Pet Shop Boys – Alles nur Theater

Drei Jahre hatte das Theater der Pet Shop Boys seine Pforten geschlossen.

Jetzt sind Neil Tennant und Chris Lowe mit fernöstelich-futuristischem

Outfit und bissigen Pop-Schmonzetten zurückgekehrt.




Vielleicht wird Neil Tennant in ein paar Jahren mit Gummistiefeln vor seinem gerade

erworbenen Landhaus sitzen, selbstvergessen durch das Fell seines Lakeland

Terriers streicheln und sich fragen, ob es wirklich immer nötig gewesen ist,

Fassaden aufzubauen und Fans mit unterkühltem Zynismus abzuhalten. Schließlich

hat er in den drei Jahren ohne neues Pet Shop Boys Album scheinbar zu menscheln

begonnen, dort im Norden Englands, da wo er in North Shields geboren wurde.



‘Im Gegensatz zu früher, habe ich die letzten Jahre ruhiger verbracht’, betont er.

Fünfundzwanzig Jahre London und das glamouröse Leben als Popstar haben ihn vielleicht

nostalgisch gestimmt. ‘Mittlerweile bin ich oft dort und fühle mich sauwohl.’

Sein Partner Chris Lowe, der ebenfalls von ‘da oben’ aus Blackpool kommt, kann sich

überhaupt nicht vorstellen, freiwillig aufs Land zu ziehen. Stichelnd persifliert er den

neuen ‘Landhausstil’ seines Partners. Doch Tennant kontert und gibt zu bedenken, dass

in seinem dort eingerichteten Studio ‘Happiness Is An Option’, der zuletzt eingespielte

Song des neuen Albums ‘Nightlife’, entstanden ist.






‘We dont’t even present ourselves


in a way that makes people develop


an interest in us as human beings.’


(Pet Shop Boys Philosophie)



‘Das Album reflektiert die Veränderungen, die in Menschen vorgehen, wenn es dunkel wird. Sie machen sich auf

ins Nachtleben, knallen sich zu und achten nicht auf die Folgen’, erklärt Neil Tennant.

Der Song ‘Denial’, ein Duett mit Kylie Minogue, erzählt so eine Geschichte: Eine

Karrierefrau der Neunziger wirft ihrem Vater vor, dass er schwul ist, trinkt, raucht,

Drogen nimmt und nächtelang rumzieht. Nachtgeschichten, düstere

Generationenkonflikte und neurotische Amouren wie in ‘Boy Strange’ werden erzählt.



‘Dieser Song handelt von einer dieser zum Scheitern verurteilten Spontan-Verliebtheiten’,

erklärt Lowe. ‘Du triffst jemanden, der wunderschön ist und dich

magisch anzieht. Doch du weißt genau, dass diese Episode in einer tiefen Depression

enden wird.’



Was nicht immer so sein muß. Schließlich haben Chris Lowe und Neil Tennant die

Entstehung der Pet Shop Boys auch einem Zufall zu verdanken. Anfang der

Achtziger war Tennant Jungredakteur des Popmagazins ‘Smash Hits’ und mit

Tradition und Marktmechanismen des Popgeschäftes bestens vertraut, als er dem

damaligen Architekturstudenten Chris Lowe in einem Londoner Plattenladen auf der

King’s Road begegnete. Beide fuhren dermaßen auf die gleichen Sounds ab, dass sie

sich fortan trafen, um Songs zu schreiben und gemeinsam an einer eigenen

Musikkarriere zu basteln. Zwei Jahre später traf Neil Tennant während eines

Interviewtermines mit The Police in New York den Disco-Produzenten Bobby Orlando.

Nachdem dieser mitgebrachten Demos angehört hatte, entschloß er sich, auf seinem

eigenen Label die Single ‘West End Girls’ zu produzieren.



Diese Phantasie über die

Verlockungen und Abenteuer der Großstadtstraßen wurde zunächst nur in Belgien und

Frankreich ein besserer Clubhit. Doch ihr Manager Tom Watkins vermittelte den Pet

Shop Boys einen Plattenvertrag. Aber auch ihre zweite Single ‘Opportunities (Let’s Make

Lots Of Money)’, eine bitter-böse Satire über den bigotten Thatcherismus, brachte keinen

kommerziellen Erfolg.



