Es steckt viel Tod in dem Album

Lösen sich die Pet Shop Boys möglicherweise

nach 27 Jahren Bandgeschichte auf?

Thomas Venker und Roland Wilhelm trafen

Neil Tennant und Chris Lowe zum Gespräch,

um diversen Abschieds-Hinweisen auf ihrem

neuen Album »Elysium« nachzugehen.




Denken die Pet Shop Boys manchmal darüber nach, wie viele Leute jedes Wochenende eine gute Zeit zu ihrer Musik haben?


Neil Tennant: Nein, aber neulich haben wir gehört, dass letztes Jahr an Silvester im Berghain mit einem Song von uns die Party beendet wurde. Das ist schön. Noch schöner ist die Geschichte, dass mal auf einer Party im Berghain vier Mixe von uns nacheinander gespielt wurden und der Erzählung nach alle Gäste wie wahnsinnig dazu gefeiert haben.





Der Titel des neuen Albums, »Elysium«, bezieht sich auf die Insel aus der griechischen Mythologie, auf die die Götter jene Menschen entsenden, denen sie das unendliche Leben gönnen. Habt ihr euch das eurer Einschätzung nach mittlerweile auch verdient?


T: Das ist eine schöne Lesart. Der Titel kommt jedoch vom »Elysian Park« in Los Angeles, wo wir mal eine tolle Fotosession in der darin gelegenen Palmenallee gemacht haben. Wir wollten mal nicht so einen typischen Pet-Shop-Boys-Titel verwenden, sondern einen, der den Eindruck vermittelt, das Album sei schöner und reflektierter als die anderen. »Elysium« funktioniert überall, es ist das gleiche Wort in Frankreich, Deutschland und Spanien – außer in Russland! Die Interpretation mit der griechischen Sage ist aber nicht schlecht und irgendwie auch passend. Es steckt viel Tod in dem Album, aber in einem liebevollen Sinne, nicht in einem depressiven. Der erste Song des Albums, »Leaving«, handelt vom Ende einer Beziehung und vergleicht dieses mit dem Tod einer Person. Aber wenn jemand stirbt, dann lebt ja die Erinnerung an ihn weiter: Wenn also Sterbende nicht wirklich sterben, da wir sie in unseren Erinnerungen lebendig halten, wie könnten dann Beziehungen völlig enden?



Wie kam es zu diesem ernsten Thema?


T: Durch den Tod meiner Eltern. In den letzten fünf Jahren bin ich sozusagen zur Waise geworden.


Chris Lowe: So kann man es auch sehen!


T: Nicht wahr? Ich habe zu meiner Schwester gesagt, dass wir jetzt Waisen sind.


L: Aber muss man nicht ein Kind sein, um zur Waise zu werden?


T: Ja, aber irgendwie stimmt es trotzdem.



Wie kommt es, dass die Musik diesmal trotz des traurigen Themas wärmer ausgefallen ist? »Elysium« ist ein schönes, ausgeglichenes Popalbum, das ein wenig an »Behaviour« erinnert, euer Album von 1990.


T: Was die Songs angeht, sehe ich den Vergleich nicht, aber wenn ihr von der Stimmung des Albums sprecht, dann kann ich das nachvollziehen. Wir wollten immer schon ein melancholisches Pop-Album machen im Stil von so etwas wie Miles Davis’ »Kind Of Blue«. Als wir an die Auswahl der Songs gingen, haben wir »Winner«, was später die erste Single wurde, übrigens zunächst verworfen. Die ersten beiden Songs, die für das Album feststanden, »Requiem In Denim And Leopardskin«, der einst für unser Album »Yes« geschrieben wurde, und »Leaving«, der bereits 2010 entstand, haben die stilistische Tendenz vorgegeben. Dann entstand »Invisible« – und ab da ahnten wir, dass wir ein ganzes Album so machen könnten.



Worum geht es denn im Song »Invisible«?


