‘After being around for twenty years –
how come they are still making great pop records?’
So und nicht anders hätte Neil Tennant diesen Artikel nach eigenen Angaben zu seiner Zeit als Journalist bei der englischen Musikgazette Smash Hits betitelt – unser Titel ‘Aunts of Pop’ ist übrigens ein Zitat von Robbie Williams. Nun ist das hier aber Intro, und erfreulicherweise hat sich auch Neil Tennants Rolle geändert, denn vom Verfasser populistischer Phrasen für den Mainstream-Musikfan wurde er zu einem der intelligentesten Köpfe im Popbusiness, zu einem, der den Mainstream aber immer noch mit den eingängigen Hymnen zu bedienen weiß. Und das wieder mehr denn je mit dem neuen Opus ‘Fundamental’, das nach einigen experimentierfreudigeren Alben wieder ganz die alten Pet Shop Boys zutage fördert.
Wir treffen Neil Tennant und seinen Weggefährten Chris Lowe bei einem Interviewmarathon in Köln, einem der größten seit den hektischen Anfangstagen Mitte der Achtziger.
‘Aber das ist okay’, sagt mir Neil, als ich ihn am nächsten Tag noch mal zufällig beim Plattenshoppen im Kölner Kompakt-Laden treffe, ‘weil jeder die neue Platte sehr mag, das macht es recht entspannt.’ Wobei vor allem die Redseligkeit eines Neil Tennant natürlich ein längeres Gespräch, als es in einem solchen Schedule drin ist, wünschenswert gemacht hätte. Aber das ist auch Pop: aus Beschränkungen das Beste machen. Oder war das Punk? Egal. Das Folgende ist eine Aufzeichnung:
20 Jahre Pet Shop Boys – könnt ihr euch rückblickend auf zwei Ereignisse einigen, die ihr für das Schönste respektive das Schlimmste in eurer Karriere haltet?
Neil: Nein, ich glaube nicht. Es kommt mir alles eher gleichförmig vor. Es ist immer schwierig, etwas zu dem Zeitpunkt zu genießen, an dem es passiert, weil man dann normalerweise extrem beschäftigt ist, und wenn man später auf etwas zurückblickt, kann es in einer ganz anderen Art interpretiert werden, als es einem zu dem Zeitpunkt erschien. Zum Beispiel nehmen Journalisten heute oft an, dass Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger jeder die Pet Shop Boys mochte. Aber das stimmt nicht: Wir mussten zeitweilig ganz schön einstecken. Und ‘Being Boring’ war kein Hit! Es war immer eher ein Kampf. Als wir mit der Performance-Show – die heute jeder für eine großartige Idee hält – durch Deutschland tourten, machte der Veranstalter große Verluste damit, sie lief wirklich nicht gut. Also war es nie richtig leicht. Darauf bezieht sich auch die Zeile des Stücks ‘Samurai In Autumn’ vom letzten Album ‘Release’: ‘It’s not as easy as it was / Or as difficult as it could be’ – es war nie so leicht, wie die Leute denken, aber es war auch nie so schwierig, wie man meinen könnte. Es gibt da eine Art Konstanz. Manchmal waren die weniger erfolgreichen Zeiten die schöneren. Die kleine, unaufwändige ‘Release’-Tour machte uns sehr viel Spaß. Wenn man mit einer riesigen Produktion tourt, ist das sehr viel Stress, z. B. wegen der vielen Tänzer, die alle miteinander konkurrieren, und das stellt sich der Kreativität eher in den Weg.
Kann man es lernen, seinen Erfolg zu genießen? Du beschreibst da ja diesen Prozess, dass man eine Platte nach der anderen herausbringt und keine Zeit hat, zu realisieren, was man da eigentlich gerade geleistet hat. Ein großes Problem der menschlichen Natur ist es ja, dass wir immer alles zu schnell vorantreiben. Habt ihr das zu Beginn eurer Karriere auch so empfunden?
