Frischer Sound für einen Protestfilm






plan.F: Letztes Jahr haben die Pet Shop Boys vor 25000 Zuschauern auf dem Londoner Trafalgar Square einen neuen Soundtrack zu Eisensteins ‘Panzerkreuzer

Potemkin’ uraufgeführt. Was war das für eine Veranstaltung?



Neil Tennant: Phillip Dodd, der Direktor des Londoner Institute of Contemporary Arts, bekam das Angebot, im Sommer 2004 auf dem Trafalgar Square einen

Event zu organisieren. Er entschied sich dafür, ‘Panzerkreuzer Potemkin’ zu zeigen, weil das ein Film über Protest ist und der Trafalger Square wiederum

der traditionelle Austragungsort von Demonstrationen – ein Protest-Platz, wenn man so will. Der live gespielte, neue Soundtrack sollte für eine besondere

Note sorgen.



plan.F: Nun gehen Sie mit dem Film sogar auf Tour: Was genau hat Sie daran interessiert?



NT: Das Neuland. Wir haben ja noch nie einen Soundtrack gemacht. ‘Panzerkreuzer Potemkin’ ist zudem ein erstaunlich frisch wirkender Film: Casting, Schnitt,

der Stil der Schauspieler – nichts daran sieht aus wie alte ‘Laurel & Hardy’-Filme. Wir haben uns deshalb für einen sehr modern klingenden Soundtrack

entschieden.



plan.F: Sie spielen Ihre Stücke zusammen mit den Dresdner Sinfonikern – auch für die demnächst erscheinende CD. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit?



NT: Wir wollten zwar einen frischen, elektronischen Sound – aber auch ein Streichorchester. Vor zwei Jahren, als wir mit dem Projekt anfingen, begeisterte

mich gerade ‘Mein Herz brennt’. Das ist eine avantgardistische Neuvertonung des Rammstein-Liedes von dem Komponisten Thorsten Rasch und den Dresdner

Sinfonikern. In England wurde viel darüber geschrieben. Deshalb haben wir mit Sven Helbig, dem Produzenten und Gründer des Orchesters, Kontakt aufgenommen.

Das war eine gute Entscheidung, die Musik ist viel besser geworden.



plan.F: ‘Panzerkreuzer Potemkin’ gilt als Propagandafilm. Teilen Sie diese Einschätzung?



NT: Ich sehe das eher als einen idealistischen Film über Widerstand und Protest. Es geht um eine Meuterei, der ein Protest folgt, dem ein Massaker folgt,

dem eine Flucht folgt. Und am Ende weigert sich die russische Flotte, auf die eigenen Kameraden zu schießen – das ist der utopische Aspekt.



Chris Lowe: Der Film war wohl ursprünglich als Propaganda gedacht, aber das heißt nicht, dass die Bedeutung heute noch die gleiche ist. Es ist auch ein

Film über Menschen, die sich zur Wehr setzen.



NT: Es ist jedenfalls nicht ‘Triumph des Willens’ oder Eisensteins ‘Oktober’, in dem sie mehr vom Winterpalast zerstört haben als bei der eigentlichen

Revolution. Das ist ein Propagandafilm.



plan.F: Dass die Pet Shop Boys schwul sind, ist kein Geheimnis. Einige Filmwissenschaftler behaupten, auch Eisenstein sei homosexuell gewesen – wie sehen Sie das?



NT: Ich glaube, einer der Gründe, warum Philip Dodd bei der Neuvertonung an die Pet Shop Boys dachte, ist genau diese Vermutung. Aber ich bin mir da nicht so

sicher, ob Eisenstein selbst sich als gay beschrieben hätte. Ganz so einfach ist es meiner Meinung nach nicht. Als wir den Film zum ersten Mal sahen, fiel mir

allerdings auch die Szene mit den Matrosen auf, die mit nackten Oberkörpern schlafend in ihren Hängematten schaukeln. Aber ich denke, das ist die einzige

homoerotische Szene des Films. Am Ende gibt es noch eine leidenschaftliche Umarmung, aber die ist doch eher kameradschaftlich.



plan.F: Gibt es einen besonderen Grund, dass Deutschland vor allen anderen Ländern in den Genuss der Film-Konzerte kommt?



NT: Als wir in Berlin den Soundtrack aufgenommen haben, gaben wir einige TV-Interviews. Eins davon lief sogar in den ZDF-Nachrichten. Dieses Interesse hat uns

überrascht. Bei dem Konzert am Trafalgar Square waren ebenfalls zwei oder drei deutsche Nachrichtenteams – und kein einziges britisches. Bei Ihnen weiß man einen

popkulturellen Event wie diesen offensichtlich eher zu schätzen. Andererseits haben wir mit Ausnahme einer zynischen Besprechung im ‘Guardian’ auch in den

britischen Zeitungen fantastische Kritiken bekommen. Es ist eben schon außergewöhnlich, wenn sich 25.000 Menschen zusammen einen Stummfilm anschauen.



plan.F: Sind es nicht eher die Pet Shop Boys, die die Menschen anlocken?



NT: Keine Ahnung, aber das Programm heißt definitiv nicht ‘The Pet Shop Boys Greatest Hits’. Unsere Auftritte werden exakt eine Stunde und 20 Minuten dauern.

Das ist perfekt und funktioniert hervorragend.

Taken from: Frankfurter Rundschau
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