‘Rhythmus, vor allem reiner Rhythmus’

Die Pet Shop Boys verpassen dem Film


‘Panzerkreuzer Potemkin’ ein neues Klanggewand




Zu den wichtigsten Tugenden des Revolutionärs zählt die Geduld. Die Fähigkeit, warten zu können, darauf, daß die Kräfte der Beharrung schwächer werden,

so schwach, daß die Revolution ihre Chance hat. Am Montag abend im Stadtpark wartete man auf das Dunkel, gegen das sich die Filmprojektion von Sergej

Eisensteins Revolutionshymne ‘Panzerkreuzer Potemkin’ abhebe und die Herzen mit revolutionärer Energie fülle. Das Freilichtbühnenrund ist nur mäßig

gefüllt, doch wird das später der Energie keinen Abbruch tun.



Genau 100 Jahre nach der historischen Meuterei der Besatzung des zaristischen Panzerkreuzers im Schwarzen Meer, haben Neil Tennant und Mick Lowe, die

Pet Shop Boys, Eisensteins 1925 gedrehtem Film ein neues Klanggewand verpaßt, das sie nun in guter Tradition der Stummfilm-Livebegleitung zusammen mit

den Dresdner Symphonikern auf auserwählten Bühnen spielen.



Sie dürfen das, schließlich habe der Filmavantgardist und Montagepionier selbst gewünscht, daß sein Film alle zehn Jahre mit einer neuen Musik versehen

werde.



Das Zentrum der Freiluftbühne bildet also eine Leinwand. Drumherum ist ein durchscheinender Vorhang gespannt, der die Musiker später ein Stück weiter

in den Hintergrund rückt. Dann wird es Nacht. Auf der Leinwand wogen Wogen, und während die letzten 100 Jahreszahlen mit Zwischenstops in den Jahren

größerer Umstürze über die Wellen laufen, leitet ein gesprochener Einleitungstext die Verbindung her zwischen der historischen Matrosenrebellion und

jüngeren Parallelen.



Pop, das leichtfüßige und überaus intelligente Spiel mit Bildern und Images, mit dem Schillern ihrer Be- und Umdeutungen, mit Identifikation und

Distanzierung, mit dem die Pet Shop Boys zum erfolgreichsten Duo der Popgeschichte wurden, Pop ist hier nicht. Keine Postmoderne, keine Brüche. Keine

Ironie, bitte. Panzerkreuzer Potemkin: die tyrannischen Offiziere, die ihrer Mannschaft mit der Exekution drohen, als die sich weigert, verrottetes

Fleisch mitsamt den Maden zu essen. Die Solidarisierung der Matrosen und der Bevölkerung von Odessa und das Massaker, das die zaristischen Truppen auf

der durch diesen Film berühmt gewordenen Treppe verüben, schließlich die Konfrontation des abtrünnigen Panzerkreuzers mit der restlichen

Schwarzmeerflotte – alles ist ernst. Und voller Pathos. Das wissen echte Revolutionäre und halten den Atem an. Die Pet Shop Boys unterstreichen das

Pathos des Films mit ihrer Musik. Da weinen die Violinen, das Signalhorn spielt seltsam verminderte Fanfaren, und immer wieder tosen die Synthesizer

los, dröhnen und rumpeln in der Verzerrung, während einige stoische Maschinenbeats Eisensteins Anforderung an die Musik, ‘Rhythmus, Rhythmus und vor

allem reiner Rhythmus’ in reichlich tumbes Gepolter übersetzt. Kein Platz für Eleganz, für Distanz, für Unter-, Nebentöne. Zu ernst. Und zu aktuell.



‘How come we went to war?’ singt Tennant schließlich und klingt wie die Pet Shop Boys schon immer klingen und gerade deshalb irgendwie deplaziert.

Taken from: Die Welt
Interviewer: Stefan Hentz