Chris: Am Anfang waren wir sehr, sehr beschäftigt, denn der Erfolg passierte so plötzlich, und wir hatten eigentlich überhaupt keine Zeit, zurückzublicken und zu genießen. Es war alles sehr hektisch, das ganze Fliegen und die ganzen Interviews. Man flog tagtäglich Hunderte von Kilometern, machte Promo in Japan und all das. Als es sich dann etwas beruhigte, das war schon toll.
Das neue Album hat eine deutliche politische Ausrichtung. Das fängt schon mit dem Titel an und wird in diversen Bezügen auf das aktuelle politische Weltgeschehen fortgeführt. Habt ihr euch darüber gestritten, ob man so etwas momentan noch machen kann, wo schon Hollywood so polemisch politisiert und Acts wie Green Day mit einem Album wie ‘American Andersdenkender’ riesige Chartserfolge feiern?
Chris: Nun, wir haben erst mal eine Liste gemacht, was wir alles an Themen auf dem Album haben wollten …
Neil: Echt?
Chris: Ich zumindest habe es getan …
Neil: Wir haben uns Notizen gemacht über die Richtung, in welche das Album musikalisch gehen sollte …
Chris: Die wir dann aber geändert haben.
Neil: Richtig. Wir wollten ein Minimal-Electro-Album machen, aber im Endeffekt kamen wir davon ab. Nun, ich finde nicht, dass wir uns von Anfang an vorgenommen haben, ein politisches Album zu machen, und ich halte das Album auch nicht wirklich für politisch. Es ist eher von der Welt von heute beeinflusst, genauso, wie ‘Actually’ das war, das damals auch jeder für sehr politisch hielt – und damit rückblickend vielleicht auch Recht hatte: ‘Shopping’ und ‘Rent’ (‘I love you / you pay my rent’) waren Songs über den Konsumterror jener Tage, ‘King’s Cross’ handelte vom Thatcherism, ‘It Couldn’t Happen Here’ von Aids. Es gibt aber keine politische Agenda auf dem Album, es zeigt nur einige Absurditäten der aktuellen Politik auf.
Wir neigen dazu, Politik mit Humor zu reflektieren, wie die erste Single zeigt, ‘I’m With Stupid’, die von der Beziehung von Blair und Bush handelt, aber so geschrieben ist, als sei es eine Liebesgeschichte über eine Beziehung, für die kein Außenstehender Verständnis hat. Oder ‘Integral’, das sich speziell um die Einführung von ID-Cards [Personalausweisen] und Meldepflicht in England dreht, was uns als eine sehr starke Ausweitung von Kontrolle des Staates über den Bürger erscheint, die wir traditionell in Großbritannien nicht kennen. Es ist diese ‘Big Brother is watching you’-Haltung, die unserer Meinung nach die ganze Beziehung zwischen Staat und Bürger stört. Und es enttäuscht uns sehr, dass sich die Öffentlichkeit sogar dafür ausspricht. Wir halten es für einen sehr, sehr großen Fehler. Gestern erzählte uns jemand, das Stück erinnere ihn an einen Song aus der DDR, der die gleiche Message hatte: ‘If you’ve done nothing wrong / You’ve got nothing to fear.’ Wenn man die Leute auf der Straße befragt, was sie von ID-Cards halten, bekommt man zu hören: Nun, wer nichts verbrochen hat, braucht auch nichts zu befürchten.
Denkt ihr denn, dass ihr mit Musik politisch etwas bewegen könnt?
Chris: Nein, ich denke nicht. Sie drückt nur unsere Ansichten aus und hat nicht die Macht, die Ansichten anderer Leute zu verändern.
Neil: Ich denke schon, dass es mit Humor möglich ist. Z. B. könnte man im Fernsehen eine Szene, in der Bush und Blair zusammen zu sehen sind, mit ‘I’m With Stupid’ unterlegen, was lustig wäre und das Ganze auf den Punkt bringen würde. Generell mag ich es aber nicht, wenn Rockstars versuchen, Politik zu machen. Ich rede hier aber nur von Amerika und England, denn in Deutschland gibt es eine ganz andere Tradition des politischen Liedes, die wir nie hatten. Bei uns funktioniert das einfach nicht. Der einzige erfolgreiche politische Song in der Popgeschichte war wohl ‘Free Nelson Mandela’ [von Special A.K.A.], und das nur, weil er die Person Nelson Mandela in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Ich zumindest hatte vorher noch nie etwas von Nelson Mandela gehört.