T: Ich hatte in einer Zeitung den Kommentar einer Frau gelesen, die davon sprach, dass man als Mittvierzigerin auf einer Party gleich unsichtbar sein könnte, da einen niemand mehr wahrnimmt. Na ja, und es ist doch das Gleiche für Männer wie uns in einer Kultur, die so stark die Jugend verehrt. Chris, was war noch mal deine Idee zum Song?


L: Die gleiche: Er handelt vom Älterwerden.


T: Natürlich ziehen die Leute Parallelen zur Popkultur. Für Radio 1 in England sind wir unsichtbar geworden, sie spielen uns nicht mehr. Zum Glück spielen uns aber andere Stationen sehr gerne.



Damit sprecht ihr die veränderte Wahrnehmung einer gealterten Band an. Ein Motiv, das auf dem Album auch im Stück »Your Early Stuff« vorkommt, in dem sich ein Popstar damit rumplagen muss, dass anscheinend früher alles an ihm besser war.


T: Der Song basiert auf den Kommentaren, die ich in London von Taxifahrern bekomme. Sie sagen immer alle: »Oh, du bist von den Pet Shop Boys, ich mag noch immer einige eurer frühen Songs.«



Bei unserem letzten Gespräch habt ihr uns folgende, hier passende Headline für den Artikel empfohlen: »After being around for twenty years, how come they are still making great pop records.«


L: Das haben wir diktiert? Das gefällt mir.


T: Mit jeder Platte, die man macht, muss man sich härter rechtfertigen. Es droht immer die Gefahr, in die Bedeutungslosigkeit abgeschoben zu werden. Ich kann dazu nur sagen: Wenn du alle Pet-Shop-Boys-Songs in iTunes durcheinandermischst, dann zeigt sich, dass jede Platte lebendig in ihrem eigenen Sinne ist, sie bei aller Ähnlichkeit immer auch ein Alleinstellungsmerkmal hat.



Zumal: Was heißt alte Band heute denn auch schon noch? Mittlerweile ist es ja so, dass sich die Bands bereits mit dem zweiten Album rechtfertigen müssen, noch da zu sein, wenn nicht gar nach dem zweiten Monat.


T: Stimmt, und nicht nach dem elften Album. Da fällt mir noch eine Taxifahrer-Episode ein.


L: Schon wieder? Du weißt schon, dass man das Mikrofon im Taxi ausmachen kann?


T: Ja, ich mache es in der Tat öfter aus. Ich spiele dann gerne vor, dass ich einen Anruf bekomme. Aber was ich sagen wollte: Der Taxifahrer meinte zu mir, dass man mit einer Band wie den Pet Shop Boys immer populär sein wird. Ein gutes Statement, ich hätte es für das Songende aufnehmen sollen.



Mit den Jahren habt ihr ja nicht wenige Platten verkauft. Auf Wikipedia wird eure Gesamtverkaufszahl aktuell mit 100 Millionen Platten angegeben.


T: Das stimmt nicht, es sind eher so 50 Millionen.


L: Niemand checkt irgendwas in der Musikindustrie, du kannst schreiben, was du willst.


Ist ja auch egal, ob ihr nun 50 oder 100 Millionen verkauft habt, was wir eigentlich fragen wollten: Interessiert ihr euch noch für eure Verkaufszahlen?


T: Ich schon.


L: Was, du checkst unsere Verkaufszahlen? Wie denn?


T: Ich lese das Statement.


L: Wir bekommen Statements?


T: Oder ich frage unseren Manager.



»Elysium« hat zwei Hauptmotive. Zum einen den großen Komplex aus Leben, Beziehungen und Liebe und dann das, was wir mal den Rücktritts-Komplex nennen wollen. Letzterer wird gespeist durch etliche Textstellen. Zum Beispiel heißt es in »Requiem In Denim And Leopardskin« so treffend »last chance for goodbye«.


T: Also das mit dem Rücktritt kann ich ausschließen. Das haben wir nicht mal angelegt in den Texten, das haben die Leute, auch ihr, reingelesen. Es geht wie gesagt um den Tod, um das Vorbeiziehen der Zeit, das Altern.


Dann sind wir ja beruhigt. Wird das Songschreiben denn leichter mit dem Alter?


