Maden in der Discokugel

Ihr kommender Auftritt in Wien könnte eine der letzten Gelegenheiten sein,


die Pet Shop Boys als das einzige in ungebrochener Kontinuität bestehende


Synthpop-Phänomen der Achtziger zu erleben.




Nichts Außergewöhnliches – so lautete das einhellige Urteil der abgeklärten Pop-Rezeption, als letztes Jahr

das neue Pet-Shop-Boys-Album Nightlife’ erschien: refrainlastiger Synthpop mit reichlich Dance-Appeal und

melancholischem Einschlag, dieselbe alte Sause eben. Doch wie so oft hörten die geschulten Ohren leichtsinnig

darüber hinweg, was unter der radiofreundlichen Oberfläche von ‘Nightlife’ vor sich ging. Die erste Nummer des

Albums, ‘For Your Own Good’, mochte von ihrem populistischen Technobeat her wie eine akustische Postkarte vom

Ibiza-Urlaub klingen, textlich aber trug sie die leisen Vorwürfe des zu Hause gebliebenen Adressaten in sich,

der gedankenverloren das sonnige Foto der barbusigen Schönheit mit dem Eisstanitzel zwischen den Brüsten an

die Kühlschranktür heftet. ‘Zu deinem eigenen Wohl, ruf mich heute Abend an’, singt die verhallte Stimme Neil

Tennants suggestiv ins Ohr des entrückten Abtänzers, das Leben ist nicht einfach. ‘Warum bleibst du nicht bei

dem Geliebten, den du brauchst, statt bei dem Teufel, den du bezahlst?’ Wer sagt da, im Universum der

Pet Shop Boys habe sich nichts verändert? Die ernüchternden Vorhaltungen von ‘For Your Own Good’ scheinen sich

direkt an den Protagonisten von ‘Discoteca’, dem Opener des Vorgängeralbums ‘Bilingual’ (1996) zu richten.

‘Ich gehe aus und mach weiter wie normal’, hieß es damals, ‘¿Hay una discoteca por acqui?’ Während zu ‘Bilinguals’

Zeiten enthemmte Raver noch frei nach Irvine Welsh die balearische Befreiung von der Monotonie des

Arbeits(losen)lebens zelebrierten, kriechen in ‘Nightlife’ Ende der Neunziger längst die Maden aus der Discokugel.

Speed, Ecstasy und Koks, die bezahlten Teufel, haben sich nach all den durchtanzten Sommern tief ins Hirn

gefressen, und langsam, aber sicher setzt sich die innere Paranoia gegen die programmgemäße Routine der

Euphorie durch. ‘Nightlife’ ist eine Vertonung des kollektiven Comedowns der abgewrackten chemical generation

– hysterische Tränen auf der Love Parade, oder wie es der Song ‘Closer to Heaven’ sagt: ‘Ich war dem Himmel

niemals näher und niemals weiter von ihm weg.’ Dass die Pet Shop Boys solch unterschwellig düstere Botschaften

mitten ins Prime-Time- Radio hinein lancieren können, weist sie als eine der letzten echten, vielleicht sogar

die letzte echte Popband aus. Neil Tennant, die sprechende und singende Hälfte des Duos, lernte die Drehs der

Publikumsmanipulation einst als Reporter bei Smash Hits, dem britischen Äquivalent zu Bravo. Die kühle Distanz,

die die Pet Shop Boys stets zu ihren Songs wahrten, sorgte dafür, dass sie selbst am Höhepunkt ihrer

Produktionsfrequenz als globale Hitfabrik nie in die Tiefen des Showbiz-Zynismus abglitten. Weder Tennant

noch sein Sidekick Chris Lowe zeigten einen gesteigerten körperlichen Bezug zur eigenen Musik, selbst wenn

hinter ihren unbeweglichen Rücken eine komplette Broadwayshow über die Bühne fegte. Ihre klassischen ersten

beiden Singles, ‘West End Girls’ (1984) und ‘Opportunities (Let’s Make Lots of Money)’ (1985), stellten diese