Und das war ein reiner Slogan.
Neil: Genau: Free Nelson Mandela! So betrachtet funktioniert er, genau wie ‘Give Peace A Chance’ als Slogan funktioniert. Und auch der ist eigentlich ein apolitischer Song, der nur skandiert: ‘All we are saying / Is give peace a chance.’ Als John Lennon versuchte, mit diesem desaströsen ‘Sometime In New York City’-Album Politik zu machen, war das ein Riesen-Fehlschlag. Und das lag teilweise daran, dass John Lennon nie als extrem Linker überzeugen konnte, solange er in dieser gigantischen Villa residierte.
Chris: Ich erinnere da auch gerne an das Video zu ‘Imagine’ in diesem unglaublichen Anwesen … [lacht]
Neil: ‘Imagine’ ist auch kein politischer Song, er ist ein Ideal, und nur als solches funktioniert er. Und falls er politisch gemeint sein sollte, ist er sehr heuchlerisch.
Denkt ihr, die Beschäftigung mit Politik in der Musik hat auch viel mit dem Alter zu tun? Weil der tagtägliche Kampf mit dem Leben weniger wird?
Neil: Ist das nicht eher umgekehrt? Bob Dylan war in seinen jungen Jahren viel politischer als danach. Ich denke, wenn man älter wird und seine Erfahrungen in der Welt sammelt – und besonders, wenn man viel reist, wie das Pop- und Rockstars tun –, beginnt man zu realisieren, wie ungeheuer komplex diese Welt ist, mit all ihren Trillionen menschlichen Interaktionen, und wie wenig man selbst davon beeinflussen kann. Ehrlich gesagt wird man sich eher der Grenzen der Politik bewusst. Ich würde sagen, dass wir mit ‘Actually’ vor 19 Jahren nicht mehr oder weniger politisch waren als mit ‘Fundamental’, wir sind mit dem Altern auch nicht weicher geworden oder so etwas. Wir haben schon immer softe Stücke und Liebeslieder geschrieben, damals wie heute, und wir haben auch schon immer satirische Stücke aufgenommen.
Und dann kann man ja auch Liebe als politisch ansehen. Es fängt an mit einer Beziehung, und darauf baut sich dann die ganze Gesellschaft auf.
Neil: Genau, das ist auch die Aussage von ‘The Sodom And Gomorrah Show’ [vom neuen Album]: Man kann die Welt als ‘sun, sin, sex, death and destruction’ sehen, und genau so wird sie auch in den Medien und in den Nachrichten zunehmend dargestellt, als wäre das eine aufregende Sache, wie ein Film – und wenn wir uns am Ende des Tages nicht lieben, dann sterben wir.
Stimmt es eigentlich, dass dieser Song zunächst von euch als Single vorgeschlagen wurde, was die Plattenfirma aber ablehnte? Und kann man das nicht vielleicht als eine Art von Zensur ansehen?
