Glitzernde Ritter






Solange es die Pet Shop Boys gibt, wird sich die Discokugel weiterdrehen. Auch auf ihrem aktuellen Album ‘Nightlife’

sehnen sich die Pop-Dandys nach ein bisschen Glanz in hässlichen Zeiten. Für ihre derzeitige Deutschland-Tournee haben

sich die Pet Shop Boys noch einmal groß in Schale geworfen.



‘Die hellen Lichter mochte ich immer schon’, sagt Chris Lowe. ‘Wir wollten immer anders aussehen’, ergänzt Neil Tennant.

‘Die neue Platte heißt ‘Nightlife’, weil die Songs reflektieren, wie anders die Menschen bei Nacht sind’, erklären die

Pet Shop Boys, Chris Lowe und Neil Tennant, im Chor. Es gibt Menschen, die schlafen bei Nacht, und die anderen nutzen

die Gunst dieser Stunden. Sie schlagen sich die Nacht um die Ohren. Dort, wo das Licht am hellsten ist. Wo sich der schöne

Schein im Glanz der Spiegelkugel bricht und wo das Licht in Pünktchen seine Krise zieht. In der Disco, wo noch die Hoffnung

besteht auf ein richtiges Leben im falschen. Die Pet Shop Boys sind auch schon da.


In Nächten wie diesen kann ‘Nightlife’ das Leben retten. Auf diesem Album ist die Disco kein schäbiger Ort. Kein

Umschlagplatz für Koks und einsame Herzen. ‘Disco’ ist ein Prinzip. Eine Art, sein Leben zu führen, auch wenn man allein

mit der CD im dunklen Zimmer sitzt. ‘Tanzmusik für Leute, die es hassen, zu tanzen’, hat das ‘Rolling Stone’-Magazin in

einem seiner helleren Momente erkannt.


Es geht um Schönheit als Utopie. Um die nostalgische Sehnsucht einer hässlichen Welt. ‘Nightlife’ ist auch der vergebliche

Versuch, den Ballsaal zu renovieren und Schlager, Motown und Swing mit Beats und Bässen zu retten. Die Pet Shop Boys spielen

mit Streichern und Village-People-Chören. Und dem synthetischen Klatschen tanzfeuchter Hände.



Früher hat man sie für Zyniker gehalten, weil sie Lieder gesungen haben, die ‘Opportunities (Let’s Make A Lot Of Money)’

hießen. Man hat sie links gesehen, als ihr Stück ‘Liberation’ erschien. Und rechts waren sie auch, weil ‘Disco’, im Prinzip,

auf Eliten steht und selektiert. 1981 lernten sich Lowe und Tennant im Plattenladen auf der Londoner King’s Road kennen. Ein

Architekt und ein Journalist beim Teenie-Blatt ‘Smash Hits’. 1985 war ‘West End Girls’ die erste Nummer eins dieses Duos.

Es war das Jahr, als dem Stück ‘Lost In Music’ der Sister Sledge ein Remix widerfuhr, der mit Schuld sein sollte an der

zweiten großen Disco-Welle.


Unbeirrt haben die Pet Shop Boys ihren Liedern dann Namen gegeben wie ‘Discoteca’, ‘Discovery’ oder ‘Saturday Night Forever’.

Denn im Grunde waren sie auch nur Dandys mit einem liebenswert undogmatischen Hang zum politisch Korrekten. Ihr ‘Go West’ war

mehr als das Remake eines alten Hits. ‘Go West’ galt als Manifest mit einem Clip, in dem die Freiheitsstatue eine Schwarze

war und die Soldaten schwul. Dass sich ‘Go West’ auch als Brüller beim Fußball erwies, ist noch immer einer der schönsten

Pointen der Popkultur.


‘Disco’ ist die Sucht nach einem ästhetischen Wohlbefinden, das ein Leben in Widersprüchen erträglich macht. ‘I Don’t Know

What You Want But I Can’t Give It Any More’ und ‘You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk’ sind zwei schöne Tracks auf

dem Album ‘Nightlife’ von den Pet Shop Boys.


In diesen Liedern sind so seltsame Menschen unterwegs. Wie der Vater nachts im Sex- und Drogenrausch, den niemand so tief

verachtet wie die eigene Tochter mit der Stimme von Kylie Minogue. ‘Disco’ ist alt geworden. Alt und rührend. Und wo früher

ein rotes Samtseil war, das die Uncoolen von den Coolen schied, ist heute ein seltenes Stilgefühl. Die Pet Shop Boys sind

keine Massenband mehr. Darum brechen sie jetzt auf zur größten Tour ihres Lebens mit neun Musikanten und Rechnern und sauteurem

Bühnenkram. Ihr ‘Nightlife’ soll eine Schau sein mit hellen Lichtern und zwei Menschen, die immer anders aussehen als alle

anderen. ‘Happiness Is An Option’, singen die Pet Shop Boys. Womöglich könnten Menschen auch glücklich sein.

Taken from:
Interviewer: Michael Pilz