Ein Fall für Zwei

Normalerweise teilt sich das erfolgreichste Popduo


aller Zeiten die Interview-Arbeit: Neil Tennant redet,


Chris Lowe schweigt. Mit PRINZ sprachen beide freimütig über Sex,


Tod, Perücken, das neue Album ‘Nightlife“ und die Tour im Herbst.




Herr Lowe, nach außen treten die Pet Shop Boys fast wie Zwillinge auf: gleiche Frisur, uniforme Kleidung. Was

würden Sie tun, wenn Sie morgens im Körper Ihres Sängers Tennant erwachten?



Lowe: Was für ein Schock! Ich würde in den Spiegel schauen und denken: Mein Gott, ich bin Neil – aber ohne seinen

Verstand.


Tennant: Du müsstest denken, du seist geliftet worden.



Gegenprobe: Herr Tennant, was würden Sie tun, wenn Sie im Körper von Chris Lowe erwachten?



Tennant: Wäre ich in seiner Wohnung? Dann würde ich denken: Verdammt, der Kühlschrank ist leer. Kaffee ist auch keiner

da. Vielleicht würde ich deine Dachterrasse umgestalten lassen, Chris.


Lowe: Macht nichts, die betrete ich ohnehin nie.



Und was würden Sie tun, wenn Sie im Körper von Madonna erwachten?



Lowe: Ich wüsste, was ich täte, aber das verrate ich nicht. Es hat etwas mit bestimmten Gegenden in New York zu tun.


Tennant: Ich würde erst einmal das Personal herbeirufen. Sie wirkt, als ob sie ständig Leute herbeikommandiert. Ihre

Tochter Lourdes käme durch den Raum gelaufen – wie nett, ich könnte endlich einmal sagen: ‘Sei still, Mami muss

arbeiten!“ Dann würde es an der Tür klingeln: der Yoga-Lehrer. Eineinhalb Stunden Power-Yoga. Um neun Uhr am Morgen!

Da gibt es auch keinen Kaffee, das ist klar.


Lowe: Das wäre mir alles zu anstrengend.


Tennant: Der Yoga-Lehrer würde sich wundern: ‘Madonna, was ist los – du hast alles verlernt.“


Lowe: Ob Madonna auch einen ‘Chairman Mao“ von Warhol an der Wand hängen hat?


Tennant: So wie wir beide?


Lowe: Meiner wirkt allerdings ein wenig dreidimensionaler als deiner.



Wie stark ist der Einfluss von Andy Warhol auf die Pet Shop Boys? Sie gelten als die Konzeptkünstler unter den Popstars.



Tennant: Sehr stark. Er hat uns vorgemacht, wie wichtig es ist, die Dinge schlicht zu halten.


Lowe: Sein Humor ist wichtig. Ich glaube, er wollte gerne komisch sein. Ich liebe seine Tagebücher, die sind sehr

unterhaltsam.



Sie haben in Ihrem Stück ‘Shameless“, der B-Seite der Hitsingle ‘Go West“, Warhols berühmten Spruch von den 15 Minuten

Ruhm zitiert.



Tennant: Oh, dieses Lied werden wir auf unserer kommenden Tour spielen. Ein lustiger Song über verzweifelte

Möchtegern-Popstars.



Ist dies, wie Sie einmal gesagt haben, der eine obskure Song, der in Ihrem Konzertprogramm neben den 15 Nummer-eins-

Hits steht?



Tennant: Nein, nein. Dieses Hit-Programm spielen wir nur auf großen Festivals. Auf der kommenden Tournee ist die Musik

sehr gemischt. Natürlich bringen wir viel von unserem neuen Album ‘Nightlife“.



Sie treten oft mit Perücken auf. Ist auch das eine Hommage an Warhol?



Tennant: Die im Video zu ‘I Wouldn’t Normally Do This Kind Of Thing“ waren es. Die Perücken, die wir diesmal tragen,

sind es nicht.


Lowe: Ich mag die Art, wie Warhol Perücken trug.


Tennant: Er tat nicht so, als ob es echtes Haar ist. Das ist wichtig.



Herr Tennant, anlässlich Ihres 40. Geburtstages haben Sie sich als homosexuell geoutet, auch Chris Lowe ist bekennender

Schwuler. Ihr Hit ‘Being Boring“ aus dem Jahr 1990 erzählt von einem Ihrer Freunde, der an Aids gestorben ist. Wie

sehr ist die Krankheit am Ende dieses Jahrzehnts noch ein Thema in der Schwulenszene?



