie Elton John und David Bowie haben die Briten Neil Tennant, 45, und Chris Lowe, 40, bekannt unter dem Namen Pet Shop Boys, die Neigung übernommen, Popmusik als großen Kostümball zu inszenieren. Sie finden, wirkliche Stars seien zu äußerer Attraktivität verpflichtet. ‘Wir sind eher unauffällige Typen und dazu noch schüchtern’, sagt Tennant, ‘also verkleiden wir uns so lange, bis wir einigermaßen aufregend aussehen.’
Verdammt hohe Ansprüche in einer Zeit, in der immer mehr Musiker aussehen wie ihre Fans und auf der Konzertbühne in den gleichen Fitness-Klamotten von Adidas, Nike und Gap herumturnen wie die Menschen im Publikum und so haben sich die Pet Shop Boys anlässlich ihres neuen Albums ‘Nightlife’ und einer Welttournee, die sie von dieser Woche an nach Deutschland führt, nochmals mit viel Spaß in Schale geworfen. Fahlweiß haben sie sich die Gesichter gepudert; dazu tragen sie Sonnenbrillen und gelbblonde Struwwelperücken.
In dieser Verkleidung ähneln die beiden Briten dem irren Killer der ‘Halloween’-Horror-Filmreihen; Tennant besteht allerdings darauf, das Ganze sei eher als ‘Hommage an den kleinen Prinzen’ gedacht. ‘Aber egal soll sich doch jeder denken, was er will.’ Das Spiel mit Andeutung und Verrätselung ist schließlich essenziell in diesem Job. ‘Uns bereitet schon das Einkaufen der Garderobe gewaltigen Spaß’, sagt Chris Lowe.
Wenn sie wollten, könnten die Pet Shop Boys den Rest ihrer Tage längst mit Shopping verbringen. Tennant und Lowe gelten als erfolgreichstes britisches Pop-Duo der vergangenen zwei Jahrzehnte. Einen Nummer-eins-Hit zu haben, so behaupteten sie mal, sei für sie ungefähr so aufregend, wie eine Tasse Tee zu trinken und entsprechend entspannt gehen sie auch heute noch zu Werke, obwohl ihre jüngeren Platten mehr von Kritikern als von Käufern geschätzt wurden.
Tennant hat ein Landhaus im Norden Englands erworben, wo er gern mit Gummistiefeln der Marke ‘Wellington’ und seinem Yorkshire-Terrier Kevin den Gärtnern bei der Arbeit zuschaut, während Lowe in den vergangenen Jahren fast nonstop zwischen London, New York und Ibiza auf Party-Ausflug war. Eines Tages aber nervte ein Taxifahrer den führerscheinlosen Multimillionär Tennant mit der Frage, wie denn so das Leben als Frührentner sei und er befand, dass es ‘überfällig war, mal wieder ein wenig Staub aufzuwirbeln’.
Mit ihrem neuen Album und noch mehr mit ihrem Tourneespektakel erinnert das Duo nun zum Jahrtausendende an seine erstklassige Erfolgsbilanz und will endlich auch jenen oberschlauen Kritikern den Mund stopfen, die den beiden Pop-Dandys bis heute die Anerkennung als Stil-Pioniere der jüngeren Musikgeschichte verweigern.
Damit schon die Bühne fabelhaft aussieht, hat der gelernte Architekt Chris Lowe die Star-Architektin Zaha Hadid engagiert: ‘Jeder Auftritt soll wirken wie ein Fest, das wir alle paar Jahre für unsere besten Freunde geben’, sagt Lowe. Deshalb steht da eine große Treppe, auf der sie als Gastgeber auf und ab stolzieren können, und darunter ein Iglu, in das sie sich verkriechen, wenn ihnen der ganze Trubel unheimlich wird.
Ordentlich geklotzt wird nicht nur bei den Kostümwechseln, sondern auch bei der musikalischen Ausstattung. Mit Band, schwarzem Gospelchor und einer Matrosengarde im Rücken singt Neil Tennant die Hits von ‘West End Girls’ bis ‘Go West’ mit einer Wehmut, die besagt, dass es so schön nicht bleiben kann und vielleicht nie wieder wird. Zwischendurch spielt Tennant ganz lässig den einen oder anderen der gemeinsamen Disco-Hits allein zur akustischen Gitarre. Die größte Leidenschaft aber zeigen die Briten bei der Verneigung vor ihrem großen Idol, der im März dieses Jahres gestorbenen britischen Sängerin Dusty Springfield. Tennant und Lowe hatten ihr in den späten achtziger Jahren zu einem so spektakulären wie würdevollen Comeback verholfen, und bei der Beerdigung hielt Tennant die Grabrede.
Auch sonst ist die Begeisterung, mit der die Pet Shop Boys das Spätwerk von unter Einfallsnot leidenden Pop- und Rocksängerinnen aufpolieren, längst legendär. Tina Turner haben sie ebenso betreut wie Liza Minnelli, und selbst das von der britischen Presse oft verhöhnte ewige Pop-Mädchen Kylie Minogue ließen sie auf der neuen Pet-Shop-Boys-Platte mitsingen und leisten Beistand beim kommenden Minogue-Werk.
Höchst grimmig reagierten Tennant und Lowe, als der britische Autor Roger Scruton vergangenes Jahr in seinem Buch ‘An Intelligent Person’s Guide to Modern Culture’ lästerte, ‘dass der Beitrag der Pet Shop Boys zu ihrer eigenen Musik eher minimal’ sei. Nach eigener Aussage haben die beiden Stars Scruton wegen Rufschädigung verklagt, das Verfahren laufe noch; schließlich gelten die Pet Shop Boys anderen Kritikern mittlerweile als Komponisten, deren Werk dem von John Lennon und Paul McCartney ebenbürtig sei.
Berüchtigt sind Tennant und Lowe allerdings auch ihrerseits wegen ihrer Neigung zu hämischen Kommentaren über die Pop-Konkurrenz: ‘Natürlich habe ich stets behauptet, dass U2 und Police das Schlimmste sind, was ich mir vorstellen kann’, sagt Tennant, ‘aber so böse war das nie gemeint. Ich gestehe: Einige Police-Hits habe ich mir heimlich sogar gern und immer wieder angehört.’
Klingt ganz so, als seien die Pet Shop Boys milde geworden und hätten sich vom alten, eleganten Zynismus verabschiedet. Was etwa hat es zu bedeuten, dass im Booklet der neuen CD klein gedruckt vermerkt ist, der Tonträger sei ‘Carbon Neutral’ hergestellt, also nicht umweltbedenklich?
Auf Nachfrage fühlen sich die Künstler ertappt: ‘Wir wissen auch nicht, was das bedeutet. Müssten wir im Lexikon nachschlagen’, sagt Lowe. ‘Aber wir möchten uns auf keinen Fall als Vertreter einer guten Sache oder als Retter der Regenwälder hervortun. Diesen Teil der Show überlassen wir lieber anderen.’
Taken from: Spiegel 47/1999
Interviewer: Christoph Dallach