Erst als sich Produzent Stephen Hague zwei Jahre später

erneut ‘West End Girls’ vornahm, war der Durchbruch geschafft. Die Pet Shop Boys landeten

ihren ersten Nummer-Eins-Hit in England und den USA. Das kurz darauf erschienene

Deütalbum ‘Please’ manifestierte die Pop-Philosophie von Neil Tennant und Chris

Lowe. Sie bastelten aus nonchalanten Beobachtungen des alltäglichen Irrsinns, dem

Straßentheater des HipHop und dem homosexuellen Discodrama Schlagermythologien

von Jugend, Pop, Männererotik, die sie mit düsteren Elektronikeffekten a la Kraftwerk

verschnitten, stand geschrieben. Die melancholischen Nacht&Neon-Phantasien

mutierten dabei meist zu zynischen Zustandsbeschreibungen brüchiger Moral und perfider

Rituale in einer vom Schein bestimmten bürgerlichen Welt.



Zumindest soundtechnisch haben sich die Pet Shop Boys von ihrer dunklen Seite

gelöst. ‘Auf ‘Nightlife’ sind einige für uns ungewöhnliche Elemente enthalten’,

erklärt Neil Tennant und lacht. ‘‘You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk’

ist unser erster Countrysong, vielmehr Countrydisco- und das erste Mal, dass man bei

uns eine Steelguitar hört. Bis jetzt hatte ich noch nicht mal eine gesehen.’ Auf die

Frage, ob denn als nächstes ein Duett mit Countrylegende Kriss Christofferson ansteht,

antwortet Tennant jedoch pikiert: ‘Wir arbeiten nicht mit bärtigen Männern zusammen.’



Lieber erzählt er von den Songs des Albums. ‘‘Boy Strange´ etwa, ist fast schon

ein Rocksong mit all den akustischen Gitarren. Auf dem Demo, das ich bei mir zuhau-

se aufgenommen hatte, klang das beinahe wie Nirvana.’



Doch letztendlich entschied sich Pet Shop Boys Produzent Rollo für ein futuristischeres

Klang-Outfit. Passend zu dem neuesten Design, in dem sich die Pet Shop

Boys zum Album und zu ihrer bevorstehenden Weltournee präsentieren. Noch stärker

als in der Vergangenheit stehen die theatralischen Elemente und die Künstlichkeit

der Shows im Vordergrund. Für die aufwendigen Bühnenbauten konnten die Pet Shop

Boys die amerikanische Architektin Zaha Hadid gewinnen. ‘Als ich in einem New Yorker

Buchladen einen Katalog mit den Designs von Zaha Hadid durchblätterte, sah ich

plötzlich alle ihre Architekturentwürfe als Bühnensets’, erklärt Tennant. ‘Wundervolle

Formen, durch die man mit dem Mikro in der Hand hindurchgehen kann, gekleidet in

ein lächerliches Kostüm und angeblasen von einer Windmaschine. Wenn man unsere

früheren Shows mit Gemälden vergleicht, dann waren sie gegenständlich. Die neuen

Shows werden definitv abstrakt. Die Idee, Popkonzerte so künstlich und unrealistisch

wie möglich zu gestalten, hat uns schon immer gefallen.’



Passend dazu präsentieren

sich Tennant und Lowe im Video zu ihrer aktuellen Single ‘I Don’t Know What You Want

But I Can’t Give It Any More’ in grauen Kimonos, bleich geschminkten Gesichtern mit

stark akzentuierten Augenbrauen und flachsblond gefärbten Haaren. Die Idee dafür

haben die beiden dem japanischen Kabuki-Theater entlehnt. Einer traditionellen Form,

deren stark ritualisierte Gesten, Schmink-Masken und Gewänder Rückschlüsse auf die

jeweiligen Charaktäre zulassen. Aber vielleicht hätten sie es doch eher mal mit

Gummistiefeln aus Nordengland versuchen sollen.

Taken from: D I S C O T E C A
Interviewer: Georg Stamelos