Kasperle kommt zu den Erwachsenen






Popmusik mit Verstand: Bevor die Pet Shop Boys auftreten, ziert der riesige Querschnitt eines Gehirns die Bühne

auf der Bonner Museumsmeile. Bereits im vorigen Jahr machten die Engländer in Bonn Halt, um ihre Vertonung des

Eisenstein-Films ‘Panzerkreuzer Potemkin’ vorzustellen, diesmal boten sie eine wunderbare Pop-Show. Sänger Neil

Tennant ist gekleidet wie ein Zirkusdirektor, Musiker Chris Lowe wie immer mit Kapuzenshirt, Sonnenbrille und

Kappe auf dem Kopf. Sein Keyboard ist das einzige Instrument auf der Bühne, und das kann manchmal sogar ohne

ihn spielen. Für Puristen des Handgemachten ein Graus, doch hier geht es nicht um die Demonstration handwerklicher

Fähigkeiten, sondern um große Unterhaltung.



Die Bühne beherrscht ein riesiger Würfel, der zur Großleinwand auseinander gezogen und bunt beleuchtet werden

kann und natürlich begehbar ist. Bei einem Stück sitzt Tennant darin, ein Tänzer bewegt sich über ihm, es passiert

eigentlich nicht viel, so dass man Zeit hat festzustellen, was für großartige Songs Tennant und Lowe zu schreiben

imstande sind.



Doch besinnliche Momente sind selten, die große Show regiert. Zwei Tänzer in stets wechselnden Kostümen, zwei

Sänger und die großartige Sängerin Sylvia Mason-James sorgen für reichlich Abwechslung. Mal sind sie als goldene

Cowboys verkleidet, dann treten sie in herrlich übertriebenen Phantasie-Uniformen auf (beim neuen ‘Sodom and

Gomorrah show’) – ein Kasperletheater für Erwachsene. Auch der schlechte Geschmack kommt zu Ehren! Bei ‘Dreaming

of the Queen’ laufen im Hintergrund Bilder von Lady Dianas Beerdigung. Zur grandiosen Karnevalsnummer gerät

‘Always on my mind’: zwei riesige Pappköpfe werden hereingerollt und dienen den Tänzern als Bütt. Sie albern

dahinter herum und zeigen eine herrliche Kollektion grotesker Hüte und zum Schluss des Liedes tanzt ein großer

Zylinder über die Bühne.



Das Publikum kann sich kaum entscheiden, ob es lachen, tanzen oder klatschen soll. Musikalisch bieten die Pet

Shop Boys eine Mischung aus Disco-Pop-Hits ihrer über 20-jährigen Karriere und vielen Stücken aus ihrem neuen

Album ‘Fundamental’, die sich gut einfügen. ‘Fundamental’ enthält einige politische Songs wie ‘I’m with stupid’,

einem Lied über die Beziehung von Tony Blair zu George W. Bush. Und so kann man sich nach dem Konzert trefflich

streiten, ob das alles zu platt geraten ist und nicht in den Pop gehört oder ob man froh ist, mehr als

Herz-Schmerz-Texte geboten zu bekommen. Dann sieht man und dann weiß man: das Gehirn auf der Bühne, das hatte

schon seinen Sinn.

Taken from: Kölner Stadt Anzeiger
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