T: Das Wort würde ich nicht benutzen wollen. So fühlt es sich nicht an. Es ist jedoch schon so, dass es mir zu Beginn unserer Karriere schwierig erschien, für immer Inspiration zum Schreiben zu finden. Diese Ängste habe ich nicht mehr. Vielleicht ein Fehler von mir?



Bei einem Song-Katalog wie dem euren entstehen beim Hören viele Referenzen, musikalische und textliche. Verstärkt durch den Gedanken an das potenzielle Bandende, haben wir uns geradezu schwindelig gehört an solchen Verweisen auf dem neuen Album. Geht nur uns das so, oder hört ihr auch dauernd diese kleinen Zitate aus euren früheren Platten?


T: Wahrscheinlich stimmt es. Wir benutzen manche Sounds in der Tat immer wieder. Auf jeder Platte gibt es beispielsweise einen Song mit einer sehr hohen Sopranstimme. Das geht auf die ersten Aufnahmen mit dem Produzenten Bobby O in New York zurück. Damals arbeitete man mit dem E-Mu Emulator I, der diese spezielle pure, chorale, magische Stimmung kreiert.


L: Ich habe gerade erst wieder so einen Emulator gekauft. Auf dem nächsten Album arbeiten wir also vielleicht wieder mit ihm. Er ist ein großartiges Keyboard, so direkt.


T: Und er klingt wie jedes gute Equipment billig und laut. Billige Sounds stechen immer heraus, ich weiß nicht, woran das liegt. Billige Samples setzen sich durch. Auf der Originalfassung von »West End Girls« – wir waren allein im Studio, als Bobby O Besseres zu tun hatte – haben wir String- und Tiersamples reingemischt. Fantastisch.



Auf der B-Seite der ersten Singleauskopplung »Winner« covert ihr »I Started A Joke« der Bee Gees …


L: Oh, ihr seid die Ersten, die das ansprechen.


T: Es ist ein Tribute an die Bee Gees. Wir haben den Song früher gerne auf unseren Touren gespielt, wenn die Leute die Halle verließen. Wusstet ihr, dass der Song damals nicht mal als Single veröffentlicht wurde? Ich habe ihn erst auf Radio Luxemburg entdeckt. Ich weiß noch, dass ich mich damals geärgert habe, dass das Stück von ihnen ist. Einen Song der Bee Gees mögen – oje.


L: Robin Gibb klang immer, als ob er jeden Moment zusammenbricht. Ich liebe seine Stimme. Jeder Song von ihm klingt nach Nervenzusammenbruch.


T: Habt ihr den Song denn ganz gehört?



Nein, das geht bislang leider nicht, er ist nur in der Amazon-Vorschau verfügbar.


T: Ist es nicht ironisch? Man produziert einen Song, und das Erste, was die Leute hören, ist ein beliebiger 20-Sekunden-Ausschnitt.


L: Wer wählt die 20 Sekunden aus?


T: Jemand bei Amazon. Wahrscheinlich jemand, der es nicht gehört hat.


L: Ich war immer ein großer Bee-Gees-Fan. Der Tod von Robin ist sehr traurig.


T: Wir trafen die Bee Gees 1988 bei den Brit Awards das erste Mal. Sie fragten uns damals, ob wir sie produzierten wollten. Das war just zu dem Zeitpunkt, als wir mit ihrem bisherigen Produzenten Arif Mardin zusammenarbeiten wollten. Wir fragten also, was mit dem denn falsch sei. Statt uns das zu erklären, wollten sie uns aber ständig nur überreden. Aber wir waren zu schüchtern.


L: Allein die Vorstellung, dass wir die Bee Gees produzieren könnten …


T: Wir trafen Barry und Robin Gibb dann 2003 in Hamburg wieder, als uns bei dem World Award der Preis in der Kategorie »Arts« von Michail Gorbatschow verliehen wurde. Das war kurz nach dem Tod von Maurice, und wir bekamen den Award, den zuvor so Leute wie Paul McCartney und Michael Jackson bekommen hatten. Mitten im Publikum saß zwischen Karl Lagerfeld und Lech Walesa auch Robin Gibb. Er war sehr mitgenommen, verständlicherweise.



