Ein Kessel Buntes






Als ein Zirkusdirektor und ein Straßenjunge die Bühne der Frankfurter Alten Oper betreten, denkt man schon, es sei losgegangen. Dass kurz darauf zwei weitere Zirkusdirektoren und Straßenjungs im gleichen Zylinder-Frack-Outfit und in identisch anmutender Baseballkappen-Kapuzenpulli-Kombination aufkreuzen, sorgt dann kurz für Verwirrung: „We all are the Pet Shop Boys“, versichert Frackträger Neil Tennant in seiner unnachahmlich distinguierten Aussprache; die anderen geben sich als Tänzer und Sänger zu erkennen.




Naturgemäß reicht es ja für ein Popkonzert nicht ganz aus, dass einer immer vorgeblich unbeteiligt mit seinem Keyboard in der Ecke steht und der andere schön singt. Auch die raffinierte Lightshow mit Filmprojektionen kann die intendierte Action („an evening of electronic entertainment“) nicht im erwünschten Umfang liefern, weshalb dazu also auch Breakdance getanzt wird. Geliefert wird das volle Programm, mit käferartig Auf-dem-Rücken-Kreiseln und Marionetten-Mann, angereichert mit Elementen aus Marcel Marceaus Pantomime und Figuren, die aussehen wie vom Fernsehballett in der ostdeutschen Show „Ein Kessel Buntes“. Natürlich wirkt das lächerlich, genauso ist es ja schließlich gemeint.


Ein Abend der „Greatest Hits“




Mit „Left On My Own Devices“ ist man musikalisch gleich mitten im Thema: Es wird ein Abend der „Greatest Hits“, eine Revue der allergrößten Erfolge, und man wird den Eindruck nicht los, dass sich die Pet Shop Boys von den derzeit laufenden Musicals über Abba oder Boney M. haben inspirieren lassen. Bevor da also ein Frank Farian oder Andrew Lloyd Webber käme, um die musikalische Karriere der englischen Disco-Pop-Kultband auf der Musicalbühne zu inszenieren, machen die Herren das lieber gleich selbst.




So kommt es, dass im Hintergrund zunächst eine Art Bandenkrieg à la „Westside Story“ simuliert wird: Tänzer in schwarzen Kapuzensweatern führen Rolle rückwärts und Mister Robot vor, gestikulieren wild und verfolgen einander. Eine Sängerin mit opulentem Kopfschmuck und überdimensionierten Schulterpolstern betritt die Bühne. Spätestens dann wähnt man sich in einer Mischung aus „Folies Bergère“ und Karneval in Rio. Tennant schmettert ungerührt sein softestes „Suburbia“, und die Tänzer posieren in sogenannten Bowie-Hosen, diesen weiten Bundfaltenzelten, wie man sie in den Discos der achtziger Jahre zu tragen pflegte, sofern man etwas zu melden hatte. Derweil wechseln im Hintergrund Neonröhren die Farben. Es sieht aus, als sauge man eine grüne Flüssigkeit durch einen pinkfarbenen Strohhalm.




Zu „Shopping“ schlüpfen nun Sänger und Tänzer in Businessklamotten. Sie tragen Nadelstreifen und Hornbrillen, auch noch, als im Hintergrund Bilder von Lady Di’s Beerdigung laufen und die Geigenklänge zuckersüß aus dem Synthesizer perlen. Doch schon wird es wieder schmissig: Zu „Heart“ läuft ein Bursche mit weißen Handschuhen an einer imaginären Glaswand entlang, um schließlich in einem Gezappel zu enden, wie man es in den Stücken von William Forsythe kaum je entfesselter gesehen hat. Der Sound ist mittlerweile so opulent wie bei „Evita“ und einem Queen-Konzert zusammen.


„Lustige Songs mit sozialen Stellungnahmen“




Dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Chris Lowe, die zurückhaltende Hälfte des Duos, seinen großen Auftritt hat. Er steht alleine auf der Bühne, johlt in Fußballchormanier ein ums andere Mal „Paninaro, oh-oh-oh“ und ist davon offenbar so geschafft, dass er sein neongelbes Sweatshirt gegen ein blaues austauschen muss. Die Crew wechselt derweil vom Russenlook mit schweren Mänteln und Pelzkappen zu einer Art Samba-Outfit, um sich zu „You are always on my Mind“ in clowneske Anzüge mit spaßigen, von Refrain zu Refrain wechselnden Kopfbedeckungen (darunter aufblasbare Gitarren oder Blumenbouquets aus Plastik) zu werfen.




Im Hintergrund tanzt ein riesiger Zylinder mit Beinen. Es folgen: goldene Cowboymonturen und Captain-Jack-artige Militärjacken, die mit Glitzerorden übersät sind. Man trägt nun goldene Maschinengewehre mit Blumen in der Mündung und Stahl- oder Wikingerhelm – es ist, als hätten sich Village People auf die Berliner Love Parade von 1992 verirrt.




Ihr Ziel sei es von Anfang an gewesen, „lustige Songs mit sozialen Stellungnahmen“ zu komponieren, haben die Pet Shop Boys einmal über sich gesagt. Popmusik, so das Duo, sei allerdings häufig dumm. Mit einer Show wie dieser, voller Ironie und grotesker Ideen, haben sie das Dilemma geschickt umschifft, ohne es zu ignorieren.

Taken from: FAZ.net
Interviewer: Lotta Görgen