Neil: Zensur ist vielleicht ein zu hartes Wort dafür …
Chris: Wir wurden mundtot gemacht! [lacht]
Neil: Wir und Trevor [Horn] dachten schon bei den Aufnahmen, der Song sollte die erste Single werden, weil er einfach großartig ist, sehr eingängig und so, aber als ich dann zur Plattenfirma ging und ihnen den Vorschlag machte, sagten sie nur, sie wollten ‘Minimal’ als erste Single. Ich war ganz erstaunt und sagte, wir würden ‘Sodom And Gomorrah Show’ bevorzugen, doch darauf erntete ich nur mitleidige Blicke, denn offensichtlich hatte ich nicht bedacht, dass ein Stück mit dem Wort ‘Sodom’ im Titel niemals im Radio gespielt würde, v. a. nicht bei BBC Radio 2. Daraufhin entgegnete ich: ‘Aber es geht doch nicht um Analsex!’ – ich bin in solchen Angelegenheiten gerne sehr direkt –, und die Leute von der Plattenfirma wurden ganz kleinlaut. [lacht] Jedenfalls wollten sie nicht, dass es die erste Single wird, auch, weil es sehr lang ist. Ich betone allerdings immer wieder, dass es nur vier Sekunden länger ist als ‘It’s A Sin’, das auch ein sehr langes Stück war und sich trotzdem in Deutschland drei Wochen lang auf Platz eins der Charts hielt. Manchmal versucht man ein Stück fürs Radio zu kürzen, aber genau wie ‘It’s A Sin’ würde auch ‘The Sodom And Gomorrah Show’ nicht mehr funktionieren, wenn man vom Anfang und vom Ende etwas wegnähme. Die Emi bat Queen, einen Radio-Edit von ‘Bohemian Rhapsody’ zu machen, aber sie sagten nur: ‘Mist off!’, und es war zweimal die Nummer eins in den Charts für jeweils zehn Wochen! Und genau wie dieses Stück lebt ‘The Sodom And Gomorrah Show’ von der Entwicklung, die dem Song vom Intro bis zum Outro widerfährt. Dylans ‘Like A Rolling Stone’ war gar so lang, dass es auf zwei Plattenseiten gepresst werden musste, und es funktionierte trotz aller Bedenken seiner Plattenfirma.
Ist es nicht frustrierend, dass 2006 jede Schei*e öffentlich ausgetragen werden kann, ohne dass eine leitende Einflussnahme seitens der Medien feststellbar wäre, sie aber bei so einem Titel reflexartig zuschlagen?
Neil: Letzte Woche gab es auf Channel 4 eine Sendung mit dem Titel ‘The World’s Biggest Penis’, in der es darum ging, wie es ist, mit jemandem zusammenzuleben, der einen gigantischen Penis hat. Es ist schon bizarr, dass man dann solche Probleme bekommt wegen eines Titels wie ‘The Sodom And Gomorrah Show’, das geht mir nicht in den Kopf. Übrigens: Wir waren im Dezember in Köln, um das Album der deutschen Plattenfirma vorzuspielen, und sobald ‘Sodom And Gomorrah Show’ lief, waren sie ganz begeistert, und sie mochten auch ‘I’m With Stupid’ sehr, also entschied im Endeffekt Deutschland über die erste weltweite Single des neuen Albums.
Wo wir vorhin übers Altern spracheNeil: ‘I Made My Excuses And Left’ von der neuen Platte spricht ja sehr offen über das Ende einer Beziehung und den Schmerz, den die Konfrontation mit dem alten Partner mit sich bringt. Ist das etwas, was erst im Alter so richtig zum Tragen kommt, da man ja, wenn man jung ist, immer recht schnell jemand Neues findet?
Chris: Wenn man jung ist, ist die Liebe extremer, sie berührt einen stärker.
Aber bekommt man mit dem Älterwerden keine Angst, nicht mehr die Möglichkeit zu haben, unmittelbar den nächsten Partner zu finden?
Chris: Oh, sie stehen doch alle Schlange! [lacht]
Neil: Ich sehe den Song ehrlich gesagt anders, denn er handelt nicht direkt von mir oder Chris. Der Ausdruck ‘I made my excuses and left’ ist ein sehr journalistischer Ausdruck, er entstammt dem Enthüllungsjournalismus. Wenn der Reporter z. B. endlich mit den Drogendealern ins Geschäft kommt und sie ihm eine Line oder Heroin anbieten, ist das immer die Stelle, an der er schreibt: ‘I made my excuses and left.’ Oder bei Sex-Skandalen. Wenn verdeckte Journalisten berühmte Personen im Bordell aufspüren, schreiben sie diesen Ausdruck immer genau an der Stelle, wenn sie den Blowjob angeboten bekommen. Sie bekommen den Blowjob im Endeffekt nie, sie haben sich immer vorher herausgeredet und sind gegangen.
