Moment mal, wir waren doch noch gar nicht im Club!

Der eine geht gern tanzen, der andere lieber essen.


Der eine schätzt High Tech, der andere Biedermeier.


Nur bei der Musik sind sich die Pet Shop Boys immer einig.


Jetzt veröffentlicht das Duo sein neuntes Album




Wenn alle in die Kamera lachten, schnitten sie miesepetrige Gesichter. Als alle nur Jeans und T-Shirts trugen,

hatten sie futuristische Kostüme an. Auf ihren Tourneen engagierten sie Filmregisseur Derek Jarman oder Architektin

Zara Hadid, um die Bühne zu gestalten: Die Pet Shop Boys hatten immer ihren eigenen Stil. In ihrem neuen Video

‘I’m With Stupid’ tragen Neil Tennant und Chris Lowe schwarze Anzüge und Zylinder. Sehr britisch – und irgendwie

ziemlich steif.


Beim Interview im Kölner ‘Hotel Hyatt’ im Hotelzimmer sind sie dagegen leger, tragen Jeans und Pullover, sticheln

ein bißchen gegeneinander und haben erkennbar gute Laune. Ist das ihre neue Lässigkeit? ‘Fragen Sie uns, wenn die

zwei Monate Promotion-Reise vorüber sind’
, sagt Tennant, Sänger des britischen Erfolgsduos. Am 19. Mai erscheint

ihr neues Album ‘Fundamental’: geschmackssicherer Synthie-Pop.



Welt am Sonntag: Sie machen seit 25 Jahren Musik, Sie sind beide um die 50 Jahre alt und haben 36 Singles

veröffentlicht. Machen Ihnen die Zahlen Angst?



Neil Tennant: Nicht im geringsten. Als wir 1985 unseren ersten Vertrag mit der EMI unterschrieben, der mit allen

Optionen über sieben Alben lief, dachte ich: Klar, als würden wir das jemals tun. Zu dieser Zeit planten wir nicht

einmal, ein zweites Album aufzunehmen.



Jetzt mit neun Studio-Alben – fühlen Sie sich alt?


Tennant: Reif, nicht alt. Und bestimmt nicht langweilig.


Chris Lowe: Ich tue die gleichen Sachen, die ich mit 16 Jahren getan habe. Man muß sich nur physisch einschränken,

weil der Körper nicht mehr alles mitmacht.



Sie wollen uns weismachen, daß Sie heute noch das gleiche Leben führen wie vor 20 Jahren?


Tennant: Ja, wir gehen immer noch aus wie früher. Gerade vergangenen Samstag sind wir wieder im Londoner

Schwulen-Club ‘Heaven’ gewesen. Ich hab’ noch zu Chris gesagt: Gott, ich war 1979 das erste Mal hier! Wie oft wir

seitdem in dem Club waren – das ist höchstens ein bißchen beängstigend.



Hat es Klasse, mit 50 Jahren noch in Clubs zu gehen?


Tennant: Mich beruhigt, daß ich noch nicht der Älteste im Club bin – es gibt immer noch zwei, drei, die noch älter

sind. Aber eigentlich ist das Alter doch egal. Das war nicht immer so. Wenn ich an die 80er Jahre in New York

denke, da gab es regelrechte Zeiten, wann wer ausging. Erst kamen nur die Kids, dann wimmelte es plötzlich von

Dinner-Jacketts – weil die Banker kamen, um ihr Koks zu ziehen. Heute mischen sich alle Gruppen.



Feiern Sie die Nächte durch?


Tennant: Das wollte ich nie. Schon mit 18 nicht.


Lowe: Ich kann noch Nächte durchtanzen.


Tennant: Tanzen war nie meine Leidenschaft. Ich tanze nur zu Hause, wenn ich allein bin.



Viele Menschen kennen die Pet Shop Boys nur als Hitmaschine aus den 80er Jahren, als Sie ‘West End Girls’,

‘It’s A Sin’ und ‘Always On My Mind’ veröffentlichten. Frustriert Sie das manchmal?