Entfremdungsebene noch auf konventionelle Weise mittels dritter Person und augenzwinkernder Selbstironie her;

doch über die Jahre entwickelte Tennant ein ‘wandelbares Ich’, das von den Geschichten, die es erzählte –

vielleicht dank seines blasierten Timbres -, immer sonderbar abgehoben zu sein schien. ‘Twentieth Century Blues’,

das vor zwei Jahren von Tennant mitproduzierte All-Star-Tribute an den 1973 verstorbenen Londoner Dandy,

Songwriter und Dramatiker Noel Coward, war ein klarer Verweis auf den eigentlichen Ursprung dieses raffinierten

Spiels mit dem Format. Coward schaffte es schon 1932 – also zu einer Zeit, als noch akute Gefahr bestand, so

wie sein großes Vorbild Oscar wegen seiner Homosexualität ins Gefängnis zu kommen -, ein schwules Liebeslied

wie ‘Mad about the Boy’ zum Allerweltsschlager zu machen. Der hinterfotzige Kunstgriff der Pet Shop Boys,

mit ‘Go West’ der im Wendegeist der frühen Neunziger schwebenden Öffentlichkeit eine Hymne auf das freie

Leben der Schwulen an der amerikanischen Westküste zu verbraten, war ein vergleichbares Meisterstück der

Mainstreamunterwanderung. Wie Neil Tennant im Interview mit dem Falter erzählt, pflegte selbst Prinzessin

Diana die Musik der Pet Shop Boys als rhythmische Untermalung ihrer Aerobic-Stunden zu verwenden:

‘Unsere königliche Familie ist am Ende’. erklärt Tennant. ‘aber eines der wenigen Dinge, auf die wir

Briten uns noch was einbilden können, ist, dass wir furchtbar gut Paraden abhalten können. Die wundervollen

Uniformen und die Bärenmützen, die Wachen und die königlichen Dragoner, die auf ihren Pferden in perfekter

Synchronie einherreiten – alles daran ist größer als im echten Leben, so wie in einem Pet-Shop-Boys-Video.

Diese Kombination von überzeichnetem Glamour und trauriger Musik trägt ein intensives Pathos in sich, das

ziemlich bewegend sein kann.’ Der Vergleich ist berechtigt: Tatsächlich tragen die Pet Shop Boys bei ihrer

laufenden Welttournee nicht nur eigentümlich zeremoniell anmutende Kostüme, sondern auch theatralisches

Make-up und monumentale Perücken – wohl auch, um ergraute Schläfen und herabhängende Tränensäcke zu

kaschieren. Diesmal überlassen Lowe und Tennant es allerdings nicht nur einer Schar von Tänzern, für

Bewegung auf der Bühne zu sorgen; es ist vielmehr die von der exzentrischen Architektin Zaha Hadid

entworfene Bühne selbst, die sich mittels ausgeklügelter Mechanik heben, senken, transformieren und

drehen lässt. Ganz abgesehen von dieser hydraulischen Dekadenz könnte der kommende Auftritt in Wien

auch eine der letzten Gelegenheiten sein, die Pet Shop Boys als das einzige in ungebrochener Kontinuität

bestehende Synthpop-Phänomen der Achtziger zu erleben, ehe Tennant und Löwe sich endgültig einer zweiten

Karriere als Musicalschreiber zuwenden: ‘Eigentlich wird ja erwartet, dass man im Alter Jazzplatten oder

so was macht’, meint Neil Tennant, ‘aber ich bewege mich eher zurück über die Anfänge von Popmusik hinaus,

zu Cole Porter und Ähnlichem. Ich glaube, dass man alt werden und immer noch Songs schreiben und singen kann.

Als wir anfingen, wussten wir nicht wirklich, was wir taten. Wir waren frustriert, weil wir nicht wussten,

wie wir unsere Ideen umsetzen sollten. Jetzt wissen wirs.’

Taken from: Besten Dank an Chris Dahl für diesen Artikel
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