Chris: Wobei ich mich bei diesen Gelegenheiten immer frage: Warum können sie sich denn nicht erst den Blowjob abholen und dann entschuldigen …? [lacht]
Neil: Der Satz ist also ein journalistisches Klischee. Ich hatte ihn zuerst als Liedtitel aufgeschrieben, und dann kam von Chris die Melodie dazu. Es begann mit der Zeile ‘I’m all alone again’, die mir Chris am Telefon vorsang und die wir gesamplet und im Lied verwendet haben. Chris schrieb dann das Arrangement um diese Melodie. Die Idee dazu kommt von einem berühmten Musikstück aus den Siebzigern vom Komponisten Gavin Bryars, der zufällig eine Aufnahme machte, bei der ein Landstreicher dieses religiöse Lied ‘Jesus’ Blood Never Failed Me Yet’ sang, und der um diese Aufnahme herum ein Streicherarrangement schrieb. Es erschien auf Brian Enos Label Obscure. Als ich mir dann Gedanken darum machte, um was es in dem Lied gehen könnte, hatte ich noch einen anderen Liedtitel im Kopf, ‘Imagine My Surprise’, und plötzlich dachte ich an diese Geschichte über Cynthia Lennon, John Lennons erste Frau, die 1968, als die Beatles ihre spirituelle Phase hatten und viel in Indien waren, aus einem Urlaub in Griechenland zurückkam, und als sie zu Hause ihr Wohnzimmer betrat, saß da John Lennon mit Yoko Ono, die sie nur ansahen. In dem Moment wurde ihr klar, dass das das Ende ihrer Ehe bedeutete. Sie verließ den Raum, und es war vorbei. Und doch ging ihr Leben weiter, sie hatte neue Beziehungen, und somit ist die Aussage des Songs, dass das Ende einer Beziehung nicht zwangsläufig das Ende des Lebens bedeutet, vielleicht ist es sogar der Beginn eines viel besseren Lebens. Aber das Stück ist trotzdem supertraurig. Ich kann mich gut daran erinnern, dass, als ich in L.A. war und Aufnahmen mit diesen beiden Musikern machte, die nur sagten [spricht mit übertriebenem amerikanischen Akzent]: ‘Mist, man, this song is so sad!’ [lacht]
Ihr sagtet vorhin, ihr wolltet ursprünglich ein minimales Electro-Album machen, doch diesen Plan habt ihr fallen lassen. Aus welchem Grund? Und warum habt ihr beschlossen, nach all den Jahren wieder mit Trevor [Horn]orn zusammenzuarbeiten?
Neil: Wir haben den Plan nicht fallen lassen, eher wurden wir fallen gelassen. Wir sagteNeil: ‘Okay, wir machen jetzt ein extrem elektronisches, minimales Album’, aber dann begannen wir auf einmal, all diese epischen Songs zu schreiben. Und so ließen wir einfach alles geschehen. Als die Songs da waren, erschien uns Trevor [Horn]orn als der perfekte Produzent dafür. Dann hatten wir diese Idee: Wäre es nicht großartig, nicht nur eine tolle Pet-Shop-Boys-Platte, sondern auch eine tolle Trevor-Horn-Platte aufzunehmen? Denn Trevor [Horn]orn hat im Grunde noch nicht viele ganze Alben produziert, wenn man mal von den vier Seal-Alben absieht, die ja in einer ganz anderen Liga spielen. Mir fallen da nur ‘Lexicon Of Love’ von ABC, ‘Welcome To The Pleasuredome’ von Frankie Goes To Hollywood und ‘Slave To The Rhythm’ von Grace Jones ein, dann noch The Art Of Noise und kürzlich Belle & Sebastian …
Und natürlich das erste Buggles-Album, ‘The Age Of Plastic’, das er mit Geoff Downes schrieb und das ja eine umwerfende Pop-Platte ist.
Neil: Genau.
Wo wir gerade bei Kollaborationen sind: Bei den Remixern eurer neuen Stücke versammelt sich mit Tiga, Trentemöller, Alter Ego etc. die gesamte aktuelle ‘In-Crowd’ der Club-Produzenten …
Chris: Warum sollten wir auch mit der ‘Out-Crowd’ arbeiten? [lacht]
Nun ja, ich erinnere da nur an Blank & Jones beim letzten Album.
