Wohnblock wird zum Konzertsaal

Revolution ist das Stichwort, unter dem die Prager Straße


in Dresden am 20. Juli firmiert. Die Fassade eines 240 Meter


langen und 37 Meter hohen Wohnblocks wird dann sowohl zur


Filmleinwand als auch zum Konzerthaus umfunktioniert.




Keine geringeren als die Pet Shop Boys Neil Tennant und Chris Lowe nutzen diese Bühne. An der Seite der beiden

Briten – oder besser auf Balkons des Wohnhauses – spielen die Dresdner Sinfoniker die erste „Hochhaussinfonie“

der Welt.



An einem Ort der Revolution ist dann ein Filmklassiker zum Thema zu erleben: Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer

Potemkin“ aus dem Jahr 1925. Die vom Regisseur gewünschte „eigene Musik einer jeden Generation“ zu seinem

Stummfilm wird live vom britischen Pop-Duo, 42 Sinfonikern und einem Solo-Trompeter gespielt. Premiere war

übrigens im September 2004 auf dem Londoner Trafalgar Square.



Der Platz ist gut gewählt. Die Prager Straße in Dresden versprüht noch viel von jenem Architektur-Charme, der

in der DDR in reichlich Beton gegossen wurde. Die breite Straße hin zum Hauptbahnhof der Stadt war aber auch

Schauplatz jüngerer Geschichte. Als am 4. Oktober 1989 Züge mit Flüchtlingen aus der Deutschen Botschaft in Prag

gen Westen durch den Bahnhof rollten, versuchten tausende Menschen, auf die Bahnsteige zu gelangen. Die Prager

Straße wurde damals zu einem Ort der Auseinandersetzung, vier Tage später aber auch zum Wendepunkt in Richtung

gewaltfreie Revolution. Hier entstand spontan die „Gruppe der 20“, die fortan zwischen Demonstranten und

Staatsmacht vermittelte.



Noch verrät Organisator und Sinfoniker-Mitgründer Sven Helbig nicht zu viele Details. Ein Vorteil für die

Veranstalter dürfte sein, dass von den rund 600 Wohnungen des Hauses nur noch etwa 170 bewohnt sind. „Die Mieter,

die noch da sind, haben wir natürlich eingebunden“, erzählt Helbig. Entweder stellen sie ihren Balkon – je einen

pro Musiker – zur Verfügung oder sie knipsen am Abend einfach nur das Licht aus, damit die 300 Quadratmeter große

Leinwand und zwei weitere riesige Projektionsflächen am Haus ohne Beeinträchtigung für den Film und die

Scheinwerfer-Inszenierungen genutzt werden können. „Weil die Leute aus ihren Wohnungen heraus nichts sehen,

bekommen sie von uns Freikarten“, sagt Helbig. So wie die 80-jährige Ruth Blüher, deren Balkon im dritten Stock

wohl ein Musiker „okkupiert“.



Die Nachfrage für das ungewöhnliche Projekt ist groß. Inklusive Vorbestellungen sollen rund 7000 Karten schon ihre

Besitzer gefunden haben, maximal 10.000 Besucher könnte die Prager Straße bevölkern. „Dann wird’s eng“, sagt Helbig.

Einem dürfte das aber recht egal sein. Dirigent Jonathan Stockhammer soll auf einer Hebebühne in 25 Meter Höhe

einen in der Dunkelheit leuchtenden Dirigentenstab schwingen. Die einzige Unbekannte bleiben Wind und Wetter. Doch

alle hoffen auf eine laue Sommernacht, und der Wind müsste schon mit Stärke 9 wehen, um das Projekt zu gefährden.

Gute Vorzeichen für die Prager Straße, wo dieses Mal Musikgeschichte geschrieben werden könnte.

Taken from: Sächsische Zeitung
Interviewer: Torsten Klaus