Tennant: Nein. Dafür haben wir heute das Image, gar nicht in die Musiklandschaft zu passen. Mir gefällt das. So

wollte ich immer sein – wie ein exklusiver Privatclub, zu dem nicht jeder Eingang findet.



Sie haben sich während Ihrer Laufbahn immer wieder neue Looks, fast Kostümierungen zugelegt. Welche finden Sie

heute noch gelungen?



Tennant: Mir gefällt Chris auf dem Foto des Albums ‘Disco’ – auf dem er einfach eine Baseball-Mütze, ein

gestreiftes T-Shirt und eine Sonnenbrille trägt. Das ist nicht einmal künstlich. Chris trug die Kleidung damals

wirklich. Die spitzen Hüte aus dem Video zu ‘Can You Forgive Her’ sind großartig. Wir wollten damit eindimensionale

Comic-Figuren werden. So ein Konzept könnten wir uns noch einmal überlegen. Wir werden dann die Gorillaz (jene

Band, die nur als Comic existiert, die Red.), die man anfassen kann.



Sehen Sie sich als Stil-Ikone für junge Menschen?


Tennant: Nein. Ich denke, junge Menschen können die Pet Shop Boys entdecken und auch gut finden – so wie junge

Menschen immer wieder David Bowie und die Beatles entdecken. Aber wir sind keine stilistischen Vorbilder wie

Madonna.



Würden Sie mit der nicht mal auf Tour gehen wollen?


Tennant: Wir hatten bereits ein Angebot. In den 80er Jahren fragte sie uns, ob wir als Vorband bei ihr spielen

wollten. Ich sagte, wir spielen nicht live, woraufhin sie lachte und sagte: Wir doch auch nicht.



Wie wohnen Sie eigentlich, wenn Sie nicht auf Tournee sind und in Hotelzimmern leben müssen? Ist Ihr Haus so

minimalistisch, wie Sie das im neuen Lied ‘Minimal’ beschreiben?



Tennant: Nein, ‘Minimal’ nimmt den vorherrschenden Einrichtungsstil unserer Tage aufs Korn. Wenn Sie in ein

schickes Hotel gehen und auf dem Tisch liegt eine Schale mit nur einem Apfel darin. Nicht zwei, nicht drei, nur

einer! Nach dem Motto: So kommen wir um Blumen im Zimmer herum.



Wie beschreiben Sie dann Ihren eigenen Wohnstil?


Tennant: Als unaufdringliche Gemütlichkeit.



Was bedeutet?


Tennant: Keine Holzfußböden! Ich bevorzuge Teppiche. Sie machen weniger Krach und sehen wärmer aus. Ich bewohne

ein Haus aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Fenster sind noch original erhalten, es zieht manchmal, da brauche

ich einen Boden, der Wärme ausstrahlt.



Wie wäre es damit, die Fenster zu wechseln?


Tennant: Um Gottes willen. Dann habe ich so häßliches Doppelglas im Haus. Niemals! Damit würde ich mich unwohl

fühlen. Ich brauche Gemütlichkeit. Mein erstes Haus besaß sie nicht, also verkaufte ich es. Zu viele Holzfußböden.


Lowe: Da stand auch dieses schreckliche unbequeme Biedermeier-Sofa.


Tennant: Ich liebe Biedermeier, obwohl es eine der Vorläufer-Richtungen für Minimalismus war und sehr modern

aussieht. Helles Holz und dunkle Polster. Aber wenn Biedermeier eines nicht ist, dann gemütlich. Als ich das Sofa

noch hatte, saß ich die ganze Zeit nur auf dem Fußboden – wie ein alter Hippie.


Lowe: Ich bevorzuge es moderner: mit viel Holz, Glas und Stahl. In meiner Wohnung steckt viel High Tech. Das

Fenster über meinem Bett etwa ist hydraulisch. So kann ich es im Liegen öffnen und unter den Sternen einschlafen.


Tennant: Und mit dem Londoner Regen aufwachen. Sehr schön.



