Fundamentalisten aus der Disco

Die Pet Shop Boys veröffentlichen ihr achtes Album.


Sie liefern pompösen Politpop im Sound der achtziger Jahre




Die Londoner Terroristen torpedierten im vergangenen Sommer auch die Öffentlichkeitsarbeit von Neil Tennant und

Chris Lowe. Die beiden wollten ein Projekt erläutern, in dem Pop und Politik auf merkwürdige Art zusammenliefen:

eine zeitgemäße Filmmusik für Sergej Eisensteins ‘Potemkin’ aus den zwanziger Jahren. Einen cineastisch anerkannten

Propagandaschinken über die mißlungene Revolution von 1905 in Rußland. Das Spektakel debütierte am Trafalgar

Square, dem angestammten Ort des britischen Protestes. Auf der Leinwand meuterten Matrosen mit weit aufgerissenen

Augen, und dazu spielte ein Dresdner Orchester mit den Pet Shop Boys statt die bedrohliche Musik von Dmitri

Schostakowitsch. Um nicht mißinterpretiert zu werden und vor allem, um auf Tour und Platte aufmerksam zu machen,

zeigten Lowe und Tennant sich gesprächsbereit. Am Morgen vor dem Interview gingen die Bomben hoch. Danach klagte

Neil Tennant: ‘Wie soll ein Musiker heute politisch sein? Wie soll er etwas singen gegen die Verhältnisse, gegen

den Krieg? Und das dann auch noch in London vor Promis aufführen, übertragen von der BBC?’



In der vergangenen Woche fand die Prominenz um Elton John und Robbie Williams sich im Mermaid Theatre von London

ein. Sie wohnte der Konzertpremiere der zwölf Songs von ‘Fundamental’ bei, einem Politalbum der Pet Shop Boys.

Die BBC schnitt mit und strahlt es Ende Mai im Radio aus. Man muß das Duo nicht mit Wankelmut und Widersprüchen

konfrontieren. Lowe und Tennant sind seit 21 Jahren klug genug, den Mutwillen im Werk zu kultivieren. Einen

trockenen Witz hätte Chris Lowe, der Stoiker am Keyboard, dafür übrig. Anschließend hielte Neil Tennant einen

schneidenden Vortrag, der von den bewegten Studienjahren in den frühren Siebzigern handelte, von Margaret Thatcher,

Punk und Pop, von Unbehagen aber zweifelhaften Utopien, und zur völligen Entwaffnung seines Gegenüber schlösse

Tennant grinsend mit einem Zitat Bob Dylans.



Aber diesmal singt er davon, und Chris Lowe entwirft hierzu den nötigen Pomp. Die Pet Shop Boys erinnern an das

vorige Jahrhundert, darauf weist das Klangbild deutlich hin wie auch die Lyrik: ‘Sometimes the solution’s worse

than the problem’, heißt es in ‘Twentieth Century’. Mitunter sei die Lösung furchtbarer als das Problem. ‘Let’s

stay together’, schlägt Neil Tennant vor, laß uns zusammen bleiben. Nicht nur Sound und Stimme schließen aus,

daß man die Songs der Pet Shop Boys mit anderen verwechselt, sondern auch die Weise ihrer Wendungen. Mit einer

Zeile brechen sie das große Ganze auf das Maß des Menschlichen herunter. Utopien sind unmöglich, Trost liegt in

der Zweisamkeit. Vielleicht.



So sehr die Rockmusik mit ihren Gruppen und Giganten, der durch Schweiß symbolisierten Ehrlichkeit und ihrer

Garderobenrebellion seit ihren Anfängen verspricht, was sie nicht halten kann, werden die Pet Shop Boys zu ihrer

eigenen Freude unterschätzt. Sie waren niemals unpolitisch. Häufig waren ihre Hits sogar politischer als die

Protestsongs ihrer jeweiligen Zeit. ‘Suburbia’ und ‘Opportunities (Let’s Make Lots Of Money)’ oder ‘King’s Cross’

lieferten den Alltagsblues des Thatcherismus. Ihre Neigung, allen Zorn sehr britisch, also höflich musikalisch zu

umkleiden, hat ihnen die Zuneigung von Snobs und Hausfrauen beschert und den willkommenen Haß des Rock ‘n’ Roll.

Taken from: Die Welt
Interviewer: Michael Pilz