Wo wir über tote Popstars sprechen: Wie ist eure Haltung zu den Hologramm-Auftritten verstorbener Popstars wie Rapper Tupac Shakur beim Coachella Festival oder die TLC-Reunion-Tour mit Left Eye?


L: Take That haben das als Erste gemacht. Als Robbie damals noch keine Reunion mitmachen wollte, hatten sie ein Hologramm von ihm dabei.


T: Das war beeindruckend. Wir haben oft darüber nachgedacht, nur als Hologramme zu touren. Aus Faulheit, und natürlich auch, da es ein großartiges Konzept ist.


L: Ich habe mir diese Frank-Sinatra-Show angeschaut. Die arbeiten zwar nicht mit Hologrammen, aber zu einem Liveorchester wird Sinatra mit Stimme und Bildern eingespielt. Es funktioniert überraschenderweise, man hat danach das Gefühl, ein echtes Frank-Sinatra-Konzert erlebt zu haben. Er spricht sogar zum Publikum.


T: Die Antwort auf die Frage ist also: Wir haben kein Problem damit.



Apropos Take That: 2011 wart ihr überraschenderweise einen Monat im Vorprogramm der britischen Popband unterwegs.


T: Es war fantastisch. Die deutsche Perspektive auf die Tour ist aber wohl eine andere als die britische, wenn ich eure Frage richtig verstehe?


Dem ist wohl so.


T: Als wir am Anfang der Tournee in Koppenhagen ankamen, meinte der für die lokale Sicherheit zuständige Mann zu mir, die Reihenfolge sei falsch. Es dürfe doch nicht Pet Shop Boys, Robbie Williams, Take That sein, sondern Take That, Robbie Williams, Pet Shop Boys. Schmeichelhaft. Aber das war der einzige Ort, wo das so war. In England war die Tour ein Phänomen – so erfolgreich, dass amerikanische Veranstalter neidisch wurden auf dieses Take-That-Ding, das sie nicht so recht verstanden. Acht Nächte in London, acht Nächte in Manchester, vier in Glasgow …


Als Take That uns fragten, sagten wir zunächst ab, einfach, da wir so negative Typen sind. Als sie dann nachfragten, warum wir uns das nicht vorstellen könnten, erklärten wir ihnen, dass wir keine Vorband sein wollten. Eine Position, in der sie uns so auch nicht gesehen hatten. Wir sollten ein Teil der Show werden. Das Album, das sie zur Tour mit Stuart Price von Zoot Woman aufgenommen hatten, war ja auch elektronisch angelegt. Wir waren dafür also die passende Band an ihrer Seite. So gesehen klang es praktikabel, und wir sagten zu. Und siehe da: Es war eine tolle Erfahrung, das Ego mal zurückzunehmen. Wir nahmen für die Tournee unsere eigentliche »Pandemonium«-Show als Ausgangsbasis und verkürzten sie auf die besten 45 Minuten. Es lief toll.


L: Bis auf den Regen. Es schüttete wirklich jeden Tag.


T: Der Auftritt in Glasgow war fantastisch. Es hat so heftig geregnet, wir haben nur noch gelacht. Die Tänzer …


L: Es war wie bei einem Wet-T-Shirt-Wettbewerb.


T: Ich dachte nur: »Oh mein Gott, ich singe im Regen, ich bekomme garantiert einen Stromschlag.« Nicht nur, dass es regnete, eine Wolke kam bis runter ins Stadion und legte sich über uns alle.


L: Da wir bis 18 Uhr immer nichts zu tun hatten, haben wir ein mobiles Studio mitgenommen. So produzierten wir auf der Tour vier Songs des Albums.


T: In England wurden wir danach sehr oft auf die Tour angesprochen. So viele Leute haben die Konzerte gesehen. Es war definitiv eine Erfahrung, vor einem Publikum zu spielen, das einen nicht erwartet.

Taken from: Intro.de
Interviewer: Thomas Venker und Roland Wilhelm