Viele Popmusiker sind Vegetarier, essen nur asiatisch oder beschäftigen einen Privatkoch. Wie wichtig ist Ihnen

Essen?



Lowe: Als ich Neil kennenlernte, konnte ich nicht glauben, wieviel Wert er darauf legte. Für mich war das eine

Sache, die man hinter sich bringen mußte, um dann saufen und tanzen zu gehen. Nicht so Neil. Wenn wir ausgingen,

trafen wir uns in einem kleinen Restaurant, aßen, redeten stundenlang, und plötzlich meinte Neil, es sei Zeit,

nach Hause zu gehen. Ich dachte immer: Moment mal, wir waren noch gar nicht im Club!



Klingt nicht typisch britisch.


Tennant: So ist es bei mir aber gewesen, seit ich sehr jung war. Essen bedeutete: mit anderen Leuten soziale

Kontakte zu pflegen. Ich weiß noch, als ich meinen ersten Job bei Marvel Comics hatte, gingen wir danach in

irgendwelche billigen Restaurants in Knightsbridge, wir mußten unseren Wein selbst mitbringen und redeten einfach

bis Mitternacht.



Sagten Sie nicht vorhin, Sie seien ständig in Clubs gegangen?


Tennant: Das begann erst, als ich in den 80er Jahren beim Musikmagazin ‘Smash Hits’ arbeitete. Ich wurde überallhin

eingeladen, mußte nie etwas bezahlen und konnte alles als Spesen absetzen. Wenigstens viermal pro Woche gingen

wir aus. Aber ich stand jeden Tag um acht Uhr auf, um zur Arbeit zu gehen.



Respekt. Was ist Ihr Rezept gegen Kater?


Tennant: Stehen Sie ein wenig früher auf, trinken Sie ein Glas Tomatensaft, essen Sie ein englisches Frühstück

mit Schinken, Eiern, Pilzen, Würsten und gegrillten Tomaten, legen Sie sich dann noch einmal hin – und wenn Sie

dann aufstehen, trinken Sie eine starke Tasse Kaffee.


Lowe: Klar, und alles vor acht Uhr.



Verstehen Sie, daß manch einer Vorbehalte gegen so ein Rezept hegt – gerade wegen des englischen Frühstücks?


Tennant: Es gibt nichts Furchtbareres als ein englisches Frühstück in einem schmierigen Café. Wenn Sie mir nicht

trauen, gehen Sie mal ins ‘Wolseley’, gleich neben dem ‘Ritz Hotel’ in Mayfair. Ein neues, angesagtes Restaurant,

und dort haben sie ein phantastisches Frühstück.



Dieses Jahr redet die ganze Welt von Fußball. Sie auch?


Lowe: Nicht mehr wie früher. Ich habe zwar eine Saisonkarte für Arsenal London, gehe aber nur ganz selten hin.



Haben Sie sich jemals einen Nachmittag im Fußballstadion angetan, Mr. Tennant?


Tennant: Sogar zwei. Das erste Mal in den 60er Jahren – Newcastle gegen Manchester.


Lowe: Du willst sagen, du hast George Best gesehen?


Tennant: Deshalb bin ich hingegangen. Ich habe mir einfach eingeredet, ich gehe auf ein Popkonzert und sehe George

Best live. Was für eine Idee! Ich war entsetzt, weil ich die ganze Zeit stehen mußte. Damals gab es noch keine

Sitzplätze in Stadien. An George Best habe ich keine Erinnerung.



Und das zweite Mal?


Tennant: Das war in den 70er Jahren, als ich bereits in London lebte. Ein Freund und ich kamen von unserer

samstäglichen Shopping-Tour nach Hause, damals lebten wir in Tottenham – und wir dachten: Ach, warum schauen wir

uns nicht mal ein Fußballspiel an?



Hat es Ihnen dieses Mal gefallen?


Tennant: Wir fanden es todlangweilig und sind nach der ersten Halbzeit gegangen. Seitdem ist mir jedes Spiel

herzlich egal.

Taken from: Welt am Sonntag
Interviewer: Ulf Lippitz