Ihr werdets schon verschmerzen

Aber ja doch, die Pet Shop Boys können es noch: die Pet Shop Boys sein. Was genau das bedeutet und wie ihr aktuelles Album ‘Yes’ uns allen aus der Krise helfen kann.




Aufgemerkt, verehrte Mittelklasse. Neil Tennant hat ihnen etwas mitzuteilen: ‘The bourgeoisie will get over it/ Look at me, Im so over it/ And you will get over it.’ Na, wenn das nicht tröstlich ist. In Zeiten wie diesen, da sich unser vertrautes Leben aufzulösen beginnt, benötigen die Konsumenten Kontinuität und Optimismus. Mehr als ein Vierteljahrhundert Pet Shop Boys garantieren Ersteres. Der Titel ihres neuen Albums ‘Yes’ verspricht Besserung auch für die mittelfristige Zukunft.




Nun waren Neil Tennant und sein Mitstreiter Chris Lowe noch nie in ihrer schon seit 1981 währenden Karriere um markante Slogans verlegen, aber so griffig wie der Titel ihres zehnten Albums ist ihnen bislang noch keiner geraten. ‘Yes’, das steht natürlich auch als grundsätzlicher Gegenentwurf zu einer Tradition in der Geschichte der populären Musik, die vornehmlich ein sattes ‘Nein’ kannte – von der schüchternen jugendlichen Selbstermächtigung des Rock n Roll über die anarchische Verweigerungshaltung des Punk bis zu dem modisch abgesicherten Rebellionssurrogat aus diffuser Alternativkultur und ökologischem Gewissen, das aktuelle Erfolgsbands wie Radiohead oder Coldplay bedienen.




Doch die Pet Shop Boys sagen ‘Yes’. Und betreten nun endgültig eine Sphäre, die bislang ausschließlich Pfarrern, Telefon-Hotlines und Großmüttern vorbehalten war, die des universellen Trostspenders. Wirklich überraschend mag das nicht sein, denn Tennant und Lowe wirken schon seit Jahrzehnten altersweise und ihre Musik stets seltsam erwachsen. Diese systemimmanente Frühvergreisung aber befördert die Pet Shop Boys zweifellos zur Popband der Stunde, befinden wir uns doch schließlich in einem Geschäftsbereich, dessen verbliebene Zielgruppe inzwischen stramm auf die Rente zugeht.




Mit ‘Yes’ demonstriert die letzte große konsensfähige Popband, nach der längst Berliner Clubs benannt werden, noch einmal ihre Kunst, den Spagat zu schlagen zwischen privater Ansprache und Trost für die Massen, zwischen Empathie und Ironie. Diesen Brückenschlag zelebriert das zehnte Album der Pet Shop Boys im Ganzen, im Speziellen aber schon der Beginn der ersten Single ‘Love etc.’. Darin zählt Tennant mit seiner glockenhellen, von keinerlei Arg getrübten Stimme die kapitalistischen Traumvorlagen auf: das tolle Auto und ein Haus in Beverly Hills, Macht und Wohlstand, das alles braucht man nicht, um ein glückliches Leben zu führen – aber es ist, seien wir ehrlich und so leid es ihm auch tut, doch ziemlich hilfreich.




Das Wunder ist, dass man zwar nicht hören kann, wie sich Tennants Mundwinkel bei diesen Zeilen leicht spöttisch verziehen, es aber zu sehen glaubt. Dem mittlerweile 54-Jährigen gelingt es wie keinem anderen, noch die sarkastischsten Wendungen mit nahezu unbewegter Stimme vorzutragen. Die Selbstentäußerung anderer Sänger ist ihm fremd, lieber bildet er mit seinem Gesang eine weitgehend gefühlsneutrale Folie, auf die sich der Hörer selbst einbrennen kann. So wird ein Song wie ‘Love etc.’ ebenso tauglich als kapitalistisches Heilsversprechen wie als distinguierte Distanzierung von ökonomischen Zwängen, funktioniert als zweckgebundener Tanzbodenabräumer so gut wie als sozialkritisches Poppamphlet. Diese entschiedene Ambivalenz war schon immer die hervorstechendste Eigenschaft der Pet Shop Boys, deren Songs bekanntlich in Fußballstadien ebenso gern im Chor gegrölt wurden wie in Schwulen-Clubs, die den ‘Panzerkreuzer Potemkin’ ebenso selbstverständlich vertonten wie ein Musical über homosexuelle Drogendealer. Im weiteren Verlauf von ‘Yes’ beschäftigt sich Tennant ähnlich zwiegespalten mit dem verzweifelten Versuch, das Glamourleben aus den Illustrierten nachleben zu wollen, und natürlich der grundsätzlichen Vergeblichkeit von menschlichen Beziehungen.




In der gewohnt gemütlich pluckernden Begleitung von Lowe findet diese polymorphe Qualität des Duos seine Entsprechung: Die Musik aus strammen Beatbox-Rhythmen und organischen Synthie-Flächen bietet zwar kaum markante Orientierungspunkte, ist aber trotzdem immer als Pet-Shop-Boys-Produkt identifizierbar. In ihrer grenzenlosen Liebe für die glorreichen Zeiten von Eurodance und die Disco von Giorgio Moroder wirkt sie zwar bisweilen sentimental, gewiss auch retrospektiv, trotzdem aber stets auf der Höhe der Zeit, was vor allem an der Verpflichtung von Brian Higgins liegen mag. Der ist Teil des momentan ungemein angesagten Produzententeams Xenomania, die Kylie Minogue modernisierten oder der im TV gecasteten Mädchenband Girls Aloud die musikalische Ausstattung zuliefern.




Diesen Girls Aloud haben die Pet Shop Boys zuletzt die Hitsingle ‘The Loving Kind’ auf die modeldürren Leiber geschrieben, als wären sie nicht drei Jahrzehnte älter als ihre Kundinnen. Aber da ihnen die eigene Aktualisierung immer noch so leicht von der Hand geht, haben sie nun Muße, sich ihrem ersten Ballett zu widmen, das auf einem Märchen von Hans Christian Andersen beruht.




Das Werk soll seine Uraufführung erleben im Sadlers Wells Theatre in London im Jahr 2011. Und bis dahin hat sich die Bourgeoisie vielleicht ja auch wieder ausreichend erholt, um die Ränge des Theaters zu füllen.

Taken from: TAZ.de
Interviewer: Thomas Winkler