Neil: Oh, Wolfgang Tillmans war da auch ganz entsetzt. Sehr uncool fand er das! [lacht]
Chris: Mit so etwas kann man Schockwellen durch die Welt der Coolness schicken!
Sucht ihr eure Remixer selbst aus, oder kommen die Vorschläge dazu von der Plattenfirma?
Neil [ironisch]: Wer sonst könnte Blank & Jones engagieren! [lacht] Ja, wir wählen sie selbst aus. Parallel zum neuen Album erscheint eine Remix-Platte [‘Fundamentalism’], die auch Arbeiten von zwei Kompakt-Künstlern enthalten wird: Dettinger und Michael Mayer, denn ich liebe das Kompakt-Label. Dann haben wir mit dem Remix von Lobe, einem Engländer, unseren ersten, der in einer Psychiatrie angefertigt wurde, denn Lobe arbeitet dort und hat in seinen Bereitschaftszeiten in seinem Büro einen Remix von ‘Minimal’ angefertigt. Es wird auch ein ganz neues Stück mit Richard X geben, ‘Fugitive’.
Chris: Der Dettinger-Remix von ‘The Sodom And Gomorrah Show’ ist fantastisch!
Neil: Ja, wir sind ziemlich interessiert an Remixen, die nicht unbedingt Dance-Remixe sind, denn wenn sich Leute diese Mix-CDs kaufen, können sie sie eigentlich nie wirklich zu Hause anhören, daher wollten wir auch Mixe zum Zuhören. Der Dettinger-Remix hat zwar auch einen Beat, aber er ist nicht wirklich tanzbar. Es ist ein sehr unheimlicher Mix, Dettinger hat die Akkorde komplett verändert. Vielleicht benutzen wir einige Elemente davon in unserer Live-Show.
Wie hat man sich eure Beziehung abseits der PSB denn eigentlich vorzustellen? Geht ihr auch privat mit euren Partnern gemeinsam essen und aus?
Chris: Das ist eine lustige Vorstellung: Candlelight-Dinner zu viert!
Neil: Eine schöne Sache bei den Pet Shop Boys ist, dass wir diesen großen gemeinsamen Freundeskreis haben. Unsere beiden Schwestern arbeiten auch für uns, dadurch geht es sehr familiär und entspannt zu.
Wählt ihr auch die Leute, mit denen ihr zusammenarbeitet – Fotografen, Videoclip-Regisseure etc. –, aus diesem Kreis aus?
Chris: Nein.
Neil: Wir sind keine Anhänger davon, mit Freunden zusammenzuarbeiten.
Aber Wolfgang Tillmans, der für euch Fotos gemacht hat und auch das Video zu ‘Dry’ drehte, ist ein Freund von euch?
Neil: Ja, er wurde unser Freund. Zu Wolfgang schauen wir im Grunde auf, denn er ist einer der Menschen, die eine genaue Vorstellung davon haben, wie die Pet Shop Boys zu sein haben. Als wir zum Beispiel das Album ‘Disco 3’ machten, wollten wir es ‘London – Berlin’ nennen, aber Wolfgang sagte: ‘Warum nennt ihr es nicht ‘Disco 3’? Denn als Fan würde ich genau das erwarten: einen neuen Teil der ‘Disco’-Reihe.’ Das fanden wir eine gute Idee. Für das letzte Album, ‘Release’, hatten wir unglaublich geschmacklose Titel, wir wollten es ‘Home’ nennen, was ein schrecklich spießiger Titel ist …
Chris: Schrott! …
Neil: … Es war Wolfgang, der sagte: ‘Nein, ihr solltet es ‘Release’ nennen, denn die Pet Shop Boys veröffentlichen, lassen los.’ Und das ist ein sehr Pet-Shop-Boys-typischer Albumtitel, also benutzten wir ihn. Wolfgang ist so etwas wie ein Mentor für uns. Als wir das neue Album fertig hatten, schickten wir eine der ersten Kopien an ihn, und wir hatten große Angst, dass er es nicht mögen könnte, denn er war sehr gegen dieses epische Element, aber dann gefiel es ihm doch sehr.
Taken from: intro.de
Interviewer: Thomas Venker und Roland Wilhelm