Tennant: Sie ist es definitiv. Auch wir engagieren uns in dieser Frage. Im letzten Jahr wurde ’20th Century Blues“

veröffentlicht, ein Album mit Coverversionen des englischen Songwriters Noel Coward, das ich zusammengestellt habe.

Der Erlös ging an eine englische Aidshilfe-Organisation.



Ihre Fans schätzen an den Pet Shop Boys besonders den britischen Humor, so heißt ein Lied Ihrer neuen Platte ‘You Only

Tell Me You Love Me When You’re Drunk“. Was ist für Sie der ideale Moment, um jemandem zu sagen, dass Sie ihn lieben?



Lowe: Kurz bevor ich komme.


Tennant: Sehr gut! Jeder wird dir glauben.


Lowe: Dann spritze ich ihm ins Gesicht! In Wahrheit sage ich den Leuten nie, dass ich sie liebe.



Was ist der perfekte Drink, um sich zu betrinken?



Lowe: Wodka!


Tennant: Gibt es etwa einen besseren als Stoli? Normalerweise mag ich keinen Schnaps. Ich trinke Wein oder Champagner.

In Russland allerdings musste ich Wodka trinken. Der Wein dort ist schrecklich.


Lowe: Die Russen trinken ihren Wodka wie Wein.


Tennant: Nein, wie Wasser! Wir waren in einem Club in St. Petersburg. Plötzlich kam ein Bote von der Mafia: Er brachte

einen gewaltigen Kübel Eis, darin eine riesige Flasche Wodka. Ein wunderbarer Anblick.


Lowe: Ich kenne noch einen ausgezeichneten Drink.


Tennant: O nein: B-52’s?


Lowe: Absynth. Ich mag das ganze Ritual: der erhitzte Löffel, der Zucker, die Farbe – Azurblau. Man wird sehr schnell

sehr beschwipst. Zwei genügen.



Und was ist der ideale Song von den Pet Shop Boys, um jemandem zu sagen, dass man ihn liebt, wenn man schon betrunken

ist?



Lowe: ‘Only The Wind“.


Tennant: Chris! Das ist ein Lied über Gewalt in der Ehe.


Lowe: Hehehe.


Tennant: ‘Nervously“ wäre sehr geeignet. Das ist so romantisch: Zünd die Kerzen an, trink den Wodka aus.



Vor einigen Monaten ging Elvis Presley wieder auf Tour – über zwei Jahrzehnte nach seinem Tod. Auf einer Leinwand

liefen alte Aufnahmen von ihm, während darunter seine Band spielte. Gefällt Ihnen dieses Konzept? Schließlich haben

die Pet Shop Boys konventionelle Konzerte immer abgelehnt.



Lowe: Oh, davon habe ich gar nichts mitbekommen. So könnte Dusty Springfield, die im Frühjahr gestorben ist, auf

unserer Tour wieder auferstehen.


Tennant: Stimmt, denn wir finden sicherlich keine andere Sängerin, die ihre Strophe in unserem Hit ‘What Have I Done

To Deserve This“ so gut hinbekommt wie sie.



Wäre Dusty Springfield damit einverstanden?



Tennant: Dusty? Sie würde es lieben!


Lowe: Ist es nicht der Traum jedes Bühnenkünstlers, ewig aufzutreten?


Tennant: Sinatra wollte auf der Bühne sterben. Das hat nicht ganz geklappt.



Wo möchten Sie sterben?



Lowe: Im ‘Manumission“, einem Club auf Ibiza.


Tennant: Das ließe sich einrichten! Ich persönlich möchte auf keinen Fall im Krankenhaus sterben.


Lowe: Zu klinisch.


Tennant: Dort riecht es so sehr nach schlechtem Essen.


Lowe: Nach Urin und Desinfektionsmitteln.


Tennant: Nach Tee und Schweiß. All das kann ich nicht ausstehen.


Lowe: Für dich wäre eine Bibliothek das Richtige. Oder eine Buchhandlung.


Tennant: Sehr schön. Ich säße im alten Lesesaal des Britischen Museums. Plötzlich wäre alles vorbei.

Man würde mich finden, zusammengesunken über einem Buch.


Lowe: Ich zöge es vor, beim Sex zu sterben.


Tennant: Nein, da täte mir mein Sexualpartner leid. Ich kannte einmal ein Mädchen, die hatte eine Affäre mit einem

älteren Mann. Der starb währenddessen an einer Herzattacke.


Lowe: Das waren zwei Steife im Bett!


Tennant: Wie peinlich. Was soll der Totengräber denken?

Taken from: Prinz
Interviewer: Sebastian Hammelehle